Gravierendes Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen

Es gibt ein gravierendes Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen. Das belegt eine Studie, bei der 120.000 Stellenanzeigen auf sprachliche Parameter hin analysiert wurden. Ich hatte Gelegenheit, mit einem der Studieninitiatoren, Sascha Theisen, zu sprechen. Auf geht’s:

saatkorn: Bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.

Sascha Theisen

Theisen: Mein Name ist Sascha Theisen. Gemeinsam mit meinem Partner Manfred Böcker habe ich die Initiative Employer Telling ins Leben gerufen. Als PR-Berater haben wir uns seit vielen Jahren ausschließlich auf Arbeitswelt- und Personalmanagementthemen spezialisiert. Mit diesem fachlichen Hintergrund beraten wir Unternehmen verschiedener Branchen und Größen zu deren Arbeitgeberattraktivität und gehen gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach spannenden und einzigartigen Stories in deren Büros oder Fabrikhallen, die es sich zu erzählen lohnt.

Vor dieser Zeit war ich lange Jahre für die Online Jobbörse StepStone als Leiter des Marketings tätig. Derzeit berate ich weiter große und interessante Player des Recruiting-Marktes wie Indeed, mobileJob oder ABSOLVENTA. Das Thema Stellenanzeigen ist mir entsprechend ins Blut übergegangen. Ich schätze: Nur Fehlpässe meines Lieblingsvereins Alemannia Aachen habe ich öfter gesehen als Stellenanzeigen von deutschen Arbeitgebern.

saatkorn: Kürzlich haben Sie eine große Studie zum Thema Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen durchgeführt. Wer wurde wann befragt, was war das Setting der Studie?
Theisen
: Es wurden keine Kandidaten oder Arbeitgeber nach ihren subjektiven Eindrücken befragt. Vielmehr wurden 120.000 Stellenanzeigen auf von uns vorher definierte sprachliche Parameter hin analysiert und es ergibt sich ein gravierendes Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen. Im Zentrum stand dabei die Frage, inwieweit Stellenanzeigen, als das nach wie vor wichtigste Recruiting-Instrument dazu beitragen, dass sich Arbeitgeber im Sinne eines stringenten Personalmarketings voneinander differenzieren.

Der Hintergrund dazu: Bereits im vergangenen Jahr haben wir die Karriere-Webseiten der Dax30 Unternehmen einer sprachlichen Analyse unterzogen. Das Ergebnis war damals, dass trotz zehn Jahren intensivem HR-Dialog über den Sinn und Zweck von Employer Branding, keinerlei Differenzierung zwischen den größten Arbeitgebern feststellbar ist. Stattdessen dominierte Gleichförmigkeit – inhaltlich und sprachlich. Unsere These war seinerzeit, dass Employer Branding als Mittel der Wahl zu einem differenzierenden Arbeitgeberauftritt versagt hat. Nun wollten wir wissen, ob das auch für Stellenanzeigen zutrifft. In diesem Moment sind 1,2 Millionen Stellenanzeigen online – eine Zahl die zeigt, wie wichtig diese nach wie vor für die Mitarbeitersuche sind. Die Frage muss also gestellt werden: Kommen in diesem Top-Werkzeug des Recruiting eigentlich differenzierende Markenwerte an oder überwiegen auch hier gleichförmige und austauschbare Aussagen. Der Leser ahnt vielleicht schon: Letzteres ist der Fall.

saatkorn: Bevor wir zu den Ergebnissen kommen, wer sind die Studieninitiatoren für diese Studie zum Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen?
Theisen
: Unsere Studie ist eine Zusammenarbeit zwischen unserer Initiative Employer Telling und Textkernel. Textkernel ist als Software-Unternehmen auf semantisches Recruiting spezialisiert und hat zu diesem Zweck das Big Data Tool Jobfeed entwickelt. Mit diesem ist es möglich, eine auf semantisicher Suchtechnologie basierende quantitative Analyse aller im Internet veröffentlichten Stellenanzeigen durchzuführen. Durch die Zusammenführung von qualitativer Sprachexpertise und quantitativer datengestützter Abfrage ist eine Untersuchung entstanden, die in dieser Form einzigartig ist.

saatkorn: Was ist das generelle Fazit der Studie zum Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen?
Theisen
: Das Ergebnis ist ernüchternd. Deutschen Unternehmen gelingt es auch in Stellenanzeigen nicht, sich als Arbeitgeber voneinander zu unterscheiden. Stattdessen dominieren in ihren Ausschreibungen Füllwörter, vorgestanzte Wortbausteine und ungelenke Substantivierungen. Wer in den letzten Jahren die Inhalte von Stellenanzeigen ein wenig verfolgt hat, wird es bereits geahnt haben und wird vielleicht nicht sonderlich überrascht sein. Um ehrlich zu sein: Auch unsere Befürchtungen haben sich bestätigt. Nur können wir es nun datengestützt beweisen und das gesamte Ausmaß der Gleichförmigkeit so beziffern und greifbar machen. Auf diese Weise wissen wir, wo genau das Optimierungspotential liegt.

Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen
Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen

saatkorn: Man sollte ja eigentlich meinen, dass Stellenanzeigen heutzutage ganz anders aussehen als noch vor zehn Jahren. Schließlich hat sich ansonsten ja fast alles verändert durch Themen wie Digitalisierung und Fachkräftemangel. Differenzierung ist zumindest in meinen Augen ganz zentral, wenn man auffallen und die Zielgruppe auf sich aufmerksam machen möchte, aber anscheinend verwenden die Unternehmen alle dieselben Worthülsen. Welche Begriffe werden denn inflationär genutzt?
Theisen
: Differenzierung ist das zentrale Kriterium in jedem Kommunikationsansatz. Das interessante ist, dass diese Aussage im Produktmarketing oder in der Unternehmenskommunikation längst verinnerlicht ist. Wer sie hier infrage stellen würde, würde im besten Fall ausgelacht. Im Personalmarketing oder dem viel beschworenen Employer Branding wird dagegen müde mit den Achseln gezuckt und die augenscheinliche Gleichförmigkeit resignierend hingenommen. Das ist ein großes Problem der derzeitigen Arbeitgeberkommunikation, zumal es in den wichtigsten Instrumentarien der Mitarbeitersuche auftaucht. Und das sind sowohl Stellenanzeigen als auch Karrierewebseiten. Statt sich diesem Problem zu widmen, diskutieren weite Teile der HR-Community über den Einsatz von Snapchat in der Arbeitgeberkommunikation oder erforschen die optimale Integration von WhatsApp-Lösungen in die viel beschworene Candidate Experience. Darüber werden aber schlicht und einfach die Hausaufgaben nicht gemacht. Vielleicht sind Stellenanzeigen nicht sexy oder lukrativ genug, um sich damit zu befassen.

Zurück zu Ihrer Frage: Deutsche Arbeitgeber bedienen sich in Stellenanzeigen aus einem Regal der Wortlosigkeit und präsentieren sich zudem nur ganz selten als Arbeitgeber, obwohl sie doch als Arbeitgeber kommunizieren. So gehen beispielsweise Unternehmensporträts, mit denen Stellenanzeigen im Normalfall beginnen, kaum auf konkrete Arbeitgebereigenschaften ein. Wenn sich Arbeitgeber vorstellen, dominieren austauschbare Begriffe wie „weltweit“, „führend“, „international“ und „innovativ“. Arbeitgeber leisten also nicht ansatzweise das, was sie umgekehrt vom Kandidaten in Bewerbungen verlangen: eine klare und präzise Vorstellung im Arbeitszusammenhang. Kein Unternehmen nutzt die Chance, sich von anderen abzuheben. Das bestätigt beispielsweise auch die Untersuchung des Abschnittes „Was wir Ihnen bieten“. Hier nutzen die meisten Arbeitgeber das gleiche Wording. Neben einer „attraktiven Vergütung“ etwa „Weiterbildung“, „Spaß“ oder „flache Hierarchien“. Jetzt mag es zwar sein, dass sich der ein oder andere Arbeitgeber mit diesen Begriffen gut beschrieben fühlt. Nur: Er ist dann eben wie jeder andere und bietet dem Kandidaten nichts, was ihn einzigartig machen würde.

Ein anderes Beispiel ist das Stellenprofil: Denn der am häufigsten gebrauchte Schlüsselbegriff in Jobbeschreibungen ist „u.a.“ – ein Beleg dafür, dass sich Arbeitgeber selbst in den Beschreibungen der vakanten Stellen und der damit verbundenen Positionen nicht so gerne festlegen möchten.

Last but not least fällt der sprachliche Verwaltungsstil in einer Stellenanzeige auf. So haben wir in 120.000 Stellenanzeigen weit über eine Million Nominalisierungsformen gefunden – also Begriffe, die mit dem Suffix „ung“ enden. In der modernen Arbeitgeberkommunikation geht es um die „Umsetzung“, der „Befähigung“ zur „Sicherstellung“ der „Einbettung“ der „Finanzsteuerung“. Dies ist ein Indiz für einen bedenklichen Sprachstil, der den spröden Charme eines Finanzamt-Hinterzimmers versprüht. In der Spitze haben wir Stellenanzeigen gefunden, die in einer einzigen Stellenanzeige 86 „Ungs“ verwenden. Da ist schlicht nicht lesbar.

saatkorn: Haben Sie neben den Texten auch weitere Elemente von Stellenanzeigen untersucht? – Auch optisch und inhaltlich (also nicht nur vom Wording) ähneln sich die meisten Stellenanzeigen ja frappierend – und auch hier gibt es vermutlich ein gewaltiges Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen…
Theisen
: Natürlich – auch inhaltlich ähneln sich Stellenanzeigen außerordentlich. Wenn es etwa im Anforderungsprofil um Soft Skills geht, suchen nahezu alle Arbeitgeber – unabhängig von der ausgeschriebenen Position – Mitarbeiter, die „teamfähig“ und „flexibel“ sind, die mit „Freude“ und „Engagement“ bei der Sache sind und die sich durch „Einsatzbereitschaft“ und eine „strukturierte Arbeitsweise“ auszeichnen. Hier wird kopiert und eingefügt, wo es nur geht. Fatal daran: Von der Assistentin der Geschäftsführung wird das gleiche verlangt wie vom Werksstudenten. Im besten Fall liest der Kandidat einfach über solche Passagen hinweg. Ganz klar: Eine Kommunikation auf Augenhöhe sieht auf jeden Fall anders aus.

Eine Bemerkung zum Design: Immer mehr Online-Jobbörsen gehen im Zuge der steigenden Smartphone-Nutzung in der Jobsuche dazu über Stellenanzeigen gleich darzustellen. Bei StepStone beispielsweise ist das jetzt schon so. Wenn Sie dort eine Jobsuche ausführen, werden fast alle Stellenanzeigen zum Wohle der optimalen Darstellung und Lesbarkeit gleich dargestellt. Dort nennt sich das „Liquid Design“. Das ist sicher ein Trend, der sich verfestigen wird, da die Jobsuche in Zukunft noch viel mobiler werden wird. Wer sich also differenzieren möchte, kann das zukünftig nur noch über Inhalte. Und wer sich jetzt schon darauf einstellt, hat einen Wettbewerbsvorteil, wenn es darauf ankommt.

saatkorn: Was sind Ihre Handlungsempfehlungen für HR Abteilungen, wie sollte man 2016 bzw 2017 mit dem Thema umgehen?
Theisen
: Für 2016 ist die Handlungsempfehlung an die Autoren von Stellenanzeigen, über das Weihnachtsfest in sich zu gehen, wie sich das zu dieser Zeit des Jahres halt gehört. Und wer dann in den Januar startet und sich fest vornimmt, über Inhalte anders zu sein als der Wettbewerb, hat schon einmal einen großen Schritt gemacht. Dazu ist es wichtig, zu wissen, wer man selbst ist und wie der Wettbewerb funktioniert. Genau dafür haben wir auf Basis unserer Studie und der dafür entwickelten Employer Kriterien ein Tool entwickelt, dass Arbeitgeber anhand aller ihrer veröffentlichten Stellenanzeigen vergleichen kann. Arbeitgeber, die daran interessiert sind, können gerne auf uns zukommen – auch dann wenn sie überprüfen möchten, wie viele Werte ihrer Arbeitgeberpositionierung am Ende der Rekrutierungskette eigentlich in ihren Stellenanzeigen übrig bleiben.

Stellenanzeigen sind nach wie vor das wichtigste Instrument der Mitarbeitersuche. Lange nicht jeder Kandidat wird über die Direktansprache, Business-Netzwerke oder Social Media Angebote erreicht. Die HR-Community ist aus meiner Sicht gut beraten, dieses Kernelement der Mitarbeitersuche zu optimieren.

saatkorn.: Vielen Dank für das Interview zum Optimierungspotenzial von Stellenanzeigen!

Die 52-seitige Studie „Club der Gleichen – Edition Stellenanzeigen“ können interessierte Leser kostenfrei auf der Webseite www.employer-telling.de downloaden. Dort ist auch die Analyse der Karriere-Webseiten der DAX30 erhältlich.

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

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