Mehr Diversity im Recruiting mit zeitversetzten Videointerviews
Wazu doch Awards immer so gut sind: auf den HR Excellence Awards letzten Dezember saßen wir am selben Tisch: Sara Lindemann, Head of HR Consulting & New Business bei viasto und ich. Schon damals berichtete Sie über die Studie von viasto rund um das Thema „Fairness in der Personalauswahl“. viasto hat sich mit seiner Software für kompetenzbasierte, zeitversetzte Videointerviews, der interview suite, einen Namen gemacht. Nicht zuletzt mit diversen Forschungskooperationen und Studien untermauert das Team um Dipl. Psych.Sara Lindemann den Anspruch, dass zeitversetzte Videointerviews sich zu einem festen Bestandteil einer validen Personalvorauswahl entwickeln.
Die neueste Studie wurde von der Humboldt Universität Berlin unter Leitung von Prof. Matthias Ziegler durchgeführt und überprüfte, ob anhand von zeitversetzten Videointerviews eigentlich faire Entscheidungen getroffen werden. Schauen wir uns das mal genauer an.
Was das mit viasto als Anbieter zeitversetzter Videointerviews zu tun hat erläutert Sara hier im Interview. Auf geht’s:
saatkorn.: Sara, ihr habt im Dezember eine Studie zum Thema Diversity oder besser gesagt Fairness in der Personalauswahl mit zeitversetzten Videointerviews veröffentlicht. Worum ging es dabei und was waren die Kernerkenntnisse?
Genau – vielleicht fange ich erstmal damit an, ganz kurz zu erklären, worum es bei zeitversetzten Videointerviews geht. Wir haben vor über 3 Jahren mit der Idee begonnen, dezentrale Vorauswahlsituationen mit strukturierten Videointerviews zu verbessern. Die entscheidende Änderung des herkömmlichen Auswahlprozesses liegt darin begründet, dass das Videointerview zeitversetzt durchgeführt wird. Der Kandidat zeichnet das Videointerview eigenständig in einem strukturierten Prozess auf. Dabei wird er von der Software in einem zeitlichen Rahmen sozusagen „begleitet“. Auf Seiten der Unternehmen werden also kurze stellenbezogene Interviewleitfäden erstellt und sobald ein Kandidat unabhängig von ihnen das Videointerview durchgeführt hat, können sich die Verantwortlichen einloggen und die Videoantworten anhand einer kompetenzbasierten Bewertungsskala einschätzen.
saatkorn.: Ok – man spart also Zeit oder auch die Terminplanung. Aber was soll an dieser Situation jetzt denn so besonders fair für den Bewerber sein?
Wenn Fairness in einer Auswahlsituation sichergestellt werden soll, führt das für die Unternehmen grob vereinfacht zu zwei ganz konkreten Aufgaben. Erstens muss jeder Kandidat und jede Kandidatin auf dieselben Auswahlsituationen treffen. Jeder soll den gleichen Online-Test durchführen, jeder soll im AC die gleichen Aufgaben absolvieren müssen. Wenn sichergestellt ist, dass Bewerber auf dieselben Bedingungen treffen, spricht man von Durchführungsobjektivität. In den zeitversetzten Videointerviews, die ein Bewerber mit unserer Software durchführt, wird für jede Frage und für jede Antwort ein Zeitraum vorab definiert. Außerdem erlebt jeder Bewerber genau die gleiche Fragenabfolge und trifft auf identische Bedingungen. Ich sag mal ganz salopp – der Software ist es ziemlich egal, ob da jemand mit Kopftuch, Turban oder Glatze sitzt. Der Ablauf ist immer derselbe. Das wirst Du in keinem interaktiven (also live) Format hinkriegen.
saatkorn.: Verstanden – jeder trifft auf dieselben Bedingungen. Das ist auf jeden Fall sehr standardisiert. Aber die Videointerviews werden ja dann auch von Normalsterblichen ausgewertet. Kommt da mit dem Bild des Bewerbers nicht wieder der Faktor Sympathie, Attraktivität oder andere Vorurteile zum Tragen?
Kurz vorweg – wer bewusst diskriminieren möchte, wird sich von keinem Auswahltool der Welt davon abhalten lassen. Wenn man einfach nur eine 25-jährige Blondine am Empfang haben möchte, wird eben spätestens im Interview die Reißleine gezogen. Worum es uns ging, war zu schauen, ob unbewusste Diskriminierungstendenzen durch das Sichten der Videointerviews zum Tragen kommen könnten. Also Bewertungsverzerrungen (=Vorurteile), die anhand von Auswahlentscheidungen und Bewertungen nachweisbar sind, aber nicht auf willentlichen Entscheidungen beruhen. (so hatte das Institut für Zukunft der Arbeit z. B. 2010 herausgefunden, dass ein Bewerber mit einem türkischen Namen selbst bei identischer Qualifizierung mit 14% geringerer Wahrscheinlichkeit zum Auswahlgespräch eingeladen wurde als ein Mitbewerber mit deutschem Namen.
Wir wollten wissen: Wenn Bewerber in der interview suite, also unserer Videointerviewsoftware, bewertet werden, passieren dann die gleichen Bewertungsfehler wie anhand eines Bewerbungsfotos oder eines fremdländisch klingenden Namens in der Bewerbungsunterlage? Das ist ja besonders wichtig für alle Unternehmen, die sich dem globalen Bewerbermarkt öffnen. Im Young Professional Bereich sind das ja mittlerweile alle großen Player – inklusive Bertelsmann mit dem Talent Meets Bertelsmann Event, über das Du ja in deinem Blog auch mit Nico Rose gesprochen hast.
saatkorn.: Und?
Naja, es wird Dich jetzt wahrscheinlich nicht wirklich überraschen, wenn ich Dir sage, dass die Ergebnisse der Studie sehr positiv waren. Die Ergebnisse haben uns einfach ein weiteres Mal darin bestätigt, welche Qualität mit zeitversetzten Videointerviews machbar ist. Wir hatten im Vorfeld bereits andere Studien durchgeführt, deren Ergebnisse immer wieder deutlich gemacht haben, dass die Bewertung der Videosequenzen anhand vorgegebener Kompetenzskalen dazu führt, dass Bewerber objektiver beurteilt werden, als sie es in einem herkömmlichen Telefoninterview werden. Dass man also nicht nur Zeit spart, sondern auch bessere Entscheidungen trifft.
saatkorn.: Und was hat die Humboldt Universität rausgefunden?
Ganz einfach. In den Videointerviews wurde ausschließlich anhand der tatsächlichen Antwortqualität bewertet. Die Studienteilnehmer, die die Videointerviews bewertet haben, ließen sich nicht durch Geschlecht oder Migrationshintergrund beirren.
saatkorn.: Wie das – Wie sah die Studie eigentlich genau aus?
Die Humboldt Universität hat insgesamt 208 Personen (Studenten, Berufstätige, Schüler / Rentner) unterschiedliche zeitversetzte Videointerviews auswerten lassen. Das besondere an den zeitversetzten Videointerviews in der Studie war, dass Schauspieler mit unterschiedlichem kulturellen Background gute und schlechte Antworten vorher auswendig lernten und per Video widergaben. Durch diese gezielte Variation konnten herausgefunden werden, ob z. B. der männliche Bewerber immer besser bewertet wird als die weibliche Bewerberin oder ob die Kandidatin mit Migrationshintergrund gegenüber den deutsch aussehenden Kandidaten benachteiligt wird, obwohl sie bessere Antworten gegeben hat. Denn genau das wäre Diskriminierung par excellence.
saatkorn.: Wie funktioniert das denn eigentlich? Gibt es dafür eine Erklärung?
Die psychologischen Dynamiken, die wir als Erklärung mit Prof. Matthias Ziegler diskutiert haben, sind wirklich sehr interessant. Am Wichtigsten ist zunächst, dass klare Kompetenzskalen benutzt werden. Viele werden das aus strukturierten Leitfäden oder aus Assessment Centern kennen. Wenn klar ist, was ich bewerte und wann eine Leistung als gut einzuschätzen ist, treffe ich bessere Urteile. Deswegen setzen sich Personalabteilungen ja auch so stark für strukturierte Interviewleitfäden ein. Das gleiche Prinzip gilt auch hier.
Aber es kommt noch etwas weiteres Wichtiges hinzu, nämlich die Grenzen unserer Informationsverarbeitung. Jeder, der schon mal ein Telefoninterview oder ein persönliches Job Interview geführt hat, weiß wie anstrengend es ist, zugleich zuzuhören, sich Notizen zu machen (die nachher lesbar und hilfreich sind) und das Gespräch zu steuern. Bei der Auswertung der Videointerviews konzentriert man sich nur auf eine einzige Aufgabe: Nämlich alle wichtigen Informationen, die der Kandidat von sich gibt a) aufzunehmen und b) diese dann direkt nach einer ca. 2-minütigen Antwortzeit zu bewerten. Das ist ein Kinderspiel im Vergleich zu der komplexen Aufgabe, die man in einem Live-Interview hat. Aber es geht nicht nur darum, dass die Bewertung möglichst einfach ist. Viel wichtiger ist nämlich Folgendes, je weniger Multitasking erforderlich ist, desto weniger verfallen Menschen auf Urteilsmuster (wie z. B. Vorurteile) und desto seltener treten Diskriminierungen auf.
saatkorn.: Sara, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Spaß und Erfolg bei viasto!
Die Studie hier als Download: White Paper Fairness und Diversity viasto
Zum Interview mit Prof. Matthias Ziegler geht es hier.