Anlässlich der aktuellen IDC-Studie „Future Culture“ gibt es heute ein zwar etwas längeres, aber umso lesenswerteres Gespräch mit Michael Grotherr von Cornerstone on Demand. Wie man Musikstile zur Einordnung von Innovationskulturen benutzen kann, war für mich auf jeden Fall ein Eye Opener. Viel Spaß mit dem Interview:
saatkorn.: Bitte stellen Sie sich doch erstmal den saatkorn. LeserInnen vor.
Mein Name ist Michael Grotherr und ich bin seit 2017 Vice President Sales für Central Europe bei Cornerstone OnDemand und arbeite von München aus. Cornerstone ist der weltweit führende Anbieter Cloud-basierter Softwarelösungen für Learning und Human Capital Management. Gemeinsam mit dem IDC-Institut präsentierten wir dieses Jahr zum dritten Mal in Folge eine internationale Studie, welche Unternehmenskulturen speziell in Europa untersucht. Dieses Jahr liegt der Fokus auf Innovation und Wandel durch Digitalisierung. Fast 2.000 Interviews wurden mit Managern aus der HR- und IT-Branche in Organisationen mit mehr als 500 Mitarbeitern aus 14 Ländern geführt – darunter auch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
saatkorn.: Die IDC-Studie trägt ja den Namen „Future Culture“. Was kann man darunter verstehen bzw. was ist die Kernaussage der Erhebung?
Die Ergebnisse der Studie sollen Unternehmen dabei helfen, eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Geschäfts-, HR- und IT-Teams sicherzustellen, damit eine erfolgreiche Unternehmensstrategie im digitalen Zeitalter effektiv umgesetzt wird. Der Transformationsprozess, Automatisierung und künstliche Intelligenz haben uns in die Skill Economy geführt, in der Firmen und Organisationen neue Fähigkeiten entwickeln und umsetzen müssen, um Innovationen voranzutreiben. Alle stimmen darin überein, dass Innovation entscheidend ist, wenn Unternehmen in einer sich schnell entwickelnden digitalen Welt überleben wollen, aber Innovation kann abstrakt und schwer zu definieren sein. Die Ergebnisse der Studie zeigen eine klare Verbindung zwischen der Geschwindigkeit von Innovation und Talent Management.
saatkorn.: Können Sie das etwas erläutern?
Der Innovationsgrad ist bei jeder Firma anders. Daher haben wir uns gemeinsam mit IDC daran gemacht vier Formen von Unternehmenstypen anhand ihres Innovationslevels zu definieren. Für diese Typen haben wir dann im nächsten Schritt Lösungsvorschläge erarbeitet, die dabei helfen, eine Innovationskultur zu etablieren. Dafür müssen Unternehmen erst einmal ihre wichtigsten Anforderungen und Kernkompetenzen definieren. In einigen Unternehmen liegt der Schwerpunkt auf Produkt- oder Serviceinnovation. Ziel ist es, bestehende Lösungen durch Verbesserungen mithilfe digitaler Schnittstellen, dem Internet of Things oder Machine Learning aufzuwerten. Andere Unternehmen agieren in stabilen Märkten, unterliegen jedoch starken Veränderungen bei Mitarbeitern und Prozessen, was wiederum operative Innovation erfordert. Keiner der Ansätze ist richtig oder falsch, aber alle Unternehmen sollten ihre Herangehensweise auf ihre Mitarbeiter und Prozesse anpassen, um ihr Potenzial zu maximieren.
saatkorn.: Was sind denn die vier Unternehmenstypen in der IDC-Studie und wie sieht die Innovationskultur bei Ihnen aus?
Zur bildlichen Veranschaulichung und zur Auflockerung haben wir uns an Musik-Stilen orientiert: Es gibt Unternehmen, die sind wie Salsa, andere sind eher dem Rock’n’Roll zuzuordnen. Wiederum andere sind wie klassische Musik oder Electro aufgestellt. Aber was soll das nun heißen? Salsa enthält viele verschiedene Elemente und steckt voller Improvisation. Organisationen dieser Kategorie können eine oder mehrere Marken managen, normalerweise mit relativ kurzen Produkt- oder Servicelebenszyklen, während in kurzen, regelmäßigen Abständen graduelle Verbesserungen des Angebots mit jeder neuen Version eingeführt werden. Produkt- und Serviceinnovation werden also als Kernbereiche des Unternehmens wahrgenommen, die häufig in einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung gebündelt werden.
Rock ist eher der Typus mit relativ geringer Innovativkraft bezogen auf neue Produkte und Services. Dafür finden operative Veränderungen fließend statt. Jedes Projekt ist neu und es werden Teams gebildet, um die Produkte und Services auf bestmögliche Weise an den Kunden zu bringen. Genau wie Rockstars haben sie eine Gitarre, ein Schlagzeug und einen starken Sänger als Leader, aber der Sound der Songs variiert wenig. Organisationen dieser Kategorie ähneln sich dadurch, dass sie nur geringe Produkt- und Serviceinnovation hervorbringen und neue Teams für Kundenprojekte auf der Grundlage von Kompetenzen, Zeit und Ressourcen bilden.
Klassische Musik steht hingegen für wunderbare Symphonien, die in Konzertsälen überall auf der Welt gespielt werden. Sie ist jedoch auch konservativ und möchte bewährte Prozesse so belassen, wie sie sind, um dieselben Werke wieder und wieder erklingen zu lassen. Mit Produkt- und Serviceentwicklungen in sehr geringem Umfang und nur wenigen Veränderungen in der Organisation und ihren Abläufen, hat sich ihr operatives Kerngeschäft meist seit über zehn Jahren kaum verändert. Marktführer dieser Unternehmenskategorie verändern sich nur sehr geringfügig und sind von Entwicklungen auf Makro-Ebene kaum betroffen. Die Motivation für Innovation entspringt hauptsächlich der Aussicht auf potenzielle Kosteneinsparungen.
Elektro ist ein Musikstil, der sich ständig neu erfindet. Unternehmen, die diesem Genre zuzuordnen sind, bringen alle paar Monate neue Produkte und Dienstleistungen heraus, sämtliche Gewinne werden dabei sofort in das nächste große Ding investiert. Elektro-Organisationen folgen keinem vordefinierten Plan und haben keine Mission. Es werden trotzdem häufig Produkte und Updates herausgebracht, die zur Unternehmensphilosophie passen. Die organisatorische Struktur ist also ständig in Bewegung, um sich an neue Marktdynamiken und Vorgaben der Unternehmensführung anzupassen.
saatkorn.: Kommen wir wieder auf Unternehmen allgemein zurück und konzentrieren uns auf die DACH-Region. Jahrelang hieß es ja immer, dass HR Abteilungen hierzulande in der Digitalisierung hinterherhinken. Jetzt ist laut IDC-Studie eine Trendwende eingetreten?
In der Tat und jetzt wird es interessant: Mittlerweile befindet sich eine Mehrheit der deutschen Unternehmen bereits mitten in der digitalen Transformation. Dies zeigt sich auch im Vergleich zu den Befragungsergebnissen der Vorjahre, die für die DACH-Region noch äußerst nüchtern ausfielen. 2017 gaben noch knapp 18 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie sich in keiner Weise mit der Digitalisierung beschäftigt hätten – 2018 sind es nur noch 6 Prozent. Auch der Mangel an kompatiblen Technologien und Tools ist von knapp 23 Prozent auf unter 18 Prozent gesunken. Noch 2017 machte man als zwei der drei größten Hürden für die digitale Transformation die Menschen selbst aus: 43 Prozent gaben damals einen kulturellen Widerstand an – heute sind es nur noch 30 Prozent. 27 Prozent sagten aus, dass es ihnen schwerfalle die nötigen Talente und Fachkräfte im Unternehmen zu binden – heute sind es nur noch 20 Prozent. Interessant sind hier nicht nur die Unterschiede im Vergleich zu den Vorjahren, sondern auch zwischen den Ländern. So tun sich nicht nur zwischen der DACH-Region und den anderen europäischen Nationen teilweise große Unterschiede auf, sondern auch zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. In der aktuellen Studie machten noch über 30 Prozent der Befragten in Deutschland kulturelle Widerstände für den digitalen Wandel verantwortlich – in der Schweiz lag dieser Wert bei nur 25 Prozent, in Österreich hingegen bei fast 40 Prozent. Am offensten standen die Skandinavier der Digitalisierung gegenüber, in Schweden und Norwegen sind die Werte mit 26 und 23 Prozent deutlich niedriger.
saatkorn.: Welche Handlungsempfehlungen legen Sie auf Basis der IDC-Studie HR Abteilungen in der DACH Region ans Herz – insbesondere auch im Vergleich zu HR Abteilungen in anderen europäischen Regionen?
Das hängt immer von dem jeweiligen Bereich ab. Ich nehme mal die Recruiting-Abteilung als Beispiel: Internes Recruiting ist in der DACH-Region beispielsweise mit 51 Prozent die häufigste Methode im Bewerbermanagement, Österreich kommt hier sogar auf einen Wert von 55 Prozent. Am wenigsten werden mit gerade einmal 31 Prozent dagegen Trainee-Programme von Hochschulen oder Universitäten hierzulande genutzt. Hier zeigen sich Schweden (42 Prozent) und Norwegen (41 Prozent) erneut deutlich offener. Am wenigsten werden neue Mitarbeiter im europaweiten Vergleich mit 31 Prozent hingegen auf Empfehlungen eingestellt. Empfehlungen müssen natürlich sorgfältig geprüft werden, sind jedoch ein wichtiges Zeichen des Vertrauens zwischen einem Mitarbeiter und dem Unternehmen. Wenn Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen zufrieden sind, werden sie gute Kandidaten empfehlen können, die erfahrungsgemäß länger bleiben und motivierter sind. So basieren beispielsweise bei Cornerstone über 50 Prozent der Einstellungen auf Referenzen durch unsere eigenen Mitarbeiter. Interessant wird es, wenn man Unternehmen quer durch Europa über die verlangten Skills der Bewerber befragt, sprich: Was verlangen die Personalvermittler von den Kandidaten? Mit 59 Prozent im europäischen Vergleich sind natürlich zunächst berufliche Fähigkeiten gefordert, wobei es auch hier gravierende Unterschiede zwischen Deutschland (62 Prozent), Österreich (86 Prozent) und der Schweiz (70 Prozent) gibt. In Großbritannien hingegen halten nur 57 Prozent der Personaler dies für sehr relevant. Der Bildungsstand kommt im europaweiten Durchschnitt von 41 Prozent direkt auf Platz zwei. Am wenigsten wird mit 22 Prozent nach abstraktem Denkvermögen gefragt, wobei dies gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig ist, um gelerntes Wissen in ungewohnten Situationen in Abwandlung anzuwenden. In Deutschland und Österreich spielt neben abstraktem Denkvermögen auch Diversity mit 24 Prozent und 17 Prozent nur eine untergeordnete Rolle. In der Schweiz wird hingegen dem Cultural Fit mit 20 Prozent wenig Bedeutung beigemessen – zum Vergleich: Österreich erreicht hier mit über 37 Prozent hier den europäischen Höchstwert. Statt nur auf die praktischen Skills oder sogar nur den Bildungsstand zu schauen, sollte gerade in disruptiven Zeiten wie heute, Ausschau nach Kandidaten mit versteckten Talenten und abstraktem Denkvermögen gehalten werden.
saatkorn.: Wie sieht in diesem Zusammenhang die Mobilität der Personalförderung aus? Das ist doch auch ein wichtiger Faktor?
So ist es. Das digitale Zeitalter setzt heute natürlich in Sachen Mobilität fast keine Grenzen mehr. Wichtig ist eher die Auswahl, welche Inhalte Sinn machen. Nehmen wir jetzt mal das Beispiel Learning: Kurze Trainings auf dem Handy sind komfortabler abzurufen, als eine vierstündige Dokumentation über Compliance-Richtlinien. Es ist also abhängig von den Themen, die man der Belegschaft anbieten will und den Zugangsmöglichkeiten. Sprich: Haben die Mitarbeiter überhaupt die entsprechenden mobilen Endgeräte und nötige Hardware für Trainings? Zudem benötigt mobiles lernen ein anderes Skillset beim Erstellen der Trainings. Lebenslanges Lernen meint eben auch ein permanentes Onboarding. Das bedeutet, dass sich heute alles auch hierarchisch messen lassen muss, z.B. welche Schulungen welchen Wertzuwachs haben. Daher sollten sich Verknüpfungen zwischen dem LMS und PE durch Algorithmen ähnlich wie im Modell der Spotifiy-Analogie ausdrücken. Es werden also Play- u. Learning-Listen für den User generiert oder die Administration erhält über den automatisierten Support eine Meldung, dass 80 Prozent der Belegschaft mittlerweile das Compliance-Training absolviert hat. Dies lässt natürlich Analysen zum Thema Performance-Entwicklung und weiteren Karriereentwicklungen zu. Durch diese Systematik konnte beispielsweise das UN-Klimasekretariat in Bonn die Compliance-Raten im Bereich Performance in den letzten vier Jahren seit der Implementierung von 50 auf über 80 Prozent gesteigert werden.
saatkorn.: Sie haben ja bereits mehrmals den Begriff Unternehmenskultur angesprochen: Die funktioniert ja auch immer in beide Richtungen – also zwischen Management und Mitarbeiter und umgekehrt. Wie kann Feedback in solch einem modernen Umfeld am bestmöglich gegeben werden?
Wir leben in einer Zeit, in der sich Kommunikationskanäle immer am Status quo der gängigen Social Media-Foren entlang entwickeln, da der User sich an diese Anwendungsmöglichkeiten gewöhnt hat – dies gilt auch für die Mitarbeiter. Und gerade, wenn es um Kommunikation geht, sollen sich die Mitarbeiter ja wohlfühlen und in einer vertrauten Atmosphäre agieren können. Ich greife nochmal auf das Beispiel LMS zurück. Das kann in diesem Fall schon so aufgebaut sein wie das Ratingsystem auf Amazon von eins bis fünf Sternen. So können von Usern entsprechende Empfehlungen an andere Nutzer gegeben werden oder ähnlich wie auf Ebay unter jedem Lern-Kurs erläuternde Kommentare eingetippt werden, die dann wiederum geteilt und geliked werden können. Daneben kann es auch Impulsbefragungen geben, sodass die Nutzer sich auch untereinander organisieren können. Dies ist eines der vielen Beispiele, wie man praxisnah eine Innovationskultur etablieren kann.
saatkorn.: Herr Grotherr, vielen Dank für das Interview rund um die IDC-Studie!