Nachfolgeplanung und Generationswechsel im Mittelstand – ja, ist das denn überhaupt ein SAATKORN Thema? – Na logo, seit Anfang des Jahres liefert dieser Blog und Podcast ja „Inspiration für eine bessere Arbeitswelt“ – und dabei ist es mein erklärtes Ziel, dass hier mehr Beispiele aus dem Mittelstand stattfinden sollen. Wer also solche Beispiele kennt, bitte einfach unter gero@saatkorn.com melden.
Jetzt aber zur heutigen Story, eben rund um Generationswechsel im Mittelstand am Beispiel von TIMOCOM. Seit 2019 hat dort Tim Thiermann zusammen mit Sebastian Lehnen die Fäden in der Hand. Wie er den Übergangsprozess mit seinem Vater und Founder von TIMOCOM gemanaged hat, was bei der Nachfolgeplanung Voraussetzungen waren und welche Bedeutung das für Themen wie Unternehmenskultur, Recruiting und Retention hat, berichtet Tim heute im SAATKORN Interview.
Auf geht’s:
SAATKORN: Tim, bitte stelle Dich den SAATKORN Leser*innen doch kurz vor.
Mein Name ist Tim Thiermann, ich bin 31 Jahre alt und seit 2019 Geschäftsführer von TIMOCOM. TIMOCOM ist ein FreightTech-Unternehmen aus Erkrath im Raum Düsseldorf, das 1997 von meinem Vater Jens Thiermann gegründet wurde. Mittlerweile arbeiten bei uns mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 30 Nationen und wir haben Standorte in Polen, Tschechien und Ungarn. Wir kümmern uns um die logistische Zukunft des Straßengüterverkehrs. Das heißt, dass wir als IT- und Datenspezialist unseren Kundinnen und Kunden europaweit ein System anbieten, mit dem sie z. B. die Möglichkeit haben, ihre Prozesse zu digitalisieren. Oder sie können sich mit mehr als 45.000 geprüften Unternehmen vernetzen. Sehr verkürzt gesagt, geht es um ein System für die Logistik, das schlanke Prozesse und zahlreiche Optionen zur Geschäftsanbahnung sehr einfach ermöglicht, egal ob großer Konzern oder KMU.
SAATKORN: Generationswechsel im Mittelstand: Du hast gerade mit Sebastian Lehnen die Nachfolge Deines Vaters bei Timocom angetreten. Wie lange habt Ihr gemeinsam an dem Übergabeprozess gearbeitet?
Der konkrete Übergabeprozess hat ca. fünf Jahre in Anspruch genommen. Bei TIMOCOM angefangen habe ich bereits 2008 und habe verschiedene Bereiche durchlaufen. Die Übergabephase hat dann 2014 begonnen und war mit dem Rückzug meines Vaters aus dem operativen Geschäft 2019 abgeschlossen.
Das war ein sehr durchgeplanter Prozess, bei dem wir zu dritt, also mein Vater Jens, Sebastian und ich uns überlegt haben, welchen Schritt wir wann und wie gehen müssen, damit der Generationswechsel funktioniert. Sebastian und ich waren von Anfang an stark in Entscheidungsprozesse eingebunden. Bei abweichenden Meinungen haben wir das ausdiskutiert, auch damit mein Vater versteht, welchen Management-Stil und Angang wir haben. Im Laufe der Zeit hat es immer besser funktioniert, deswegen habe ich dann auch mehr Verantwortung übernommen: von Marketing über Sales bis hin zu abschließend Finance.
Der letzte Schritt, also die tatsächliche Übergabe im April 2019, war für Sebastian und mich der Anstoß, die strategische Ausrichtung von TIMOCOM in den Fokus zu rücken und diese einem umfassenden „Update“ zu unterziehen. 2020 kam mit der Virus-Pandemie noch eine sehr herausfordernde Krise auf uns zu, quasi unsere erste Feuerprobe. Ich kann sagen, dass wir mehr als gut durch die Krise navigiert sind, was mir immense Zuversicht gegeben hat.
Herausforderungen beim Generationswechsel im Mittelstand
SAATKORN: Was war das Kniffligste in diesem Prozess für Dich?
Da ich noch verhältnismäßig jung bin für meine Position, habe ich schon allein dadurch eine ganz andere Wirkung auf die ältere Generation. Hinzu kommt, dass ich einen anderen Führungs- und Management-Stil lebe, der eher strategisch ist und weniger intuitiv. Für diejenigen, die schon seit langem dabei sind, war das eine Umstellung, der man Anerkennung zollen muss. In den letzten Jahren ist viel bei TIMOCOM passiert, wir stellen uns zukunftsfest auf und verändern viele Prozesse, hinterfragen Althergebrachtes. Das ist unheimlich beflügelnd, aber für manche per se auch eine Herausforderung.
Und im Hinblick auf den Führungswechsel ist es ganz klar, dass wir, mein Vater und ich, unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Auch wenn wir einander sehr viel Respekt entgegenbringen, waren und sind wir nicht immer einer Meinung. Die Kunst liegt ja gerade darin, diese Unterschiede nicht nur anzuerkennen, sondern sich auch bei wichtigen und relevanten Geschäftsentscheidungen zurücknehmen zu können – und diese Kunst beherrscht mein Vater. Mir war es wichtig, meinen eigenen Weg zu finden und mich in Anbetracht der übergroßen Lebens- und Gründungsleistung meines Vaters nicht selbst zu blockieren.
Was bedeutet Generationswechsel angesichts der Digitalisierung?
SAATKORN: Du bist Jahrgang 1989 – diese Generation kennt die Digitalisierung seit ihrer Jugend. Wie wirkt sich diese Erfahrung auf den Managementansatz aus, den Du künftig bei Timocom leben willst?
Meine Generation lebt andere Werte als die vorherigen. Weg vom Status, hin zu mehr Sinnstiftung oder Neudeutsch: Purpose. Wir wollen Teil von etwas Größerem sein. Früher übliche Motivatoren, z. B. Geld oder Titel, funktionieren für sich allein gesehen schon lange nicht mehr.
Wir wollen eingebunden werden und hinterfragen dabei bestehendes wie getroffene Entscheidungen, althergebrachte Hierarchien und vieles mehr. Gegenseitiges Feedback, also auch bottom up, sowie Flexibilität, in Form von Teilzeitmodellen und Flex- oder Homeoffice, spielen ebenfalls eine große Rolle.
Als Geschäftsführer bin ich maßgeblich dafür verantwortlich, den passenden Rahmen zu schaffen, damit Teams produktiv arbeiten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich voll entfalten können. Und dass ich auch Teil dieser Generation bin und somit nicht nur die Theorie in Entscheidungsprozesse einfließen lasse, ist natürlich sehr hilfreich.
Das Spannende ist ja die Vielschichtigkeit von TIMOCOM. Wir haben noch die alte Garde aus Gründerzeiten an Bord, die jungen Wilden, und darüber hinaus Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 30 Nationen. Somit sind Generationenunterschiede für uns zwar ein Faktor, aber nicht der einzige, wenn man die kulturelle Vielfalt bei uns noch hinzuzieht.
Das ist die Perspektive nach innen. Nach außen verhält es sich so, dass auch bei unseren Kunden die nachfolgenden Generationen nach und nach übernehmen und sich somit auch der Umgang mit Digitalisierung, welche Erwartungen man an ein Produkt hat usw. wandeln. Daher ist es für ein Unternehmen entscheidend, auf Basis der aktuellen Marktbedürfnisse zu agieren und am Puls der Zeit zu bleiben.
SAATKORN: Was ist Deiner Meinung nach heute zentral in der Führung von Mitarbeitern? Was hat sich hier verändert, auch durch Corona?
Eine wichtige Rolle spielt eine offene und vertrauensvolle Kultur, insbesondere jetzt, da viele von uns auf Distanz führen müssen. Ohne gegenseitiges Vertrauen funktioniert das nicht. Deswegen haben wir verschiedene Austauschformate entwickelt, gruppen- sowie level-übergreifend, und bilden unsere Führungskräfte im Bereich Digital Leadership weiter. Denn eines ist klar: Ein Zurück zu der Art von Zusammenarbeit, wie wir sie vor Corona kannten, wird es nicht mehr geben.
Das Mehr an Flexibilität, dass man, wenn es die Inzidenzwerte erlauben, entweder im Homeoffice oder im Büro arbeiten kann, wird grundsätzlich positiv aufgenommen. Gleichzeitig hat es aber auch einen starken Effekt auf das Arbeiten in Präsenzform, also im Büro. Es ist eine Herausforderung für jedes Unternehmen, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an das Unternehmen und seine Kultur zu binden. Aktuell fällt das Büro als „Kultur-Tankstelle“ leider weg. Somit müssen wir auch eine Homeoffice-taugliche Unternehmenskultur entwickeln. Wie wir damit umgehen, wie sich unser Miteinander entwickelt, wenn wir diese Pandemie endlich hinter uns haben, wird sich zeigen, vielleicht auch erst in 2-3 Jahren.
SAATKORN: HR-Experten zitieren heute gern den partizipativen Führungsstil als Königsweg für die Zukunft. Wie wichtig ist dieser für Dich?
Sehr wichtig, denn Führungskräfte stecken gar nicht so tief in der Detailarbeit wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und wenn doch, dann läuft ab einer gewissen Größe etwas falsch. Der Fokus liegt ganz klar auf starken Teams, die ein gutes Gespür haben für die Themen, die den Markt bewegen, und Innovationen, die die Branche voranbringen.
Für uns stellt sich das so dar: Die Komplexität innerhalb und außerhalb des Unternehmens hat enorm zugenommen, wir haben unsere Produktpalette erweitert und neue Märkte erschlossen. Das heißt, dass wir mehr von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fordern und weniger vorgeben. Der Rahmen, in dem unsere Fachbereiche selbstorganisiert und eigeninitiativ agieren können, ist unsere neue Strategie, die die Unternehmensziele beinhaltet. Unsere Fachbereiche – egal ob IT, Marketing oder Customer Care – leiten daraus wiederum ihre eigenen OKRs oder Ziele ab. Das gibt uns allen neue Freiräume. So arbeiten wir gemeinsam und jeder für seinen Bereich an unseren Zielen.
SAATKORN: Dein Vater hat schon sehr früh die Potenziale der Digitalisierung für die Logistik erkannt. Welche Rolle wird er künftig für das Unternehmen spielen?
Mein Vater ist und bleibt das Mastermind. Er hatte die bahnbrechende Idee, den Mut, aus der Idee ein Produkt zu entwickeln, und die Power, TIMOCOM groß zu machen, zu dem, was es heute ist. Von daher möchte ich gar nicht auf seinen Rat verzichten. Er wird also auch weiterhin beratend für TIMOCOM tätig sein – jedoch eher im Hintergrund. Mit der Übergabe an die nächste Generation geht auch ein Loslassen einher, das ihm die Möglichkeit gibt, sich anderen Dingen zu widmen. Wer weiß, auf was für Ideen er noch kommen wird. Ein Macher macht halt keine Pause.
SAATKORN: Die Übergabe des Familienunternehmens an die eigenen Nachkommen gelingt nur den wenigsten – woran scheitert der Generationswechsel im Mittelstand Deiner Ansicht nach meist?
Aus meiner Sicht liegt das oft an der unzureichenden Planung der Übergabeschritte. Für das Unternehmen, den Gründer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie auch für denjenigen, der das Ruder übernimmt, ist die Nachfolgeplanung ein nicht zu unterschätzender Transformationsprozess. Das funktioniert nicht ohne Planung, ausreichend Zeit und gegenseitiges Vertrauen.
Woran der Generationswechsel im Mittelstand auch scheitern kann: Der Vorgänger kann nicht richtig loslassen. Am schwierigsten ist das sicherlich bei persönlichen Leidenschaften wie etwa Produktentwicklung oder Finanzen. Diesen ganz eigenen Veränderungsprozess, den der Vorgänger durchläuft, gilt es zu respektieren. Es ist wie ein Abnabelungsprozess, der zugegebenermaßen nicht einfach ist, wenn man so lange am Steuer saß. Demjenigen, der übernimmt, muss der Raum gegeben werden, auch mal Fehler zu machen und eine Lernkurve zu durchleben. Dafür muss es Toleranz geben.
Was das Gelingen einer Übergabe an die nächste Generation zusätzlich beeinflussen kann, ist ein zu forsches Vorgehen des Nachkommen oder die fehlende Besinnung auf die Werte, die das Unternehmen groß gemacht haben. Man kann vieles ändern, aber der Kern sollte unangetastet bleiben.
Recruiting und Retention als Kern-Herausforderungen
SAATKORN: Welche Relevanz hat für Timocom das Thema Recruiting? Inwiefern spürt Ihr den Fachkräftemangel heute und welche Erwartungen habt Ihr mittelfristig angesichts der Demografieentwicklung und der voranschreitenden Digitalisierung?
Recruiting hat sehr hohe Relevanz für TIMOCOM aufgrund unserer ambitionierten Wachstumsziele und den dafür benötigten Fachkräften. Der Fachkräftemangel ist für uns nach wie vor besonders stark zu spüren, insbesondere bei IT-Berufen, aber auch in neueren Berufsfeldern mit technologischen Skills. Ich gehe davon aus, dass der Fachkräftemangel sich auch mittelfristig verstärken wird.
Das liegt zum einen an der schneller voranschreitenden Digitalisierung und der Disruption von vielen Geschäftsmodellen. Zum anderen steigen hierdurch auch die Anforderungen in vielen Berufen noch schneller.
Mittel- und langfristig werden aufgrund der Demografieentwicklung weniger Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, was den Fachkräftemangel zusätzlich verstärkt.
SAATKORN: Und wie sieht es mit dem Thema Mitarbeiterbindung aus? Welche Maßnahmen setzt Ihr bei Timocom um, damit Ihr top Mitarbeiter*innen auch haltet?
Für uns sind die Arbeitgebermarke und die Unternehmenskultur wichtige Säulen der Mitarbeiterbindung. Zudem sorgt die Gestaltung der Arbeitsbedingungen dafür, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gern bei uns arbeiten. Dazu gehören zum Beispiel eine fördernde Führungskultur, viele Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten und eine faire Vergütung. Kurz zusammengefasst: Es gibt nicht ein Rezept, das funktioniert. Es ist eher ein Bündel aus vielen unterschiedlichen Maßnahmen, an dessen erster Stelle das Interesse an dem Menschen steckt, der sich hinter der Funktion oder Position im Unternehmen verbirgt. Dabei ist der entscheidende Faktor das Zusammenspiel von Unternehmenskultur, der Arbeitgebermarke und den Arbeitsbedingungen, die auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgerichtet sind.
SAATKORN: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch rund um den Generationswechsel und Nachfolgeplanung im Mittelstand am Beispiel Timocom. Und weiterhin viel Spaß und Erfolg.
In eigener Sache: SAATKORN würde zukünftig gern mehr solche Stories featuren. Wenn Ihr ein Thema habt, meldet Euch einfach unter gero@saatkorn.com oder telefonisch unter 01607132570. Freue mich über jede Idee!