Web 2.0, Enterprise 2.0…Führung 2.0? – Studie zu veränderten Erwartungen an Führung
Web 2.0, Enterprise 2.0…Führung 2.0?
Die Bedeutung von Führung kann man in Organisationen kaum überbewerten. Angesichts der rasanten Entwicklungen in Organisationen, unter anderem getrieben durch die Digitalisierung und technischen Innovationen führen unter Umständen auch zu einer Veränderung in der Erwartung an gute Führung. Dieser These versucht Prof. Dr. Thorsten Petry auf den Grund zu gehen. Prof. Petry ist Professor für Organisation & Personalmanagement an der Wiesbaden Business School, Hochschule RheinMain. Er ist seit vielen Jahren als internationaler Managementberater, Projektleiter und Trainer tätig. Im Mittelpunkt seiner Projekt- und Forschungsinteressen stehen die Unternehmensführungsfunktionen Strategie, Organisation und Personalmanagement. An der Schnittstelle dieser Funktionen ist der aktuelle Forschungsschwerpunkt „Enterprise 2.0 / Führung 2.0“ zu verorten. Grund genug, ihn einmal zu diesem sehr interessanten Thema zum Interview zu bitten. Auf geht’s:
saatkorn.: Herr Prof. Dr. Petry, was verstehen Sie unter „Führung 2.0“?
Den Ausdruck „Führung 2.0“ verwende ich, wenn es darum geht, wie sich Führung zukünftig verändern wird bzw. muss. Dabei steht „2.0“ für eine neue Evolutionsstufe der Führung, genau wie Web 2.0 für eine neue Entwicklungsstufe des Internets steht. Gleichzeitig wird durch die Parallelität im 2.0-Zusatz auch die Verbindung zu Social Media als zentralem Element des Web 2.0 herausgestellt. Doch es gibt auch noch weitere Treiber für eine Veränderung der Führung, z.B. ganz allgemein die Wissensgesellschaft oder die Generation Y.
saatkorn.: Sie haben eine Studie zu diesem Thema durchgeführt. Bitte erläutern Sie den saatkorn.-LeserInnen doch kurz das Studiensetting und die Zielsetzung.
Um zu ermitteln, was hinter „Führung 2.0“ steckt, welche konkreten Erwartungen sich aus den zuvor dargestellten Einflussfaktoren auf eine „Führungskraft 2.0“ ergeben und inwieweit diese Erwartungen heute bereits erfüllt werden, wurden 235 Führungskräfte und Personaler deutschsprachiger Unternehmen im Rahmen einer Onlinestudie befragt.
saatkorn.: Und wie würden Sie die ideale „Führungskraft 2.0“ beschreiben?
Hier möchte ich mich bewusst zurückhalten und stattdessen die Meinung der von uns in einer Studie befragten Manager wiedergeben. Demnach wird – grob vereinfacht – vor allem Offenheit und der Verzicht auf Detailsteuerung erwartet.
saatkorn.: Gibt es die „Führungskraft 2.0“ eigentlich schon in den von Ihnen befragten Unternehmen oder ist diese noch Mangelware?
Es gibt natürlich Führungskräfte die dieses Idealbild erfüllen. Nur 11% sehen keine einzige solche Führungskraft in ihrem Unternehmen. Allerdings ist die Anzahl von „Führungskräften 2.0″ noch überschaubar, denn lediglich 17% der Befragten geben an, dass viele der Führungskräfte im jeweiligen Unternehmen ihre diesbzgl. Erwartungen erfüllen.
saatkorn.: Inwiefern werden Erwartungen an die Führungskraft 2.0 auf Basis Ihrer Studie erfüllt oder auch nicht erfüllt?
Die wichtigsten Erwartungen sind auch diejenigen, die am häufigsten fehlen. Insbesondere im Hinblick auf eine offene Kritik- bzw. Feedbackkultur zeigt sich eine große Lücke (36% beim Feedback geben bzw. 38% beim Kritik einstecken).
saatkorn.: Welche Rolle spielt in diesem Kontext der Umgang mit modernen Kommunikationstools wie beispielsweise Social Media?
Führung 2.0 ist kein IT- sondern ein Führungsstilthema. Kommunikationstools wie beispielsweise Social Media sind nur Hilfsmittel, die dahinterliegende Kommunikationskultur ist wesentlich prägender. Aber die Beherrschung der eine offene Kommunikation fördernden Technologien ist eine Grundvoraussetzung und Basisanforderung für offene Führung. Technikverständnis bzw. Medienkompetenz ist daher zwar nicht hinreichend, jedoch notwendig für eine Führungskraft 2.0.
saatkorn.: Entwickelt sich die „Führungskraft 2.0“ automatisch?
Auch wenn es bereits einige Führungskräfte gibt, die das Idealbild erfüllen und sich einige andere Führungskräfte aus eigenem Antrieb in diese Richtung entwickeln werden, wird sich dieser Prozess ganz sicher nicht von alleine und automatisch, ohne Zutun des Unternehmens vollziehen – zumindest nicht in der notwendigen Geschwindigkeit. Hier sind die Unternehmensführung und HR gleichermaßen gefordert.
saatkorn.: Wo kann man Ihre Studie beziehen und werden Sie die Studie in der Zukunft nochmals durchführen, um ggf. Vergleichswerte zu erhalten?
Ein Bericht zur dargestellten Studie mit weiteren Ergebnissen und Erläuterungen findet sich in der aktuellen Ausgabe des Personalmagazins (Heft 5 2013). Weitere Veröffentlichungen sind in der berühmten „Pipeline“. Das Thema Führung 2.0 steht weit oben auf meiner Forschungsliste und wird dementsprechend auch weiterhin analysiert.
saatkorn.: Vielen Dank für das Interview – und weiterhin viel Erfolg!
Vielen Dank für diesen Beitrag! Der Begriff „Führung 2.0“ ist mit dem vorliegenden Sachverstand durchaus richtig gewählt, kann meines Erachtens aber nur bedingt widergeben, dass sich das Führungsverhalten und die Führungsstile in Zukunft eher in revolutionären Ausmaßen verändern müssen und schließlich werden. Heute verantwortliche Führungskräfte werden sich dieser Revolution allerdings von selbst nur im geringen Umfang stellen. Vielen werden feststellen müssen, dass alles wonach sie selbst in einem tradierten Führungsverständis handeln, für den erfolgreichen Umgang mit den Menschen der GenY und der Übergangsgeneration der heute um die 40-jährigen keinen Bestand mehr haben wird. Zu sehr sind traditionelle Führungskräfte von Ihrer Aufgabe getrieben, das Unternehmen zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu führen und sich dazu Ihrer Mitarbeiter über gelerntes Führungsverhalten zu bedienen. Auch wenn dies ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz war und scheint, wird er mit den Lebenskonzepten der oben genannten Generationen nicht mehr vereinbar sein. Selbstverwirklichung, das Umsetzen eigener Lebensideen, permanente offene Kommunikation, wie sie durch Social Media geprägt wird, stehen ganz oben auf der Liste der Anforderungen an die Arbeitswelt. Und Lebensideen können sehr unterschiedlich sein. Traditionelle Führungskräfte sind bereits an dieser Stelle überfordert. Charisma und Führungserfahrungen stehen dann ganz unten auf der Liste. Das alte Prinzip wie Henry V seine Soldaten in die Schlacht führt funktioniert nicht mehr. In erfolgreichen StartUps, gehen Mitarbeiter und vermeindlichen Führungskräfte einen gemeinsamen Weg ins Ungewisse, weil sie an diese Idee glauben und die Idee zu ihren eigenen Lebensideen passt und sich die Menschen dort in dem was sie selbst vom einer modernen und gerechten Welt erwarten mitgestalten können. Nicht das wirtschaftliche Interesse der Unternehmensgründer kann die Mitarbeiter begeistern. Nicht die Rede von Henry V.
Die „Führungsrevolution“ wird wie eine große Welle auf uns zurollen. Wir werden uns über viele Punkte Gedanken machen müssen wie z.B. „Pflicht“ vs. „Sinn“, neue Kommunikationsformen, veraltete Motivationstheorien, veränderte Arbeitsumgebungen und Arbeitzeiten, Flexibilisierung der Arbeit, Teams „formen“ statt Teams zu „bauen“, Förderung der Diversifikation (auch ohne Quoten). Dies sind alles Themen, die für traditionelle Führungskräfte eine großer Herausforderung darstellen werden und an der viele scheitern werden. Aber ein Generationswechsel bringt das eben mit sich.
Vielen Dank für den Beitrag oben. Ein willkommener Anstoß zu einer wichtigen Diskussion.
Olaf Steinert
Hallo Herr Petry,
vielen Dank für Ihre Veröffentlichung und Ihre Antwort hier! Ich würde dort gerne aber nochmal nachfragen: Welche Erwartungen haben sie erhoben? An sich selbst oder an die eigenen Vorgesetzten oder allgemein? Es macht ja einen Unterschied ob ich selbst „lockerer“ geführt werden möchte oder meine Mitarbeiter. Das ist nicht nur eine Rollenfrage, sondern auch eine Frage von Anspruch und Wirklichkeit.
Viele reden von neuer Führung, aber nur wenige machen es.
Gruß
Christian
Schön, dass die Diskussion angestoßen ist, vielen Dank für Ihr Feedback.
Es ist absolut richtig, dass die Studie nur einen Teil der am betrieblichen Führungsprozess beteiligten Personen berücksichtigt (auch wenn entgegen des Einwands auch Vertreter der GenY enthalten sind). Dies muss man – wie völlig korrekt angemerkt – bei der Interpretation berücksichtigen. Es ist – wie bei nahezu allen Studien dieser Art – keine repräsentative Erhebung, welche die typische Belegschaft vollumfänglich abbildet. Die Hypothese aus der Studie wäre aber, dass die Befunde die „objektive Realität“ einigermaßen valide abbilden. Ob dies wirklich so ist, gilt es durch weitere Untersuchungen zu belegen oder eben zu falsifizieren. Dementsprechend geht die Forschung hier weiter …
Widersprechen muss ich bzgl. der Aussage, dass in der Studie „über die Gen Y“ gesprochen würde. Das ist so nicht ganz korrekt. Es geht um zukünftig sinnvolle Führungsstile, die zwar auch, aber eben nicht nur auf die Gen Y auszurichten sind. Das ist aus meiner Sicht extrem wichtig! Im betrieblichen Führungsprozess sind auch zukünftig viele Generationen und Personen zu berücksichtigen. Dementsprechend würde auch eine Befragung der GenY alleine die typische Belegschaft nicht adäquat abbilden.
…würde aber eine gute Ergänzung zur vorliegenden Studie liefern. Wie gesagt, die Forschung muss und wird weitergehen.
Gerne können Sie mir weiteres Feedback für die nächsten Forschungsschritte geben, hilfreiche Hinweise greife ich sehr gerne auf.
Ich schließe mich Ihrem Kommentar an, Herr Fellinger. Danke dafür, das erspart mir einige Zeilen. Und lässt mich mit der Frage zurück, welche Erkenntnisse die Studie bereit hält. Gerade weil ich den thematischen Ansatz hochinteressant finde.
Das sind zwar interessante Ergebnisse, mir stellt sich aber die Frage, wieso ausschliesslich Personaler und Führungskräfte – nicht aber Vertreter der Generation Y – zu den Erwartungen an die Führungskraft 2.0 befragt wurden. Schon klar, dass die vorliegende Studie als Expertenumfrage gelten kann. Aber sollte man die Ergebnisse nicht mit Vorsicht genießen, da eine entscheidende Gruppe, nämlich die aus der die Erwartungen resultieren, nicht berücksichtigt wird?
Klingt für mich nach einem erneuten Beispiel, wo ÜBER die Gen Y gesprochen wird, diese aber nicht zu Wort kommt. That’s odd.