Bildung, Freiheit und Leidenschaft – 3 Begriffe, die leider viel zu selten in einen Zusammenhang gebracht werden. Eigentlich gilt in den meisten Fällen ein sehr unfreiheitlicher Bildungsgedanke: Kind, werd was, womit Du Geld verdienen kannst, Du sollst auf eigenen Füßen stehen können. Werd doch Informatiker und Deine Zukunft ist sicher.
Was aber, wenn das Kind gar kein Informatiker werden WILL? – Wenn die eigene Leidenschaft in eine ganz andere Richtung geht? – Wenn Kind eigentlich freiheitlich entscheiden möchte? – Als Vater von 4 Kindern im Alter von 5, 7, 12 und 16 Jahren könnte ich dazu Einiges sagen. Aber das muss ich nicht, denn kürzlich stolperte ich auf facebook über einen Kommentar des heutigen saatkorn. Gastautoren Ali Mahlodji, der seine Gedanken zu Bildung, Freiheit und Leidenschaft so aufgeschrieben hat, wie ich es definitiv nicht besser könnte. Von daher danke ich Ali für sein OK, seine Gedanken als Gastautor auf saatkorn. zweitzuverwerten.
Auf geht’s, Vorhang auf für Ali Mahlodji zum Thema Bildung:
Wir haben aktuell die Thematik, dass „die Wirtschaft“ das Bildungswesen auffordert, endlich die richtigen Fächer zu unterrichten. Oft wird von Programmieren und ähnlichen Bereichen geredet und was man immer öfter hört, sind großspurige Aussagen a la „die Wirtschaft bekommt nicht die Leute, die es braucht“. Okay … mag stimmen und ja, wir sind nicht so aufgestellt, wie es die technische Wirtschaftswelt gerne hätte.
Stimmt.
Doch, was passiert denn, wenn wir das Bildungswesen daran ausrichten, dass alle Schüler darauf vorbereitet werden? – Es bedeutet, man sieht sich die Anforderungen der Wirtschaft an und dann passt man danach den Lehrplan an. Also ca. so wie am Anfang der Industrialisierung, wo es die Anforderung der Wirtschaft war, die dazu geführt hat, dass wir alle Kinder gleich benoten, alle das selbe lernen und das System so aufgestellt war, dass Gehorsam vor „Neugierde“ gestellt wurde.
Heute schimpfen viele, die bisher NULL für Bildung getan haben, über das System und fordern den selben Vorgang, wie schon damals am Anbeginn der Industrialisierung. Nämlich, das Kinder als Objekte zu Wünschen der Wirtschaft degradiert werden. Wenn in Kind einfach kein Programmieren oder technische Fächer mag und es keine Neugierde und Lust hervorruft, ist es fatal, arrogant und kurzsichtig, diesen Kindern zu raten, dass sie das lernen sollen, „weil es da mal gute Jobchancen gibt“.
Es herrscht hier ein hochgradiger Denkfehler vor.
Wir wissen nämlich nicht, wie die Welt in 10 Jahren aussieht, weil es auch laut World Economic Forum Studie, 65% der Jobs, die wir in 10 Jahren machen, noch nicht gibt
Schon heute ist es so, dass von den über 100.000 Jobtiteln, wir heute haben, 50% vor 10 Jahren nicht existiert haben.
Mir wurde als Kind von den ganzen „intelligenten“ Vorzeige-Chefs erklärt, dass ich etwas mit Finanzen machen soll, weil „da wird man in Zukunft immer Leute brauchen“. Abgeschlossen wurden solche Weisheiten mit „die Wirtschaft braucht solche Leute“.
2008 kam die Finanzkrise und mit ihr wurden hoffentlich auch alle Propheten der glorreichen Zukunft begraben.
Einem Kind heute zu sagen, was es lernen soll, weil die Wirtschaft das so will, führt dazu, dass wir wieder ein Bildungssystem haben, dass die heutigen Probleme bewältigen soll, doch unter keiner Garantie für die nächsten 50 bis 100 Jahre ausgerichtet ist. Digitalisierung ist wichtig, sehr sogar, weil es in den Alltag einfließt und wundervolle Möglichkeiten bringt.
Sogar meine Firma whatchado ist das Digitalisieren von Lebensgeschichten. Doch kann ich auch sagen, dass ich nach Besuchen von über 60.000 Schülern sagen kann, dass man Kindern nicht sagen darf, was „gefordert“ wird. Diese Erwartungshaltung ist es, die unsere Generationen heute schon in Angst versetzt und den Stresslevel in ein Ausmass getrieben hat, in denen die Verschreibung von Antidepressiva wie ein Hockeystick ansteigt und zeitgleich die Krankenstandstage fast unverändert bleiben. Wer fordert, dass Kinder Dinge lernen, die die Wirtschaft will, der fordert ein System von Hühnern in Massentierhaltung.
Was ich fordere und was das Einzige ist, dass unsere Zukunft sichert, sind Bildungsorte, die Kinder dazu bringen, ihre Talente und ihre Neugierde zu wecken.
Ob diese dann Programmieren lernen oder lieber etwas handwerkliches machen wollen … das ist eine Entscheidung, die nur das Kind treffen darf und soll.
Alles andere ist das Schaffen von Erwartungshaltungen, die nichts mit dem Potential des Menschen zu tun haben, sondern mit dem Gedanken an Umsatz, Wachstum und einer kurzfristigen Erfolgsthematik.
Nachhaltig bringt uns diese „die Schule ist für die Wirtschaft da“-Gedanke da hin, dass in 100 Jahren sich die Generationen fragen werden, warum zum Henker das Bildungswesen immer noch so starr ist.
Freiheit der Gedanken den Kindern zu lehren schafft freie Kulturen und Generationen, die mit allen Herausforderungen umgehen können.
Einschränken und auf Erfolg einschwören, begrenz den Horizont und schafft Lemminge der Wirtschaft .. ja, gut bezahlte vielleicht, doch arm im persönlichen Wachstum.
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Disclaimer:
Ali Mahlodji, der Autor dieser Zeilen ist gelernter Software Engineer (Ausbildung an der HTL Spengergasse) und hat zusätzlich einen Bachelor of Science in „Distributed Computersystems“, hat jahrelang in der IT gearbeitet und atmet digital … und betreibt auch die digitale Berufsorientierungsplattform whatchado.
Ali Mahlodji wurde 1981 in Teheran geboren, kam mit zwei Jahren als Flüchtlingskind nach Österreich und brach mit 18 Jahren die Schule ab. Später hat er das Studium der Informationstechnologie abgeschlossen. Heute ist er Mitte 30 und hat in seinem Leben über 40 verschiedene Jobs ausgeübt – von der Putzhilfe bis zum Manager bis hin zum Lehrer, Gründer und Geschäftsführer, Chief Visionary und Chief Storyteller von whatchado. 2013 wurde Ali von der Europäischen Union zum EU-Jugendbotschafter auf Lebenszeit ernannt.
Kürzlich erhielt er den ‚New Work Award 2017‘ in Berlin. Er plädiert für Achtsamkeit und Selbstwirksamkeit im Berufsalltag und ist davon überzeugt, dass wir alle die Welt jeden Tag ein Stückchen besser machen können.