Sara Lindemann ist mit viasto eine der Pionierinnen rund um Video-Recruiting Lösungen. Ein Thema, welches nicht zuletzt durch Corona immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Höchste Zeit, einmal genauer nachzuhaken. Auf geht’s:
SAATKORN: Sara, bitte stellt Euch den SAATKORN Leser*innen doch einmal vor.
viasto ist 2010 der erste Anbieter von Video-Recruiting Lösungen in der DACH Region gewesen Wir zählen seit 11 Jahren eine sehr große Bandbreite an Unternehmen zu unseren Kunden. Von Banken, über Versicherungen bis hin zu internationalen Organisationen, dem öffentlichen Dienst oder Startups. Als mittlerweile einzigem unabhängigen Anbieter von Video-Recruiting Lösungen zeichnet uns unsere 100%-ige Verpflichtung zur Qualität aus. Wir sind keinen Shareholders verpflichtet und entwickeln nach wie vor nur Features, die aus personaldiagnostischer Sicht für unsere Kunden sinnvoll und ethisch vertretbar sind (Stichwort KI zur Auswertung). Wir sind überzeugt, dass Software-Anbieter gerade in diese Zeit eine große Verantwortung dafür tragen, welche Richtung die Digitalisierung im Recruiting nimmt.
viasto Studie zu Personalauswahlverfahren
SAATKORN: Ihr habt von viasto aus eine Studie gemacht, die das Personalauswahlverfahren vor den Pandemie mit dem aktuellen Prozess vergleicht. Wie kam es dazu?
Hintergrund ist, dass wir im März 2020 eine Umfrage initiiert und umgesetzt haben, die den damaligen Status Quo in der Nutzung von Video-Recruiting Lösungen erfassen sollte. Zudem haben wir seinerzeit die Erfahrungen der Kandidat*innen im Auswahlverfahren abgefragt. Durch die einsetzende Pandemie veränderte sich aber wie wir heute alle wissen plötzlich alles. Für den Moment wurden unsere Ergebnisse unbrauchbar. Ein Jahr später dienen sie aber perfekt als Nullmessung. Daher haben wir die exakt gleiche Umfrage nun ein weiteres Mal erhoben. So haben wir beste Vergleichswerte über die Wege von Job-Interviews vor der Pandemie und jetzt.
SAATKORN: Präsenztermine zu Job-Interviews waren 2020 so gut wie keine mehr möglich. Welche Wege/Kanäle haben Arbeitgeber stattdessen gewählt?
Ja, das ist richtig. Präsenztermine sind wie in so vielen anderen Bereichen wenig überraschend deutlich zurückgegangen. Gemäß unserer Daten stieg der Anteil derjenigen, die nach ihrer Bewerbung per Video-Chat zum Interview gebeten wurden, von 8% zu Beginn 2020 auf aktuell 33%. Hinzu kommt ein Anteil von 11% an zeitversetzten Videos. Am Telefon fanden derweil fast die Hälfte (48%) der Gespräche statt. Deutlich weniger häufig mussten sich die Bewerber*innen in Assessment Center sowie Persönlichkeitstests beweisen. So fiel der Anteil beider Eignungstests um jeweils ein Drittel. An einem Assessment Center nahm beispielsweise nur noch jede/r zehnte Kandidat*in teil.
Bewerbungsprozess: Qualität und Schnelligkeit entscheidend
SAATKORN: Wie haben die Bewerber*innen diese neuen Wege wahrgenommen? Hat die Qualität des Auswahlprozesses aus ihrer Sicht gelitten?
Hier müssen wir zwei Aspekte beachten: einerseits die Qualität der Interviews und andererseits das Tempo der Auswahlverfahren insgesamt. Die Qualität hat nicht gelitten, die Zeitschiene allerdings schon.
Die konkreten Daten dazu: In der qualitativen Bewertung des Auswahlverfahrens stellen unsere Studienteilnehmer*innen den Arbeitgebern ein durchaus positives Zeugnis aus. 29% bewerten ihr Gespräch nachträglich als sehr gut, weitere 55% als überwiegend gut. Das entspricht in etwa den Werten von Anfang 2020 (28% und 52%). Ein Grund für die positive Bewertung ist ein überwiegend gutes Auftreten der Interviewer*innen, die offensichtlich mit dem Medienwechsel gut zurechtkommen. So finden mehr als drei Viertel (76,5%) der Befragten, dass ihre Gesprächspartner*innen aus der Personalabteilung überzeugend im Interview auftraten. Noch überzeugender wirken Interviewer*innen aus der jeweiligen Fachabteilung. 81% von ihnen werden positiv wahrgenommen, 27% sogar sehr.
Etwas anders sieht es allerdings wie gesagt beim Tempo des Auswahlverfahrens aus. Hier stellen wir anhand unserer Datenlage eine Verlangsamung des Prozesses fest. Denn der Anteil derer, die diesen als zu lang wahrnehmen stieg deutlich von 18% auf 31%. Zum Vergleich: Der Prozentsatz derjenigen, die den Prozess während der vergangenen 12 Monate zu unpersönlich finden, stieg von 19% um „nur“ vier Punkte auf 23%.
Dazu sei es mir bitte erlaubt, ein paar Sätze aus Sicht der Anbieterin loszuwerden: Es ist entscheidend auf Tools zu setzen, die die bestehenden Prozesse signifikant verbessern und nicht nur die Kontaktpunkte reduzieren. Unternehmen, die nur hektisch ein paar Tools umfunktioniert haben und darauf warten, dass wieder alles wie vor Corona wird, satteln das falsche Pferd. Diejenigen, die dagegen jetzt auf kluge Software-Optimierung setzen, werden nachhaltig und langfristig von der Umstellung in der Krise profitieren.
SAATKORN: Der Grad der Digitalisierung in HR hat durch die Pandemie ungeahnte Blüten getragen. Für wie nachhaltig hältst Du die Entwicklung diesbezüglich für den Personalauswahlprozess?
Ich denke insgesamt wird die Pandemie dafür gesorgt haben, dass die Personalauswahl der Unternehmen im Durchschnitt digitaler geworden ist und davon auch profitiert. Alle haben quasi gezwungenermaßen Kompetenzen aufgebaut, die nun auch angewendet werden und deren Vorteile nun spürbar geworden sind. Viele Organisationen waren glaube ich überrascht, was alles funktioniert, wenn es funktionieren muss. Nun liegt es an den Unternehmen zu evaluieren, an welchen Stellen der persönliche Kontakt einen tatsächlichen Vorteil für die Personalauswahl bringt. Nach einer fundierten und effektiven Vorauswahl (digital) ist das ja typischerweise noch der letzte Auswahlschritt. Unsere Kunden stellen fest, dass sie mit einer fundierten digitalen Vorauswahl dahin gelangen, dass sie nahezu jede/n einstellen können, der/die in den finalen Auswahlschritt kommt (Gespräch oder AC).
SAATKORN: Viele der Unternehmen, die ihre Interviews per Video-Lösung geführt haben nutzen dafür oft die Software-Lösungen, die sie auch für interne Meetings oder den täglichen Mitarbeiteraustausch nutzen. Ihr bietet eine spezialisierte Lösung an. Wo liegen die Vorteile?
Ok – ich versuche mich kurz zu fassen 🙂
Ein signifikanter Unterschied ist, dass unsere Kunden in der interview suite 3 unterschiedliche Video-Recruiting Module nutzen können, von denen zwei zeitversetzt und lediglich eines ein Live Video Interview ist. Bei den Videobewerbungen können Unternehmen ganz einfach eine Landing Page erstellen, die sie als Bewerbungseingang für eine entsprechende Stelle nutzen. Kandidaten können sich dann mobil oder per PC mit einem kurzen Videointerview bewerben, nachdem sie sich ein kurzes stellenbezogenes Video des Unternehmens angesehen haben. Der Vorteil: KandidatInnen und Unternehmen erhalten bereits im allerersten Schritt des Bewerbungsprozesses einen ganz persönlichen Eindruck voneinander. Das zeitversetzte Videointerview wird eingesetzt, um einen tiefergehenden Einblick in die Passung von BewerberInnen zu erhalten, noch bevor das persönliche Gespräch stattfindet. Hier können also mehr KandidatInnen schneller und effektiver kennen gelernt werden. Diese werden vom Unternehmen eingeladen, in einem strukturierten Ablauf, einige Fragen per Video zu beantworten. Selbstverständlich werden KandidatInnen auch hier vorab per Video vom Unternehmen begrüßt. Dies geht je nach Interviewfragen z. T. deutlich über einen ersten Eindruck hinaus. Eine künstliche Intelligenz unterstützt bei der Erstellung von aussagekräftigen Interviews, die sich auf die entscheidenden Kompetenzen oder Eigenschaften zur Vorauswahl beziehen. HR- und Fachabteilung können dann entweder gemeinsam oder nacheinander in einem klar strukturierten Bewertungsprozess eine Entscheidung treffen.
Das Live Videointerview unterstützt mit personaldiagnostisch konzipierten Bewertungsfunktionen und einem automatisierten Terminmanagement, in dem Kandidaten sich selbst auf Termine buchen – ähnlich wie bei Calendly, wenn Du das kennst.
viasto treibende Kraft bei DIN-Spec Norm Entwicklung
SAATKORN: Erst vor kurzem wart Ihr mit viasto die treibende Kraft bei der Erarbeitung einer DIN-Spec Norm für Video-Interviews. Was sind die wichtigsten Inhalte dieser DIN Spec und was war der Antrieb diese voranzutreiben?
Ich habe oben ja bereits gesagt, dass wir eine klare Haltung haben, was das Thema Qualität angeht. Das liegt sicherlich daran, dass wir immer mit einem großen Team an Personalpsychologen gearbeitet haben. Ich komme ja selbst auch aus diesem Bereich. Wir fanden die Entwicklung einfach gefährlich, die gerade in Richtung KI-Auswertung von Video-Interviews eingeschlagen wird und wollten einen wissenschaftlich fundierten Leitfaden entwickeln, an dem sich die HR Welt orientieren kann. Hier gibt es nach wie vor leider noch extrem viel Aufklärungsbedarf. Gerade wenn US-amerikanische Unternehmen in den deutschen Video-Recruiting Markt drängen, wollten wir hier ein klares Zeichen setzen, worauf es ankommt.
Auf Basis der neuen DIN Spec können Unternehmen ihr jeweiliges Video-Recruiting Tool und den damit verbundenen Prozess ab sofort zertifizieren lassen.
Die Norm klärt u.a. die Anforderungen an Bewertungsfunktionalitäten und -prozessschritte mit oder ohne KI genauso wie wichtigen Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung im Bewerbungsprozess oder den Informationsanspruch beim Einsatz von KI-Technologie zur Personalauswahl. Sie steht im Beuth Verlag frei zum Download zur Verfügung.
SAATKORN: Sara, ganz herzlichen Dank für das Interview. Dir weiterhin viel Spaß und Erfolg mit und bei viasto!