Talent Management wird zum strategischen Top-Thema
Vor einigen Wochen machte KPMG mit einer spannenden Studie rund um Talent Management von sich reden. Grund genug für ein saatkorn.-Interview mit Dr. Michael Geke, verantwortlich für die Studie bei KPMG. Dr. Michael Geke ist Partner und Head of HR Consulting der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. KPMG ist ein weltweites Netzwerk rechtlich selbstständiger Firmen mit rund 152.000 Mitarbeitern in 156 Ländern. In Deutschland ist KPMG an 25 Standorten vertreten. Die Leistungen gliedern sich in die drei Geschäftsbereiche Audit, Tax und Advisory. Der Bereich HR Consulting hat in Deutschland 70 Mitarbeiter und weltweit 700. Auf geht’s:
saatkorn.: Bitte geben Sie den Saatkorn.-LeserInnen doch ein paar Fakten zum Setting der aktuellen Umfrage zum Thema „Talent Management“. Wer wurde wann zu diesem Thema befragt?
Die Umfrage wurde im Rahmen der KPMG HR Business Excellence Conference (BEX) durchgeführt, die am 19. September im gehobenen Ambiente des Hyatt Regency Düsseldorf stattfand. Diese Jahreskonferenz von KPMG richtet sich an Entscheider im HR Management und stellt einen hervorragenden Rahmen für die Personalverantwortlichen dar, sich über aktuelle Management-Themen in ihren Unternehmen sowie die Herausforderungen und Lösungswege im Personalbereich auszutauschen. An der Konferenz und an der Umfrage haben 52 Personalchefs teilgenommen.
Die Teilnehmer der Konferenz wurden gebeten drei Fragen zu beantworten:
- In welche HR-Kernmaßnahmen investieren Sie in den nächsten zehn Jahren?
- Welche Maßnahmen haben Sie bereits erfolgreich umgesetzt?
- Was sind aus Ihrer Sicht im HR-Bereich die größten Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre?
Die Auswertungen haben ergeben, dass zwei Drittel (66%) der befragten Unternehmen in den nächsten zehn Jahren verstärkt in die Gewinnung und Bindung der Talente investieren wollen, wobei lediglich 28% angaben, dass sie bereits in diesem Bereich Erfolge erzielt haben.
saatkorn.: „Weg von der stellen- und hin zur potenzialorientierten Mitarbeitersuche“ – so eines der Ergebnisse Ihrer Umfrage. Ist das tatsächlich ein Paradigmenwechsel?
Die Personalrekrutierungsstrategien in Unternehmen sind nach wie vor durch die Globalisierung, demografischen Wandel, Veränderung der Arbeitsanforderungen sowie den Wandel von Unternehmensstrukturen maßgeblich beeinflusst. Die frei werdenden Funktionen können aufgrund des reduzierten Arbeitskräfteangebotes, der zunehmenden Komplexität der Tätigkeitsanforderungen und des Bedarfs an neuen Kompetenzen wie z.B. erhöhte Kommunikationsfähigkeit bei virtuellen Arbeitsweisen oder interkulturelle, soziale und strategische Qualifikationen nicht passgenau besetzt werden.
Diese Entwicklungen des Arbeitsmarktes verstärken die Tendenz zu potenzialorientierter Personalgewinnung sowohl nach innen wie nach außen.
Wenn es früher besonders wichtig war, die vakanten Positionen mit den exakt passenden Fachkräften zu besetzen, fokussieren die Unternehmen zunehmend ihre Recruitingaktivitäten auf die Kandidaten, die das Potenzial vorweisen, den sich ständig verändernden Unternehmensbedingungen gerecht zu werden. Das Entscheidende hierbei ist nicht mehr das aktuelle Vorhandensein von absolutem Wissen und Können, sondern die Fähigkeit dieses Wissen und Können auf die dynamische Unternehmenswelt stetig anzupassen und weiterzuentwickeln. Eine besondere Entscheidungs- und Bindungsbasis stellt dabei die Komptabilität der persönlichen Werte mit den Unternehmenswerten dar.
In diesem Zusammenhang zeichnet sich der Recruitingprozess als ein elementarer Bestandteil des integrierten Talent Managements aus.
saatkorn.: Auf Basis Ihrer Umfrage scheint Talent Management ein echtes Wachstumsfeld im HR-Kontext zu werden. Erstaunlich viele Unternehmen stehen hier offensichtlich noch ganz am Anfang, oder?
Dieses Ergebnis der Umfrage während der Konferenz kommt für uns nicht überraschend zustande. Es stimmt mit den Ergebnissen unserer Studie „Rethinking HR in a Changing World“, an der im Jahr 2012 über 400 Personalvorstände weltweit teilgenommen haben, nahezu überein.
Den Studienresultaten zufolge sehen über 80% der Personalverantwortlichen global das Talent Management als einen der wichtigsten Wettbewerbsvorteile in den kommenden 3 Jahren. Lediglich ein Viertel der befragten HR-Chefs konnten dabei behaupten, dass die Gewinnung und Bindung der Talente in ihren Unternehmen erfolgreich umgesetzt wurde.
Es zeichnet sich ganz klar eine große Kluft zwischen der wahrgenommenen Wichtigkeit des Themas und der geschätzten Wirksamkeit bisheriger Talent Management-Aktivitäten ab. Daher müssen Unternehmen ihre Bemühungen in diese Richtung noch mehr intensivieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auch in der näheren Zukunft sicherzustellen.
saatkorn.: Welche Voraussetzungen muss ein Unternehmen schaffen, um „echtes“ Talent Management betreiben zu können?
Aus unserer Sich umfasst ein „echtes“ Talent Management alle Phasen des Mitarbeiterlebenszyklus und beinhaltet somit u.a. die Prozesse zu Gewinnung, Integration, Entwicklung, stärkenorientiertem Einsatz und Karriereplanung. Um die Talente zielführend und erfolgreich im Unternehmen zu managen, ist es wichtig, alle Phasen dieses Zyklus richtig zu gestalten. Talente entscheiden sich für ein Unternehmen, dessen Mission und Vision sie mittragen können und dessen Werte sie teilen. Daher brauchen Unternehmen eine klare Arbeitgebermarke und eine effektive Akquisitions-Strategie, um die richtigen Talente anzusprechen und für sich zu überzeugen. Zur Entfaltung des Potenzials und Erbringung der besten Leistung müssen Talente die Aufgaben bekommen, die sie mehr fordern und begeistern und die gleichzeitig für das Unternehmen von größerem Nutzen sind. Dabei möchten Talente sich weiterentwickeln und ihr Potenzial entfalten. Wichtig für die Bindung von Talenten sind die Vertrauensbasis, gemeinsame Werte, Wertschätzung und gutes Leadership. Im Zusammenspiel mit anderen, die genauso wie sie talentiert sind und die Leidenschaft in das Team tragen, können die Talente ihre Leistung abrufen und sich am besten weiterentwickeln. Aufgabe des Talent Management ist daher, den Talenten die Arbeit in bestpassenden Teams zu ermöglichen und auf diesem Weg ihre Entfaltung zu unterstützen und ihr Potenzial für das Unternehmen zu nutzen.
saatkorn.: Welche Rolle spielt ihrer Meinung nach das Thema „Talent Relationship Management“ – also der frühzeitige und strategische Aufbau von Beziehungen zu Zielgruppen (Talent Pools) in- und außerhalb von Organisationen?
Insbesondere im Kontext potenzialorientierter Personalgewinnung ist der Aufbau von internen und externen Talent-Pools von besonderer Bedeutung. Es ist strategisch wichtig nicht erst dann zu rekrutieren, wenn die Stelle vakant geworden ist, sondern ein „Relationship“ mit externen und internen Kandidaten aufzubauen und nachhaltig zu pflegen. Die Implementierung von Talent Relationship Management ist aus vielen Gründen empfehlenswert: Durch den Einsatz von verschiedenen TRM-Instrumenten erfolgt nicht nur eine Überprüfung der Wertekomptabilität des Bewerbers mit denen des Unternehmens sondern auch seine systematische Integration in die Unternehmenskultur, Aufgaben, ggf. den Fachbereich. Darüberhinaus findet eine Bindung des Kandidaten an das Unternehmen statt, was in der Zeit des „War for Talent“ nicht trivial ist.
Kritisch können die Konsequenzen für das Arbeitgeberimage sein, wenn solche Talent-Pools eingerichtet und kommuniziert sind, jedoch unzureichend bzw. gar nicht gepflegt werden. Daher bringt das Talent Relationship Management – meiner Meinung nach – die erwarteten Erfolge nur dann, wenn es strategiekonform und professionell aufgesetzt sowie systematisch und qualitativ hochwertig betrieben wird.
saatkorn.: Was sind Ihrer Meinung nach mittelfristig die größten Herausforderungen für die Personalabteilungen?
Die Ergebnisse unserer Studie „Rethinking HR in a Changing World“ belegen, dass die drei größten Herausforderungen für HR in den nächsten Jahren wie folgt lauten:
Erstens: Die Balance finden zwischen global und lokal
Das Prinzip „Think global – act local“ muss zukünftig auch von Personalabteilungen gelebt werden. Eine global vernetzte Arbeitswelt mit zunehmender Anzahl von „Digital Natives“ im erwerbsfähigen Alter verlangt nach globalen HR Playern. Internationale Arbeitseinsätze, weltweites Recruiting, länderübergreifende Reportingstrukturen, etc. zwingen HR-Funktionen immer stärker, international zu agieren. Dabei werden langjährige, individuelle HR-Prozesse häufig zentralisierten, standardisierten Strukturen unterworfen. Gleichzeitig müssen regionale Bedingungen und Gegebenheiten berücksichtigt sowie lokales Know-how bewahrt werden.
Zweitens: Das Management von flexiblen und virtuellen Belegschaften
Die globalen Organisationstrukturen sowie der gestiegene Innovations- und Kostendruck zwingen Unternehmen dazu, die Geschwindigkeit ihrer Prozesse zu beschleunigen. Um den Beschäftigten die entsprechende Handlungsfähigkeit zu garantieren, muss ihnen die notwendige Hardware sowie Flexibilität des Arbeitsplatzes und -einsatzes gewährt werden. Personalabteilungen in Netzwerkorganisationen müssen daher für die Steuerung und Planung sowie für die Kommunikation und Entwicklung des häufig „nur“ virtuell anwesenden Personals neue digitale Prozesse und Konzepte auflegen.
Drittens: Die besten Talente im Unternehmen halten
Neben der bereits angesprochenen Globalisierung und Digitalisierung zwingen der Wertewandel und der demografische Wandel Personalabteilungen dazu, das Talent Management zu modifizieren, und vor allem zu individualisieren. Klassische Retention-Management-Instrumente wie der Firmenwagen, das Topgehalt oder „die gut gesicherte Position bis zur Verrentung“ binden die Beschäftigten der neuen Generationen nicht mehr zwangsläufig an ein Unternehmen. Vielmehr priorisieren junge Arbeitnehmer Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeiten, und Arbeitsorte sowie individuell auf den jeweiligen Lebensabschnitt sowie die vorliegende Lebenssituation zugeschnittene Bindungsmaßnahmen.
saatkorn.: Herr Dr. Geke, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Spaß und Erfolg bei KPMG!