Was kann HR in Zeiten von Social Distancing tun? – Eine Frage, die sich Viele stellen. Und die ich Sven Michel von cribbX gestellt habe. Have fun:
SAATKORN: Bitte stellen Sie sich den SAATKORN Leser*innen doch kurz vor.
Ich bin Sven Michel, 37 Jahre alt und Unit Director der Unit cribbX bei der Cribb Personalberatung in Hamburg. Ich bin seit mittlerweile fast 10 Jahren in der Personalberaterbranche – 7 Jahre davon habe ich bei Cribb zu Themen im digitalen Kontext beraten – davor habe ich das Handwerkszeug eines Personalberaters auch in anderen Branchen und Bereichen zu nutzen gelernt. Vor gefühlt einer Ewigkeit habe ich BWL studiert und bin davor bei der Marine ein wenig um die Welt gesegelt.
SAATKORN: Corona stellt die Recruiting-Welt ganz schön auf den Kopf. In vielen Unternehmen gibt es Einstellungsstopp, es wird über Kurzarbeit nachgedacht. Wie ist Ihre Haltung dazu?
In der Tat – vor wenigen Wochen hätte sich wohl noch niemand träumen lassen, wie unser Alltag jetzt aussieht und welchen Herausforderungen wir uns jetzt gegenübersehen. Diese Herausforderungen sind für jedes Unternehmen sehr individuell. Ich denke, grundsätzlich müssen unternehmerisch kluge, nachhaltige sowie sozial verträgliche Entscheidungen getroffen werden. Ziel muss es sein, den Fortbestand des Unternehmens abzusichern. Die Liquidität ist die Größe, die es u.a. im Auge zu behalten gilt. Gewinn- oder Wachstumsziele sollten zunächst einmal zweitrangig bleiben. Um nun den Fortbestand und die Liquidität zu sichern, können Maßnahmen wie Einstellungsstopps oder Kurzarbeit probate Mittel und Wege sein, auf Belastungen durch Personalkosten zu reagieren. Es ist ein schmaler Grat, auf dem jeder Entscheidungsträger in betroffenen Unternehmen nun wandeln muss. Entscheidungen müssen kaufmännisch, aber auch sozial verträglich, getroffen werden. Jedes Unternehmen sollte hier als Ziel haben, mit möglichst allen Mitarbeitern und somit voll handlungsfähig aus der Krise herauszukommen.
SAATKORN: Liquidität ist für Unternehmen in der Tat sehr wichtig. Aber meiner Meinung nach ist entscheidend, wie lange diese Corona-Krise uns beschäftigen wird. Ich glaube, man sollte in Szenarien denken. Wie sehen Sie das?
Dem stimme ich zu. Eine Szenarien-Betrachtung sollte auch keinem Unternehmen fremd sein. Das Coronavirus ist ohne Frage etwa Neues, das Unsicherheit (im negativen Sinn) mit sich bringt. Unsicherheit und hypothesenbasierte Entscheidungen sind auf Geschäftsführungsebene allerdings kein Novum. Die Digitalisierung und die damit einhergehenden Veränderungen bedeuten ebenfalls oft Unsicherheit, die in diesem Kontext nicht als Bedrohung, sondern als Chance interpretiert wird. In unterschiedlichen Szenarien zu denken und zu planen, hilft aus meiner Sicht dabei, Strategien für ein Bestehen bei schwierigen Rahmenbedingungen zu finden.
SAATKORN: Was sind Ihre Empfehlungen an HR Abteilungen?
Nutzt diese Chance! Seid aktiv! – Die Corona-Krise stellt fast alle Branchen und alle Unternehmen vor große Herausforderungen. Bei manchen geht es um die Existenz, bei manchen sind im Zuge von Social Distancing und Home-Office logistische oder arbeitsrechtliche Herausforderungen zu bewältigen. Und bei allen Unternehmen gibt es nun auch sehr große menschliche Herausforderungen: Mitarbeiter mit Kindern stecken gerade häufig in der Klemme. Andere Mitarbeiter kämpfen mit der Home-Office Falle und vergessen z.B. aktive Pausen zu machen. Und wieder andere verlieren sich in persönlichen Ängsten. Bei all diesen Themen kann sich HR nun beweisen – sei es dabei administrative Themen zu klären, oder dabei Führungskräfte und Geschäftsleitungen in ganz neuen Fragen von Remote Leadership zu unterstützen. Oder schlicht und ergreifend, um im Unternehmen als Ruhepol zu wirken. Ich glaube, die HR-Abteilungen sind in der aktuellen Krise nun als starke Säule im Unternehmen gefragt und ich würde mir wünschen, dass möglichst viele Unternehmen gesund aus der Krise mit der Erkenntnis gehen: Ohne unsere HR-Abteilung hätten wir das nicht geschafft!
SAATKORN: Und was ist Ihre Einschätzung zur Recruiting-Situation kurz-, mittel- und langfristig?
Schon jetzt kann man beobachten, dass einige Branchen stark von der aktuellen Krise betroffen sind und andere nicht bzw. sogar davon profitieren. Es wird grundsätzlich zu Verschiebungen kommen, was kurz-, mittel- und langfristige Folgen für das Recruiting hat. Kurzfristig sollten sich Recruiting-Abteilungen zur Erreichung ihrer Ziele auf jeden Fall damit auseinandersetzen remote zu hiren – ich nenne es Social Distance Hiring. Es gibt hier viele Methoden, auf deren Grundlage sich auch ohne Face-to-Face-Situation, eine fundierte Entscheidung treffen lässt und diese haben sich vielerorts bewiesen. Weiter wird es Professionals geben, die als Folge der Krise gut verfügbar sind. Hier können kurz- und mittelfristig passive Recruitingmethoden ein gutes Mittel sein. Dabei sollte man gut aufgestellt und kreativ sein – denn Krise hin, Krise her – der Kandidatenmarkt hat weiter hohe Erwartungen an die Performance der Recruiting-Abteilungen. Es wird allerdings auch viele Menschen geben, die als Folge der Krise sehr auf Sicherheit bedacht und damit noch weniger verfügbar sind. Hier werden kurz- und mittelfristig große Herausforderungen, bspw. aufs Active Sourcing, warten. Empathie für den Kandidatenmarkt wird ein wichtiger Faktor sein. Langfristig, nach überstandener Krise und überstandenem kurzfristigen Tief im Recruiting, wird sich sicherlich wieder eine Situation wie vor wenigen Wochen einstellen, die von einem hohen Fachkräftemangel geprägt ist. Nur wird es auf diesem Wege Verschiebungen in den Branchen geben und es werden bspw. Kompetenzen im Bereich Tech, noch stärker nachgefragt werden. Kurz-, Mittel- und langfristig werden nach meiner Einschätzung die Empathie zum Kandidatenmarkt und die Gestaltung einer positiven Candidate Experience zentrale Faktoren für den Recruiting- und damit Unternehmenserfolg sein.
SAATKORN: Vielen Dank für das Interview, Herr Michel.