New Work – zum 15 jährigen Geburtstag von XING gibt’s 15 x Zukunft der Arbeit. Hier alle Hintergründe im New Work Interview mit Jennifer Lachman von XING und Trendforscher Peter Wippermann. – Have fun:
saatkorn.: Bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor!
Jennifer Lachman: Ich bin seit mehr als drei Jahren Chefredakteurin bei XING und verantworte inzwischen sämtliche News-Angebote. In der Zeit haben wir unser Angebot ständig erweitert. Gestartet mit XING Klartext bieten wir mittlerweile Videoformate und bauen unser Programm für XING Insider, die als Experten auf XING bloggen möchten, immer weiter aus und möchten auch in Zukunft expandieren. Ich komme aus dem klassischen Wirtschaftsjournalismus und habe vorher unter anderem für Capital, FTD und den NDR gearbeitet. Etwas persönliches, das unter meinen lieben Kollegen aktuell für Erheiterung sorgt, ist, dass ich seit einem guten Jahr Deutsche bin. Ich bin zwar hier aufgewachsen, aber in England geboren und habe mich im Kontext vom Brexit dazu entschieden, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Peter Wippermann: Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit der Zukunftsforschung. Begonnen hat das 1990 mit meiner Tätigkeit als Herausgeber des Zukunftsmagazins „Übermorgen“ für Philip Morris, für die ich anschließend die Veranstaltungsreihe „Talk with Tomorrow“ konzipiert habe. Das mündete schließlich in der Gründung meiner Firma „Trendbüro“ in Hamburg, mit der ich bis heute Unternehmen berate.
saatkorn.: Anlässlich des 15-jährigen Bestehens von XING findet gerade die Kampagne „15 x Zukunft“ statt. Was hat es damit auf sich, was sind die zentralen Themen für die Zukunft der Arbeitswelt, zum Thema New Work?
Jennifer Lachman: Als wir uns darüber Gedanken gemacht haben, wie wir den 15. Geburtstag von XING feiern möchten, war uns sofort klar, dass es nicht um einen Rückblick gehen kann. Wir wollten nach vorne schauen, in die Zukunft. Zudem wollten wir unbedingt unsere Mitglieder einbeziehen und ihnen eine Plattform bieten. Dabei herausgekommen ist unsere Kampagne „15 x Zukunft“, die wir vergangene Woche gestartet haben. Grundlage ist das „New Work Trendbook“, in dem wir gemeinsam mit Peter Wippermann die 15 wichtigsten Trends zur Zukunft der Arbeit zusammengefasst haben. Dazu gehören Themen wie „Robo-Recruiting“, „Gig-Working“ oder „Work-Life-Separation“ als Gegenreaktion auf das Verschmelzen von Arbeits- und Berufsleben.
Peter Wippermann: Die Digitalisierung sorgt für eine riesige Transformation der Arbeitswelt. Niemand von uns kann in die Glaskugel schauen, aber anhand von Erfahrungswerten, Prognosen und Studien lassen sich Wahrscheinlichkeiten dafür festlegen, welche Trends uns wirklich nachhaltig beschäftigen werden. Mit den 15 Trends möchten wir – neben der notwendigen kritischen Auseinandersetzung – auch die Betrachtung von Chancen und Potenzialen ins Zentrum der Diskussion rücken. Zudem haben wir die Möglichkeit genutzt, direkt die XING-Mitglieder nach ihrer Einschätzung zu den großen Trendlinien zu befragen, um die Prognosen einem Reality-Check zu unterziehen – mit einigen sehr spannenden Erkenntnissen!
Saatkorn: Wie sieht die Kampagne genau aus und wo findet sie statt?
Jennifer Lachman: Jeden Werktag nehmen wir uns einen Trend vor und lassen ihn intensiv auf unserer Plattform diskutieren. Während der dreiwöchigen Laufzeit nutzen wir die Debattenplattform XING Klartext als Hub. Werktäglich veröffentlichen wir Beiträge von Experten, New Work-Praktikern und -Kritikern und auch Nutzern, die kontroverse Positionen zu den Trends beziehen. Die Resonanz ist großartig: In der ersten Woche haben wir bereits mehr als 40 Beiträge veröffentlicht; das New Work Trendbook wurde nicht nur 15 mal, sondern bereits mehr als mehr als 90.000 mal heruntergeladen. Der Wandel der Arbeitswelt ist ganz offensichtlich ein Thema, das sehr viele Berufstätige umtreibt. Unsere Hoffnung ist, dass alle, die mit der Kampagne in Berührung kommen, etwas mitnehmen für ihre persönliche Zukunft der Arbeit.
saatkorn.: Sprechen wir zunächst über „Robo-Recruiting“. Was ist das überhaupt und warum ist das wichtig?
Peter Wippermann: Mit „Robo-Recruiting“ meinen wir den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Recruiting. KI wird Personaler künftig im Bewerbungsprozess massiv unterstützen und die Suche nach Mitarbeitern effizienter machen. Schon heute ist KI in Unternehmen im Einsatz, um beispielsweise automatisierte Telefoninterviews zu führen und Bewerbungen zu analysieren. Unternehmen können dadurch viel Zeit sparen und Prozesse systematisieren. Gerade, wenn man an Firmen denkt, die eine Vielzahl an Bewerbungen erhalten, steckt darin ein enormes Potenzial.
Jennifer Lachman: In der Gegenwart sind die Personalabteilungen noch sehr zurückhaltend. Gerade einmal vier Prozent der mehr als 170 befragten Personaler aus dem XING-Netzwerk setzen derzeit KI im Recruiting ein. Für die Zukunft wird der Technik allerdings große Bedeutung zugeschrieben: 87 Prozent der befragten Personaler gehen davon aus, dass sie in 15 Jahren einen wesentlichen Anteil bei der Auswahl von Kandidaten haben wird. 19 Prozent denken sogar, dass KI besser über die Eignung von Kandidaten entscheiden kann, als es einem Menschen möglich wäre.
saatkorn.: Als Nächstes steht das Thema „Cultural Fit“ auf der Agenda. Was steckt da dahinter?
Peter Wippermann: Fast alle Unternehmen versuchen heute ihre eigene Kultur zu stärken und auszubauen. Die Unternehmenskultur ist von entscheidender Bedeutung im War for Talents. Nur Unternehmen mit ansprechender und offener Kultur werden die zukünftigen Talente von sich überzeugen können. Die Idee hinter dem Cultural Fit: Wer mit seiner Persönlichkeit und Arbeitsweise besser in die Kultur passt, wird produktiver und erfolgreicher sein und letztlich auch loyaler gegenüber seinem Arbeitgeber. Wir alle kennen eine Vielzahl an Paaren, die sich über Datingplattformen kennengelernt haben. Diese Matchingalgorithmen werden auch in der HR immer stärker Einzug erhalten. Ich bin sicher, dass Cultural Fit immer wichtiger wird. Und die Personaler auf XING sehen es heute schon so: Fast Dreiviertel der Personaler erwarten, dass Unternehmen in 15 Jahren in jedem Recruitingprozess systematisch den Cultural Fit überprüfen werden.
saatkorn.: Kommen wir zum Thema „Diversity“. Welche Treiber stecken Ihrer Meinung nach hinter diesem Trend?
Jennifer Lachman: Unsere Gesellschaft ist diverser und offener geworden. Das lässt sich auch ganz faktisch an politischen Entscheidungen erkennen: Diversität ist mittlerweile Teil unseres Selbstverständnisses – nehmen wir zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe. Diese Vielfalt zeigt sich aber noch nicht ausreichend im Arbeitsleben. Zu viele Unternehmen werden auch heute noch ausschließlich von Männern geführt, die einen vergleichbaren kulturellen und auch akademischen Hintergrund haben. Das zeigt, wie träge die Entwicklungen tatsächlich sind. Es dauert leider viel zu lange, bis die gesellschaftliche Realität sich auch in Unternehmen niederschlägt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Unternehmen, die sich in diesem Bereich schneller bewegen, einen riesigen Wettbewerbsvorteil haben werden. Jetzt und auch in der Zukunft. Ein konsequentes Diversitymanagement wird in 15 Jahren selbstverständlich sein und sich auch wirtschaftlich auszahlen. Davon sind auch die befragten Personaler überzeugt: 78 Prozent gehen davon aus, dass Vielfalt eine Firma langfristig erfolgreicher machen kann. Interessanterweise berücksichtigt aber aktuell nur gut die Hälfte Vielfalt als Kriterium bei der Bewerberauswahl.
saatkorn.: „Coworking“ ist das vierte New Work Thema, welches diskutiert werden wird. Wie hat sich dieses Thema in den letzten Jahren entwickelt?
Peter Wippermann: Coworking boomt. Viele Unternehmen schätzen die Flexibilität in der Planung, die ihnen Coworking-Places bieten. Die Berufstätigen freuen sich, in inspirierender Umgebung dem Office-Trott zu entkommen. Freelancer wiederum können dort Netzwerke knüpfen und kollaborieren. Das Modell ist damit in der Gegenwart sehr erfolgreich. Ich sehe es allerdings nur als eine Vorstufe eines zukünftigen virtuellen Coworkings. Virtual Reality wird Bewerbern nicht nur ein realistisches Bild des potenziellen Arbeitgebers zeigen, sondern in Form von Avataren die Arbeitskollegen detailgetreu abbilden, die sich an einem anderen Ort befinden. Die Berufstätigen der Zukunft müssen nicht mehr physisch zusammentreffen, um Projekte zu besprechen, zu brainstormen oder Entscheidungen zu fällen.
saatkorn.: Schließlich kommen wir zum „Selfmanagement“. Wie würden Sie dieses Thema definieren?
Jennifer Lachman: Die Arbeitswelt ist natürlich wie alles im Leben dialektisch. Neue Rechte kommen nicht ohne Pflichten. Aber das ist auch gut so. In dem Maße, wie Hierarchien flacher werden und agile Arbeitsweisen Einzug in die Arbeitswelt erhalten, geht mehr Verantwortung auf den einzelnen Berufstätigen über. Es liegt an ihm oder ihr, sich zu organisieren und die eigene Arbeit verantwortungsvoll im Sinne des Unternehmenserfolges zu erledigen. Die Zeiten des Micromanagements gehen zu Ende. Die Chefs werden keine Wege zum Ziel mehr vorgeben, sondern nur noch das Ziel an sich. Wie die Berufstätigen dorthin kommen, bleibt ihnen selbst überlassen – sie gehen ins Selfmanagement, in die Eigenverantwortung. Dieser Sinneswandel wird nicht allen Mitarbeitern leicht fallen, schon gar nicht denjenigen, die bisher nur Dienst nach Vorschrift gemacht haben. Ich kann aber nur empfehlen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Jeder siebte Personaler glaubt, dass es in 15 Jahren im eigenen Unternehmen keine Hierarchien und Vorgesetzte mehr geben wird. Also spätestens dann sollte der Schalter umgelegt sind. Wer sich auf den Wandel einlässt, dem eröffnen sich große Chancen, seine Potenziale ganz neu zu entfalten, sich weiter zu entwickeln und noch glücklicher auf der Arbeit zu werden.
saatkorn.: Wenn Sie für sich diese Themen priorisieren sollten von der Wichtigkeit für die Arbeitswelt der Zukunft, wie sähe die Priorisierung dann aus?
Peter Wippermann: Revolutionäre Techniken wie künstliche Intelligenz oder Virtual Reality werden sicherlich ein sehr großer Treiber für Veränderungen sein und große Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und damit auch auf das Arbeitsleben haben. Die apokalyptischen Szenarien vom Ende der Erwerbsarbeit, wie wir sie kennen, halte ich hingegen für übertrieben. Wir haben in Deutschland gerade nahezu Vollbeschäftigung, obwohl die Digitalisierung schon seit Jahrzehnten unser Arbeitsleben verändert. Klar ist: Man muss sich mit den Veränderungen auseinandersetzen und kritische Entwicklungen verhindern. Berufstätige sind schon heute stark für die wachsende Bedeutung von KI sensibilisiert. 92 Prozent der Befragten aus dem XING-Netzwerk halten einen Kodex, also übergreifende Regeln für den ethischen Umgang mit intelligenten Algorithmen, für notwendig. Bei keiner anderen Fragestellung haben wir ein so klares Votum erhalten.
Jennifer Lachman: Ich denke, es ist das eine, sich auf die technischen Veränderungen einzustellen, die fraglos auf uns zukommen werden. Das andere ist, die Chancen zu ergreifen, die uns der Wandel der Arbeitswelt darüber hinaus eröffnet. Wir sollten uns bewusst machen, dass wir die Arbeitswelt heute nach unseren Vorstellungen und Wünschen verändern können. Da geht es um Themen wie neue Berufsbilder, die wir heute noch gar nicht kennen, abwechslungsreiche Lebensläufe, lebenslanges Lernen oder selbstbestimmtes Gig-Working, weil man flexibler und freier arbeiten möchte. Am Ende – das ist auch das Gute daran – kann jeder selbst für sich priorisieren und ein Stück weit auch seine eigene Zukunft der Arbeit gestalten. Wir freuen uns, wenn wir mit unserer „15 x Zukunft“ hierfür Anregungen und Impulse liefern können.
saatkorn.: Und wenn Sie einmal 15 Jahre zurückschauen – in welchem Themengebiet haben sich Ihrer Meinung nach die gravierendsten Veränderungen hin zu New Work ergeben?
Peter Wippermann: Klar, das ist die Digitalisierung. Als XING vor 15 Jahren gegründet wurde, gab es noch kein iPhone. Facebook und Twitter existierten noch nicht. Innovationen werden heutzutage binnen kürzester Zeit zum selbstverständlichen Begleiter im Alltag und im Beruf. Sie werden nicht nur zu elementaren Arbeitsmitteln, sondern verändern auch die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und Arbeit organisieren. New Work erfordert zudem eine neue Haltung im Recruiting. Es reicht nicht mehr auf neue Bewerber zu warten, wie in der alten Post-and-Pray-Ära – man muss nicht nur aktiv nach ihnen suchen. Man muss sie regelrecht umgarnen und vom eigenen Unternehmen überzeugen. Daher empfehle ich allen HRlern, sich zu den drängenden Themen unserer Zeit eine Meinung zu bilden und zu überlegen, wie sich diese Trends für eine ganz persönliche Weiterentwicklung nutzen lassen.
saatkorn.: Was sind Ihre Erwartungen für die Diskussionen in dieser Woche auf XING? – Eher ein laues Lüftchen oder massiver Diskussionsbedarf?
Jennifer Lachman: Wir starten gleich Montag mit der Diskussion über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Recruiting – ein Thema, das die Gemüter erregt. Da geht es ans Eingemachte, ans Selbstverständnis von uns Menschen. Daher gehe ich von spannenden Diskussionen aus. Henrik Zaborowski hat beispielweise einen wirklich lesenswerten Beitrag geschrieben. Nora Heer von Loopline Systems erzählt aus eigener Erfahrung, warum ihr KI einen ihrer besten Sales-Mitarbeiter niemals empfohlen hätte: Als Theologe passte er in keinen Algorithmus. Unsere Community ist bekannt dafür, sich intensiv, aber auch sachlich auszutauschen. Sowohl in den Kommentaren als auch darüber hinaus. Wer sich über die zurückliegenden Debatten informieren will, findet alle Beiträge unter www.xing.com/zukunft-der-arbeit gebündelt. Letzte Woche hat zum Beispiel einhorn-Gründer Waldemar Zeiler darüber geschrieben, warum er seinen Angestellten einen Therapeuten bezahlt oder Mirko Kaminski, warum er nichts vom Konzept der Work-Life-Separation hält.
saatkorn.: Das wird eine spannende Woche. 😉 Herzlichen Dank für das Interview rund um die zentralen Gedanken zum Thema New Work!