Recruiting Analytics und Recruiting KPIs: Ich habe dazu mit Stefan Kramer gesprochen, der gerade ein lesenswertes E-Book zu seinen Erfahrungen rund um Zahlen, Daten und Fakten im Recruiting veröffentlicht hat. Auf geht’s:
SAATKORN: Stefan, bitte stelle dich den SAATKORN Leser:innen doch kurz vor…
Seit fast 20 Jahren bin ich im HR Management tätig, die meiste Zeit davon im Recruiting. Aktuell arbeite ich als Geschäftsführer der WISAG Job & Karriere – ein Unternehmen innerhalb der WISAG Gruppe, das zum Ziel hat, die Personalbeschaffung in allen Unternehmensbereichen sicherzustellen. Die WISAG beschäftigt insgesamt mehr als 50.000 Mitarbeiter:innen in den Geschäftsbereichen Facility Management, Industrie und Aviation und rekrutiert deutschlandweit in großem Stil: mit Tausenden von Stellenanzeigen pro Jahr für mehr als 150 völlig unterschiedliche Tätigkeitsfelder und Qualifikationsstufen. Im September 2020 habe ich berufsbegleitend meinen MBA absolviert. Thema der Masterthesis war „Integration eines Multiposting- und Analytics-Tools zur kennzahlenbasierten Optimierung eines bestehenden Recruiting-Prozesses“.
WARUM SIND RECRUITING ANALYTICS SO WICHTIG?
SAATKORN: Was ist das Hauptproblem beim Thema Recruiting Analytics?
Recruiter:innen denken oft, dass sie alles im Griff haben. Tatsächlich erleichtert uns ein gut funktionierendes digitales Bewerbermanagementsystem (BMS) den Alltag enorm und gibt uns das gute Gefühl, digital zu rekrutieren. Doch löst der Einsatz eines BMS allein nach meiner Erfahrung nicht die Anforderungen an die Digitalisierung der Personalgewinnung. Es gilt, den Recruitingprozess konsistent, digital und langfristig über Kennzahlen zu steuern und fortlaufend zu optimieren.
Grund für das aktuelle Problem ist die schlechte Datenlage. Zwar können die meisten BMS die Zahl von Bewerbungen von unterschiedlichen Jobboards erfassen. Es ist aber unmöglich auf dieser Grundlage nachzuvollziehen, wie viele geeignete Bewerbungen wirklich auf eine bestimmte Stellenanzeige erfolgt sind. Die Jobboards selbst liefern zwar eigene Klickzahlen, aber jeder Anbieter erhebt die Zahlen auf ganz unterschiedliche Weise, so dass Recruiter:innen dann eigentlich ständig Äpfel mit Birnen vergleichen müssten. Wenn ich Google Analytics nutze, weiß ich am Ende nicht, wie viele Menschen sich tatsächlich auf eine konkrete Anzeige beworben haben und woher sie kommen. Last but not least: Es fehlt bei den meisten vorhanden Daten-Möglichkeiten der Link zwischen quantitativen Kennzahlen (Anzahl Bewerber pro Stelle) und der Qualität der Bewerbungen.
SAATKORN: Wie bist du in das Thema Recruiting Analytics eingestiegen?
Als Geschäftsführer und Vollblut-Recruiter wollte ich mich irgendwann einfach nicht länger auf mein „Bauchgefühl“ verlassen. Bauch habe ich zwar genug, von daher stimmten an der Stelle die Voraussetzungen, ich fand die schlechte Datenlage aber höchst unbefriedigend. Ich schaute mich auf dem Markt um, welche Software-Lösungen es auf dem Markt für Recruiting Analytics gibt und stieß durch eine Empfehlung auf den GOhiring-Gründer Florian Behn. Auf dem Weg zu einem Krankenbesuch rief ich Florian an und telefonierte dann eine Stunde auf einem Parkplatz mit ihm. Sein Ansatz schlug mich sofort in den Bann: Florian erzählte mir, dass GOhiring mit bidirektionalen Schnittstellen arbeitet (Push-APIs statt der unidirektionalen XML-Feeds), mit deren Hilfe Daten zu den Jobboards hin und wieder zurück verfolgt werden können. Das war genau das, was ich suchte. Wir vereinbarten dann in der Folge, dass die WISAG als Pilotkunde die Analytics-Software von GOhiring einsetzen und im Gegenzug echte Daten zur Verfügung stellen würde – natürlich 100% anonymisiert und DSGVO konform. Unser normales BMS Concludis lief als Basis weiter, darauf sattelten wir GOhiring auf. Selbstredend setzten wir auch die Multiposting-Lösung von GOhiring ein. Denn ein vollautomatisiertes Multiposting ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man überhaupt Recruiting-Daten auswerten kann.
SAATKORN: Was waren die drei wichtigsten Erkenntnisse auf deinem Weg in die Recruiting Analytics?
- Recruiter:innen sollten nicht ausschließlich auf Daten vertrauen, die von Jobbörsen stammen: Denn die Jobboards bieten Kennzahlen an, die alle unterschiedlich gemessen werden. Das heißt zum Beispiel, dass die Kennzahlen von unterschiedlichen Jobboards nicht 1:1 miteinander vergleichbar sind. Nur dieser Vergleich kann aber letztlich zu Aussagen dazu führen, welche Jobbörse bei welcher Zielgruppe und Position in einer bestimmten Region am besten funktioniert.
- Einfach mal anfangen selbst zu messen: Je früher rekrutierende Unternehmen anfangen, Kennzahlen zu messen, desto größer ist die verfügbare Datenbasis. Je besser die Datengrundlage ist, je genauer die Recruiting KPIs vorliegen, desto verlässlicher können Recruiter:innen den Prozess steuern und verlässliche Voraussagen für die Zukunft ableiten.
- Recruiter:innen können schneller Stellen besetzen, wenn sie wissen, was sie tun. Wenn man weiß, welche Boards funktionieren, kann man dadurch Kosten sparen, aber auch Zeit. Denn man schaltet direkt und ausschließlich auf solchen Boards, die für die ausgeschriebene Position funktionieren. Dadurch sinkt der Aufwand, das Ergebnis verbessert sich. Insbesondere bei Positionen mit knappem Kandidatenangebot entscheidet die Time to Hire über den Erfolg.
WICHTIGE RECRUITING KPIs
SAATKORN: Du hast dich sehr viel mit Kennzahlen im Recruiting beschäftigt. Kannst du ein paar Beispiele für Recruiting KPIs nennen?
Es gibt viele Recruiting KPIs – je nach den individuellen Zielen der rekrutierenden Organisation sind sie unterschiedlich wichtig. Wenn es um die Besetzung von Stellen in Engpasszielgruppen geht, wird bei vielen Recruitern die Time to Hire wichtig, denn gute Kandidaten sind nur sehr kurz am Markt und landen schnell beim Wettbewerb. Natürlich sind Kostenkennzahlen eine entscheidende Größe. Die Cost per Hire (CpH) ist aktuell schwer en vogue, also die Frage, was eine konkrete Besetzung kostet. Da kommen aber weitere Faktoren ins Spiel: Etwa die Zahl der vergleichbaren Vakanzen im Unternehmen sowie die Frage, ob Kandidat:innen das Jobangebot überhaupt annehmen.
Wir haben einmal die Position für eine(n) Elektriker:in für 900 Euro Schaltungskosten besetzt (CpH). Die Schaltung lieferte aber drei qualifizierte Kandidaten. Die zwei anderen Kandidaten waren noch in der Pipeline, als die gleiche Stelle noch einmal ausgeschrieben wurde. Einer der beiden „überzähligen“ Kandidaten nahm die neu ausgeschriebene Position an. Das heißt, die durchschnittlichen Besetzungskosten (average Cost per Hire oder aCpH) für die beiden Stellen lagen bei 450 Euro (900 für Position 1, 0 Euro für Position 2).
SAATKORN: Gibt es so etwas wie die „Killerkennzahl“, die am wichtigsten für Recruiter:innen ist?
Das eben ausgeführte Beispiel führt mich schnurstracks zur gewünschten „Killerkennzahl“ – falls es denn eine solche gibt: Die Cost per qualified Applicant (CpqA). Sie liegt in unserem gerade diskutierten Fall bei 300 Euro (drei qualifizierte Bewerbungen bei 900 Euro Schaltungskosten). Gerade in Großunternehmen mit vielen Einstellungen und offenen Vakanzen ist diese Kennzahl sehr wichtig, weil sie grundsätzlich Auskunft darüber gibt, wie viel es Recruiter:innen kostet, qualifizierte Bewerber:innen aus einer bestimmten Zielgruppe für eine bestimmte Region in greifbare Nähe zu bekommen.
Ihr Wert schlägt den der Cost per Applicant (CpA) um Längen, denn bei dieser Kennzahl geht es einfach nur darum, wie viel eine Bewerbung kostet, nicht um Qualität. Der Unterschied zwischen CpA und CpqA, das heißt der Bezug zur Qualität, ist für die Steuerung des Prozesses entscheidend. Eine niedrige CpA ist an sich kein sinnvolles Ziel, denn viele Bewerber senken zwar die CpA, verursachen aber hohe Prozesskosten. Um bei dem Beispiel mit dem Elektriker zu bleiben: Damals gingen 10 Bewerbungen ein, die CpA lag bei 90 Euro. Bei einem Eingang von 100 Bewerbungen wäre die CpA deutlich niedriger (9 Euro). Nur was hätte das Unternehmen damit gewonnen? Wenn von 100 Bewerbungen nur 3 passen, ist die Bewerbermasse fürs Recruiting ein Eigentor.
SAATKORN: Was ist Predictive Recruiting und warum sollten sich Recruiter damit beschäftigen?
Predictive Recruting heißt für mich: Daten rückwärts auswerten und vorwärts weiterdenken. Um möglichst präzise Vorhersagen über den Recruitingerfolg treffen zu können, braucht man große Datenmengen. Grundlage hierfür sind natürlich gemessene Daten aus realen Transaktionen, die strukturiert in einem DataWarehouse abgelegt werden. Recruiter können dann darauf zugreifen und sind nicht auf fremde Daten angewiesen. Im Fall der WISAG hat GOhiring das DataWarehouse (also die Datenbank) gebaut, Daten gesammelt und sie dort benutzbar gemacht. Wenn wir zum Beispiel mehrmals eine Stelle für einen Elektriker in Stuttgart ausschreiben, werden die Daten von Ausschreibung, Rücklauf und Besetzungszeiten dort gespeichert. Dann wissen wir beim nächsten Mal, wie viele Bewerbungen wir brauchen, um die Stelle in der Region zu besetzen und welche Jobboards dafür am besten funktionieren. Deshalb ist es wichtig, möglichst schnell in das Thema einzusteigen. Daten sind Gold für Recruiter:innen!
SAATKORN: Wie können SAATKORN-Leser:innen Dein Recruiting Analytics E-Book bestellen?
Das E-Book steht kostenlos zum Download auf meiner Website zur Verfügung. Rückfragen zum Thema gerne an mich (Kontaktdaten finden sich auf der Website, im E-Book oder auf Xing, LinkedIn).
SAATKORN: Stefan, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Und weiterhin viel Spaß und Erfolg mit Recruiting Analytics und Recruiting KPIs!
Und als kleiner Service: wer jetzt mehr Lust auf Recruiting Analytics hat, dem empfehle ich folgenden SAATKORN Podcast mit Daniel Mühlbauer (zu dem ein zweiter Teil bereits in Arbeit ist):