Stellenanzeigen für MINT-Bewerbende – Interview mit Thomas Hense
MINT-Beschäftigte gehören nach wie vor zu den begehrtesten Mitarbeitenden auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Für viele Unternehmen ergibt sich gerade die Chance, sie antizyklisch – also entgegen der wirtschaftlichen Entwicklung – zu rekrutieren. Das Stellenportal jobtensor.com hat sich vor allem auf diese gefragte Kandidatengruppe spezialisiert und legt eine neue Studie zum Umgang von MINT-Talenten mit Stellenanzeigen vor. Jobtensor-Geschäftsführer Thomas Hense im SAATKORN-Interview:
SAATKORN: Thomas, stell Dich doch bitte unseren Lesern einmal vor.
Thomas Hense: Klar, gerne! Ich bin Thomas Hense, Geschäftsführer von jobtensor – der Jobplattform für IT, Naturwissenschaften und Ingenieurwesen. Mit unserer KI-Technologie schaffen wir eine präzise Verbindung zwischen Unternehmen und Fachkräften, die wirklich passt. Seit über 10 Jahren bin ich in der HR-Bubble aktiv, angefangen im operativen Bereich, heute mit einem klaren strategischen Fokus. Ich bin 42 Jahre alt, stolzer Familienvater, komme und lebe im Ruhrgebiet und habe meine beruflichen Wurzeln ursprünglich in der IT.
SAATKORN: Ihr habt eine Studie zur Nutzung von Stellenanzeigen erstellt und dabei besonderes Augenmerk auf MINT-Talente gelegt. Wie war das Setting der Studie und wie ist Dein Blick auf den MINT-Arbeitsmarkt
Thomas Hense: Stellenanzeigen sind nach wie vor das meistgenutzte Recruitinginstrument überhaupt. In dem Moment, in dem wir uns gerade hier unterhalten, sind laut dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung – Wirtschaftsflaute hin oder her – rund 1,2 Millionen Stellenanzeigen online. Das ist eine gewaltige Zahl, die die Bedeutung derselben noch einmal unterstreicht, auch und gerade im Kontext gefragter Talente, wie es MINT-Beschäftigte nun einmal sind.
Wir haben gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut bilendi insgesamt 1.000 Beschäftigte zu ihrem Umgang mit Stellenanzeigen befragt. Wir wollten mit unserer repräsentativen Studie vor allem wissen, wie MINT Talente mit Ausschreibungen umgehen. Deshalb kommt die Hälfte der Teilnehmenden an unserer Studie aus dem MINT-Segment. Wir wollten wissen, welche Abschnitte einer Stellenanzeige für die Befragten besonders wichtig sind, wie hoch ihre Aufmerksamkeitsspanne für welchen Bereich ist, wann sie Stellenanzeigen lesen und welche Ansprache sie sich wünschen.
SAATKORN: Nutzen MINT-Kandidat*innen überhaupt noch Stellenanzeigen oder warten Sie nicht eher auf den Headhunter-Anruf?
Thomas Hense: Die Stellenanzeige ist keineswegs tot, wie oft behauptet wird, sondern bleibt das zentrale Element aller Recruiting-Aktivitäten – auch und gerade bei gefragten Kandidat*innen. Im Schnitt nutzen 90 % aller Befragten Ausschreibungen von Arbeitgebern auf Stellenportalen, Karrierewebseiten oder in Zeitungen, um sich beruflich zu orientieren. Der Anteil der MINT-Bewerbenden ist dabei sogar noch größer als der für die Berufsfelder außerhalb des MINT-Segmentes. Wir sehen also: Hochqualifizierte Kandidat*innen mit akademischem Hintergrund warten nicht auf den Anruf des Headhunters, sondern werden mitunter selbst aktiv und scannen den Talentmarkt über Stellenanzeigen ab – mehr noch als nichtakademische Fachkräfte das tun. Der Drang, den eigenen Marktwert zu kennen, ist bei Akademiker*innen nach wie vor sehr ausgeprägt.
SAATKORN: Was ist MINT-Kandidat*innen besonders wichtig, wenn sie Stellenanzeigen für ihre Jobsuche nutzen?
Thomas Hense: Die Aufgabenbeschreibung und das Anforderungsprofil sind und bleiben die zentralen Elemente einer Stellenanzeige. Das trifft gleichermaßen auf MINT-Kandidat*innen wie auf die Mehrheit aller anderen Kandidat*innen zu. Besonders hervorzuheben ist dabei die Bedeutung der Aufgabenbeschreibung: Über drei Viertel der Nicht-MINT-Bewerber und knapp zwei Drittel der MINT-Kandidat*innen (65 %) schenken ihr besondere Aufmerksamkeit. Ähnlich hohe Werte erzielt das Anforderungsprofil, das von vielen allerdings eng mit der Aufgabenbeschreibung verknüpft wird. Interessant ist nämlich, dass viele Kandidat*innen das Anforderungsprofil zwar für wichtig halten, sich aber gleichzeitig wünschen, dass dieses in der Aufgabenbeschreibung aufgeht. Daraus lässt sich eine spannende Erkenntnis für Recruiter*innen ableiten: Denn, wenn es Arbeitgebern gelingt, die Aufgabenbeschreibung so zu formulieren, dass sich das Anforderungsprofil daraus ableiten lässt, können über 55 % der MINT-Bewerber und 40 % der übrigen Bewerber auf das Anforderungsprofil verzichten. Ein konkretes Beispiel: Wird in der Aufgabenbeschreibung bereits auf die Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen eingegangen, erübrigt es sich, Englischkenntnisse zusätzlich im Anforderungsprofil zu erwähnen. Dies ließe sich mit zahlreichen Anforderungen fortsetzen.
SAATKORN: Du hast bereits erwähnt, dass gerade MINT-Beschäftigte auch jetzt schwer zu finden sind. Arbeitgeber sollten sie in Stellenanzeigen also mit ihren Leistungen überzeugen. Wie schauen die Kandidat*innen auf diese?
Thomas Hense: Die Arbeitgeberleistungen, meist im „Wir bieten“-Bereich einer Stellenanzeige zusammengefasst, zählen traditionell zu den zentralen Inhalten einer Ausschreibung. In einem kandidatenorientierten Arbeitsmarkt sollte diesem Abschnitt arbeitgeberseitig besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden – vor allem, da ein großer Teil der Bewerber hier gezielt hinschaut. Über die Hälfte der MINT-Kandidat*innen lesen diesen Bereich mit besonderer Sorgfalt. Dennoch zeigt sich, dass viele Befragte gerade mit diesem Aspekt unzufrieden sind. Ein Viertel der MINT-Kandidat*innen und mehr als ein Drittel der Nicht-MINT-Bewerber sehen in diesem Bereich klaren Verbesserungsbedarf.
SAATKORN: Wenn wir auf die Anforderungen der Arbeitgeber sowie deren Angebot an die Kandidat*innen schauen, wieviel davon muss aus Kandidatensicht übereinstimmen, damit es zur letztendlichen Bewerbungsentscheidung kommt?
Thomas Hense: Die Mehrheit der MINT-Bewerberinnen ist der Ansicht, dass es ausreicht, drei Anforderungen eines Arbeitgebers zu erfüllen, um sich auf eine Stelle zu bewerben. Im Vergleich dazu zeigen sich Bewerberinnen aus anderen Berufssegmenten etwas zurückhaltender und streben eher danach, vier Voraussetzungen zu erfüllen. Bei den angebotenen Leistungen eines Arbeitgebers erwarten MINT-Kandidat*innen drei bis vier überzeugende Argumente, um sich für eine Bewerbung zu entscheiden.
Diese Ergebnisse beinhalten wichtige Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber: So scheint es ratsam, sorgfältig abzuwägen, welche Anforderungen tatsächlich in einer Stellenanzeige aufgeführt werden müssen, um vielversprechende Talente nicht schon frühzeitig abzuschrecken. Zudem sollten die angebotenen Arbeitgeberleistungen so gestaltet sein, dass sie in ihrer Summe die Anzahl der genannten Anforderungen übertreffen. Dabei geht es nicht um eine möglichst umfangreiche Liste beliebiger Benefits, sondern um eine gezielte Auswahl überzeugender Leistungen – von denen etwa 80 % wirklich überzeugen müssen.
SAATKORN: Stellenanzeigen werden oft für ihre austauschbare Tonalität kritisiert. Ist das auch der Blickwinkel der MINT-Bewerbenden?
Thomas Hense: Unsere Umfrage zeigt ein klares Bild: Drei Viertel der MINT-Kandidat*innen empfinden den Anteil austauschbarer Floskeln in Stellenanzeigen als zu hoch. Lediglich 8 % sehen darin kein Problem. Mehr als die Hälfte der Befragten sind außerdem der Meinung, dass viele Stellenanzeigen wie Behördentexte klingen. Eine ähnliche, wenn auch weniger ausgeprägte Wahrnehmung haben Bewerbende aus anderen Berufsfeldern. Arbeitgeber, die es schaffen, sich durch eine direkte Ansprache, aktive Formulierungen und den Verzicht auf übermäßige Substantivierungen abzuheben, positionieren sich deutlich vorteilhafter. Sie sprechen insbesondere jene Kandidat*innen an, die sich eine frischere und ansprechendere Kommunikation wünschen.
Interessant der Blick der MINT-Akademiker*innen auf englische Stellenanzeigen: 29 % der MINT-Kandidat*innen fühlen sich von diesen eher abgeschreckt und das, obwohl anzunehmen ist, dass sie kein Problem mit der Fremdsprache haben. Zum Vergleich: Bei Nicht-MINT-Bewerbenden sind das 35% – also nur unwesentlich mehr.
SAATKORN: Besonders relevant für Arbeitgeber ist die Frage, wo MINT-Talente nach Stellen suchen. Habt Ihr auch das erhoben?
Thomas Hense: Natürlich – allein schon, um zu wissen, wo wir selbst stehen. Das Ergebnis hat uns bestätigt: Online-Jobbörsen wie jobtensor.com sind mit Abstand die wichtigste Anlaufstelle. Fast zwei Drittel der MINT-Kandidat*innen nutzen sie regelmäßig und aktiv bei der Jobsuche. Dies zeigt, dass auch in diesem gefragten akademischen Bereich eine hohe Bereitschaft zur aktiven Stellensuche besteht. An zweiter Stelle stehen Karriere-Websites der Arbeitgeber, die von MINT-Kandidat*innen mit einem überdurchschnittlichen Anteil von 40 % genutzt werden.
SAATKORN: Abschließend: Wie siehst Du die aktuelle Situation auf dem hiesigen Arbeitsmarkt?
Thomas Hense: Wir erleben gerade nach ungewöhnlich langer Zeit wieder, die Situation, dass der Arbeitsmarkt auf die konjunkturelle Lage reagiert. Selbst während der Pandemie waren solche Reaktionen in Anbetracht des Ausmaßes und natürlich auch durch staatliche Stützung noch relativ gering ausgeprägt. Zu Beginn des Ukrainekriegs und der daraus resultierenden Energieunsicherheit war das ähnlich. Nun sehen wir erstmals wieder, dass die Arbeitgeber defensiver werden. Das trifft aber aus unserer Sicht nicht auf weiterhin gefragte Profile, wie beispielsweise MINT-Beschäftigte, zu. Wir registrieren auf unserer Plattform nach wie vor eine hohe Anzahl an Ausschreibungen, was ein klares Anzeichen dafür ist, dass viele Arbeitgeber über die jetzige wirtschaftliche Situation hinausdenken. Das ist aus meiner Sicht auch der genau richtige Ansatz: Wer jetzt antizyklisch agiert, profitiert in späteren Boom-Zeiten, wenn der Personalmangel unmittelbar durchschlägt.
Dazu kommt: Die Demographie ist und bleibt, wie sie ist. Der daraus resultierende Fachkräftemangel bleibt ebenfalls ein ständiger Begleiter für Unternehmen. Eine interessante Trendence-Umfrage zum Ende des vergangenen Jahres hat gezeigt, dass dies auch die Sichtweise in den Unternehmen selbst ist. Demnach sehen viele Beschäftigte vor allem Personalthemen ganz oben auf der Agenda für dieses Jahr. 27,1% der Beschäftigten sehen den Fachkräftemangel als die wichtigste unternehmerische Aufgabe für 2025, noch vor der Bewältigung der aktuellen Marktsituation. Auch auf den weiteren Plätzen rangieren HR-Themen: Mitarbeiterbindung auf Position 4, das Wohlbefinden am Arbeitsplatz auf Rang 5 sowie die Mitarbeitersuche auf Rang 7. Diese Ergebnisse zeigen: Recruiting und HR setzen auch in den kommenden Jahren die wichtigsten Themen für Unternehmen.
Die Studie „Stellenanzeigen für MINT-Kandidat*innen“ steht hier kostenfrei zum Download bereit.
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