KI im Recruiting – neue Studie von women&work
KI im Recruiting – ein Thema, welches hoch und runter diskutiert wird. So auch in einer interessanten Studie von den women&work MacherInnen. Ich hatte Gelegenheit, dazu mit Melanie Vogel, Initiatorin von women&work, zu sprechen. Auf geht’s:
saatkorn.: Frau Vogel, bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Ich bin seit 20 Jahren Unternehmerin, Innovation-Coach, VUCA-Expertin, Buchautorin, dreifache Innovationspreisträgerin – und Initiatorin der women&work, Europas Leitmesse für Frauen und Karriere, die einmal im Jahr in Frankfurt stattfindet.
saatkorn.: Heute geben Sie die Ergebnisse einer interessanten Studie zur Nutzung von Algorithmen und KI im Recruiting bekannt. Was haben Sie da genau untersucht?
Ich beobachte seit vielen Jahren die zunehmende Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung und die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Menschen und seine Arbeits- und Kompetenzbereiche. Und insbesondere in den letzten 3 bis 4 Jahren hat die Dynamik exponentiell zugenommen – mit weitreichenden Folgen für uns alle, die wir in vielen Bereichen überhaupt noch nicht abschätzen können.
Vor allem in den letzten Monaten nehme ich verstärkt Botschaften aus den Medien und Netzwerken wahr, in denen KI und Algorithmen in Bewerbungsprozessen diskutiert werden – in vielen Fällen sogar so radikal, dass laut über die Abschaffung von Personalbereichen nachgedacht wird.
Uns hat nun interessiert, wie steht eigentlich die Zielgruppe dazu – also potenzielle Bewerberinnen und Bewerber. Aufgrund unserer beruflichen Fokussierung auf den Bereich „Female Recruiting“ lag es nahe, dass wir hier die Zielgruppe der Frauen befragen, und das haben wir von Mitte Mai bis Ende Juni getan. Wir wollten wissen, wie Frauen dazu stehen, wenn KI und Algorithmen immer stärker in Bewerbungs- und Recruitingprozesse eingreifen oder diese teilweise sogar vollständig mit übernehmen oder übernehmen sollen. 111 Frauen haben teilgenommen.
saatkorn.: Was hat Sie persönlich in Bezug auf Ihre Studie KI im Recruiting am meisten überrascht?
Am meisten überrascht hat mich die doch relativ geringe Akzeptanz von Online-Bewerbungsformularen. Gerade einmal 40,5 Prozent der Befragten bewerten sie positiv. Bewerbungsformulare auf Karrierewebseiten sind nun überhaupt keine Besonderheit im Recruiting mehr. Dass Frauen ihnen so ambivalent gegenüberstehen, hätte ich nicht erwartet. Nicht überrascht, aber bestätigt hat mich die Tatsache, dass sich 88,3 Prozent der Frauen einen persönlichen Ansprechpartner auf der Karrierewebseite und Möglichkeiten zur persönlichen Kontaktaufnahme auf Veranstaltungen wünschen.
Wir erleben das jährlich auf der women&work. Hier verzeichnen wir seit Jahren MINT-Frauen als zweitstärkste Besucherinnen-Zielgruppe. Für die Unternehmen war das bisher immer ein großes Rätsel, warum sie diese Zielgruppe bei uns so geballt antreffen, während sie sich über andere Bewerberwege kaum bei den Arbeitgebern meldet. Wir empfehlen unseren Kunden schon seit Jahren, Frauen persönlicher anzusprechen, mehr direkte Kanäle zu nutzen und Gespräche von Angesicht zu Angesicht zu ermöglichen. Durch die Algorithmen-Umfrage wird jetzt auch klar, warum das notwendig ist. Die Akzeptanz anonymer Bewerberverfahren ist bei Frauen überhaupt nicht vorhanden und sorgt in der Konsequenz dafür, dass Frauen zu einem sehr frühen Zeitpunkt von der „Candidate Journey“ ausgeschlossen werden – nämlich schon direkt ab dem Besuch der Karriere-Webseite.
saatkorn.: Ein zentrales Ergebnis scheint zu sein, dass KI im Recruiting nicht so beliebt ist , wie es beim Lesen der gängigen Blogs und Branchenmagazine so den Eindruck macht, oder?
Ja, das ist richtig. Den Frauen fehlt das Vertrauen in die Neutralität der Systeme und Algorithmen. Eine Teilnehmerin schrieb uns, sie halte die KI-Systeme für extrem fehleranfällig, da sie nur von einigen wenigen Menschen programmiert werden, die meistens nicht mal im Personalbereich des jeweiligen Unternehmens arbeiten. Sie ist mit ihrer Meinung nicht alleine. Nur insgesamt 9,1 Prozent der befragten Frauen können sich vorstellen, dass die Auswahlverfahren durch KI-Systeme und Algorithmen gerechter wären. Nicht mal ein Drittel (27 Prozent) wären damit einverstanden, dass die Kommunikation von Mensch zu Maschine im Bewerbungsprozess Standard wird und nur ein knappes Drittel (31,5 Prozent) würde Entscheidungen bei Auswahlverfahren durch Künstliche Intelligenzen mehr vertrauen, als wenn Menschen diese Entscheidungen treffen würden.
Das sind deutliche Werte, die sich nicht schönreden lassen. Sie zeigen sehr klar, dass ethische Werte und Moral bei Frauen nicht nur bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers eine immer wichtigere Rolle spielen, sondern auch bei der Art und Weise der Bewerbungs- und Einstellungsverfahren. Frauen spiegeln einen humanistischen Zeitgeist, der sich parallel zur technologischen Entwicklung durchsetzt. Diesen Zeitgeist müssen Arbeitgeber bei der „Candidate Journey“ von Frauen unbedingt berücksichtigen.
saatkorn.: Die Studie rund um KI im Recruiting zeigt aber auch, dass Technologie wertebestimmt genutzt werden muss. Was sind denn unter der Voraussetzung einer humanistischen Haltung die als Vorteil empfundenen Themen im KI basierten Recruiting?
Hier hat sich eine recht klare Haltung der Frauen gezeigt. Sie können sich vorstellen, dass KI-Systeme und Algorithmen bei den sogenannten „Hard Facts“ eingesetzt werden könnten – also bei Ausbildung, Zusatzqualifikationen oder fachlichen Schwerpunktangaben. Sie haben gleichzeitig aber auch sehr klar die Einschränkung definiert. Zum einen müssten die Stellenbeschreibungen klar und unmissverständlich formuliert werden, damit man darauf überhaupt einen Algorithmus aufbauen kann. Daran anknüpfend erwarten sie auch ganz klar definierte Erwartungshaltungen der Arbeitgeber, welche Voraussetzungen Bewerberinnen und Bewerber mitbringen müssen.
Was die Soft-Facts angeht, die „Chemie“, wie eine Teilnehmerin es nannte, werden Algorithmen und KI-Systeme abgelehnt und als unethisch und würdelos empfunden. Eine Teilnehmerin brachte es ziemlich klar auf den Punkt. Sie sagte, wenn Arbeitgeber exzellente Mitarbeitende gewinnen wollen, sollten sie sich auch die Zeit nehmen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Für sie hätte das etwas mit Wertschätzung als potentieller Mitarbeiterin zu tun. Andere nannten die Abgleiche „langweilig“, befürchten eine „gefährliche Tendenz zur Verschärfung des maschinistischen Weltbildes“ und sehen im Menschen mehr als seinen Lebenslauf oder die Summe seiner Eigenschaften, den man nicht durch automatisierte Abgleiche in Schubladen und Muster pressen kann.
saatkorn.: Was empfehlen Sie auf Basis der Studie den HR Abteilungen?
Ich empfehle einen sehr bewussten Umgang mit KI-Systemen und Algorithmen im Recruiting. HR-Abteilungen müssen extrem klare und reflektierte Entscheidungen treffen, was dieser Einsatz bewirken soll und warum er genau das auch tatsächlich bewirken kann. Sollten KI-Systeme und Algorithmen zum Einsatz kommen, weil sie an bestimmten Stellen tatsächlich Prozesse sinnvoll erleichtern, enthebt das die Personaler in keiner Weise von ihrer Verantwortung. Ganz im Gegenteil. Sie müssen von Grund auf verstehen, wie diese Systeme funktionieren, welche Schwachstellen sie haben könnten und sie müssen prüfen, ob in diesen Systemen nicht versteckte Stereotype eingebaut sind. Dieser sogenannte „Automation Bias“ wurde bereits in mehreren Studien entlarvt. Er sorgt dafür, dass Minderheiten ausgegrenzt werden, weil die Menschen, welche diese Algorithmen programmierten, unwissentlich ihre eigenen Stereotype gleich mit codiert haben. Diese Gefahr wird so lange bestehen bleiben, so lange Programmier-Teams zu homogen zusammengesetzt sind. Und genau an dieser Stelle haben HR-Abteilungen eine ethische Verpflichtung dafür zu sorgen, dass Menschen nicht unbewusst und unwissentlich aus Recruiting-Prozessen ausgegrenzt werden.
Daher empfehle ich sehr, dass HR-Abteilungen – wenn sie sich für einen teilweise digitalisierten und KI-basierten Weg des Recruitings entscheiden sollten – eine Art unabhängiger Ethik-Kommission einrichten, die immer wieder überprüft, ob die Auswahlverfahren stimmig und menschenwürdig sind. Eine solche Kommission kann dazu dienen, das Vertrauen in KI und Algorithmen zu stärken.
Jedoch ganz auf persönliche Kontaktmöglichkeiten und Gespräche von Angesicht zu Angesicht zu verzichten, ist im Zeitalter des demografischen Wandels viel zu einseitig und gefährlich, denn Frauen legen nach wie vor sehr großen Wert auf persönliche Kontakte und das „Bauchgefühl“ bei der Entscheidung für oder gegen einen Arbeitgeber. Unternehmen, die das nicht ernst nehmen, werden in der Zielgruppe der Frauen langfristig nicht punkten können.
saatkorn.: Zu guter Letzt: wie sehen Sie persönlich denn den Einsatz von KI im Recruiting?
Ich denke, man muss hier eine sehr klare Unterscheidung treffen: KI und Algorithmen können sinnvoll sein, um interne Arbeitsprozesse im Recruiting zu erleichtern. Allerdings sehe ich den Einsatz im aktiven Recruiting – also in der Ansprache z.B. durch Chat-Bots, bei Auswahlverfahren oder gar in Video-Interviews, in denen automatisiert Fragen gestellt werden, auf die Bewerberinnen und Bewerber antworten müssen, ohne auch nur einen Menschen zu sehen oder zu hören – extrem kritisch. Viele dieser Systeme sind zu wenig ausgefeilt und sie treffen, wie unsere Studie zeigt, zumindest bei den Frauen überhaupt nicht auf Akzeptanz. Mehrere Frauen schrieben uns, sie hätten, nachdem sie herausgefunden hatten, dass am anderen Ende ein KI-System im Einsatz ist, versucht, diese Systeme auszutricksen. Daran hatten sie, so schreiben sie, mehr Spaß als am eigentlichen Bewerbungsprozess. Bei diesen Unternehmen anfangen wollte nach diesen Erfahrungen übrigens keine einzige Frau.
Ich schließe mich hier in der Haltung der meisten Umfrage-Teilnehmerinnen an. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Kompetenzen und Qualifikationen. Er ist ein komplexes Individuum, das – sinnvoll im Unternehmen eingesetzt – durch Kreativität und Neugier die neue Arbeitswelt mit gestalten kann. Auch Empathie oder Kooperationsbereitschaft sind Eigenschaften, die heute gefragter sind als je zu vor und die sich durch einen einfachen Algorithmen-Abgleich nicht erfragen lassen. Der demografische Wandel verlangt von den Unternehmen ein Bewerben bei den Talenten und nicht umgekehrt. Das bedeutet in der Konsequenz einen höheren – menschlichen – Einsatz, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Und genau dieser Einsatz, nämlich die Möglichkeit zu Gesprächen von Mensch zu Mensch, wird – zumindest von den Frauen – wertschätzend empfunden und hinterlässt nachhaltigen Eindruck. Dieser Einsatz kann weder heute noch in Zukunft durch ein KI-System verkürzt werden. Und das ist vielleicht das größte Paradox unserer heutigen Zeit: Je mehr digitalisiert und automatisiert werden kann, umso größer wird das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Kommunikation. Gerade auch im Recruiting.
saatkorn.: Vielen Dank für das Interview rund um KI im Recruiting!