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„Mythos Fachkräftemangel“: Interview mit Autor Martin Gaedt

„Mythos Fachkräftemangel“: Interview mit Autor Martin Gaedt

Ich habe es zwar noch nicht ganz durch, aber das brandneu erschienene Buch von younect Macher Martin Gaedt ist definitiv eine Lese-Empfehlung für alle, die sich im weitesten Sinne mit Rekrutierung beschäftigen. Der schöne Titel „Mythos Fachkräftemangel“ bringt es auf den Punkt: Martin hinterfragt viele Selbstverständlichkeiten bzw drückt den Finger in die Wunde und zeigt, dass es viele Wege aus dem Status Quo (der oft eher eine „selfullfilling prophecy“ ist) gibt. Man muß es nur wirklich angehen und wollen.

Jetzt aber erstmal auf ins Interview mit dem frischgebackenen Autor und weiter unten Hinweise zur Buchverlosung. Auf geht’s:

saatkorn.: Lieber Martin, bitte erkläre den saatkorn.-LeserInnen doch, was Sie bei der Lektüre Deines Buches „Mythos Fachkräftemangel“ erwarten und auch nicht erwarten dürfen!
Klartext. „Starker Tobak! Aber fundiert!“, so ein Leser. Konkrete Beispiele. Tiefgang und breiten Überblick. Der Arbeitsmarkt aus vielen Perspektiven. Unterhaltsam geschrieben, so dass man den Mythos wie einen Roman in einem Zug durchlesen kann. Und natürlich zeige ich auch, was richtig gut läuft und einfach kopiert werden kann. Aber es ist kein Ratgeber: Tue 1., 2., 3. = glücklich.

saatkorn.: Was war der Treiber für Dich, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe extra ein Sachbuch geschrieben für Laien und Profis – von 17 bis 99 Jahren. Ich stelle Zahlen und Statistiken in einen nachvollziehbaren Kontext. Damit möchte ich eine breite Diskussion anstoßen.  Arbeit, Wirtschaft und Fachkräftegewinnung geht uns alle an. Jede einzelne Fachkraft, die verprellt wird und fehlt, hat einen Einfluss auf die Stadt und Region, in der wir leben. Es gibt so vieles, was ich beim Schreiben entdeckt habe und teile: 34 Milliarden Bildungsinvestitionen ausgewandert – alleine 2008. Von allen Deutschen haben nur 15 Prozent einen akademischen Grad. Was machen eigentlich die anderen 85 Prozent? Eine Million Schüler ohne Schulabschluss seit 1999. Bewerber und Unternehmen finden eher zufällig zusammen – wenn überhaupt. Bringen uns 1.583 Jobbörsen weiter? Oder eher Recruiting in Kooperation und 1:1-Mentoring wie bei Rock your life und Schülerpaten? Ich hinterfrage und füge neu zusammen.

 

saatkorn.: Ganz provokant heisst es bei Dir „Fuck Fachkräftemangel!“. Was willst Du damit sagen?
Solange die Mehrzahl guter Bewerber Absagen bekommt, widerspreche ich dem Mangel an Fachkräften vehement. Natürlich gibt es Mangel: Mangel an Respekt und Wertschätzung, Mangel an Unternehmenskultur und Perspektiven. Viele Betriebe praktizieren weiterhin eine Gutsherrenart gegenüber Bewerbern, die abschreckt.

Wer sich mit Bewerbern unterhält, kann nur mit dem Kopf schütteln, wie unverschämt Unternehmen gute Bewerber abwimmeln. Pauschal „Fachkräftemangel“ zu behaupten, ist einfach. Und einfach falsch. Im Buch gehe ich auf Statistiken ein, zeige fragwürdige Zahlen und massenhafte Verschwendung. „Das macht man halt so.“ NEIN! Es geht anders! Fachkräftemangel haben die Betriebe, die so weiter machen wie bisher. Seit 20 Jahren ist der demografische Wandel bekannt. Die Gesellschaft verändert sich. Wer geht im Recruiting ernsthaft neue Wege?

 

saatkorn.: „Die bekanntesten deutschen Unternehmen haben ihren Sitz in Großstädten, aber nur 10% aller Deutschen wohnen in Großstädten.“ – Was bedeutet das aus Deiner Sicht für die Unternehmen?
Überall gibt es interessante Unternehmen. Aber die öffentliche Wahrnehmung in den meisten Regionen lautet: „Hier gibt`s ja nichts“. Die Mehrzahl der Absolventen sagen in Marburg, Gießen, Aachen, Osnabrück und Brandenburg: „Hätte ich ein attraktives Angebot, würde ich am Studienort bleiben. Aber ich bekomme kein attraktives Angebot.“

 

Unternehmen müssen viel aktiver auf Bewerber zugehen. Warum auf Bewerbungen warten? Warten Unternehmen auf Kunden? Nein, sie machen aktiv Vertrieb. Auch Personalgewinnung funktioniert besser aktiv durch die gezielte Ansprache attraktiver Bewerber. Gleichzeitig müssen Unternehmen für Bewerber sichtbar und magnetisch anziehend werden. In unattraktiven Regionen noch viel mehr als in den Städten.

 

saatkorn.: „Werd doch Gärtner!“ – Diese Aufforderung nimmst Du zum Anlass, in die auch aus meiner Sicht dringend notwendige Debatte zum Thema „Berufsorientierung“ einzugreifen. Was ist Deine Sicht zu diesem Thema?
Schüler bekommen 15, 16, 17 Jahre lang Lerninhalte und Ziele vorgesetzt. Plötzlich wird erwartet, dass sie DIE Lebensentscheidung treffen und DEN Beruf finden. Ein totaler Irrglaube. Solange wir Berufswahl als DIE eine singuläre Entscheidung verstehen, werden wir Schüler überfordern.

Berufswahl ist ein langer Prozess: Interesse wecken – kennenlernen – vertiefen – ablehnen – neu orientieren – neues Interesse wecken – vertiefen – verwerfen – Frust – drittes Interesse, usw. Dieser Prozess bedarf Mut zum Ausprobieren und Unterstützung durch Eltern und Lehrer. Es gibt 345 Ausbildungsberufe und 6.000 Studiengänge. Dass die erste Wahl passt, ist extrem unwahrscheinlich. Solange wir das glauben, sind Abbrüche und Frust vorprogrammiert.

saatkorn.: Was sind die wichtigsten Handlungsempfehlungen aus Deiner Sicht Richtung Unternehmen und Politik?
Ich rate jedem Unternehmer und Geschäftsführer, sich in cognito in seinem Unternehmen zu bewerben. Wahrscheinlich wird er mit einer 08/15-Email abgespeist. Daher: Bitte keine 08/15-Emails an Bewerber. Sie verdienen eine schnelle, persönliche Antwort. Das wäre angemessen angesichts der Zeit und Mühe, die in jahrelangen Ausbildungen, Erfahrungen und Bewerbungen steckt. Ich rate Unternehmen, sich bei interessanten Personen aktiv zu bewerben. „Karriere“ muss sichtbar auf der eigenen Webseite herausstechen. Unternehmen und Politik sollten ihre erwachsene Arroganz und Gutsherrenart ablegen und nicht so tun, als wüssten sie alle. Wir wissen alle nicht, was die nächsten 10-20 Jahre auf uns zukommt, wir können es aber gemeinsam herausfinden und gestalten. Einzige Voraussetzung: Neugier und Lernbereitschaft. Und einfach mal machen, ausprobieren, lernen, verwerfen, machen, ausprobieren, usw. Die hundertste Tagung bringt uns nicht weiter. Besonders KMU sollten einfach bewährte Kooperationen auch im Recruiting nutzen und damit Branchen und Regionen stärken.

saatkorn.: Martin, vielen Dank für das Interview. Ich wünsche Dir mit Deinem Buch viel Erfolg!

Für alle saatkorn. LeserInnen hier der Hinweis: auf der saatkorn. facebook Seite werden 3 vom stolzen Autor signierte Exemplare des Buchs verlost. Bitte kurz argumentieren, warum ausgerechnet DU das Buch brauchst! – Viel Glück!

 

Für alle anderen: beim Klick auf das Bild könnt Ihr das Buch bestellen:

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