Der Gallup Engagement Index ist kürzlich zum 16. Mal veröffentlicht worden. Wie in jedem Jahr hatte ich bei Studien-Initiator Marco Nink genauer nachgefragt. Auf geht’s:
saatkorn.: Herr Nink, bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Gerne. Ich habe Publizistik, Politikwissenschaft und Soziologie studiert und arbeite seit 1997 bei Gallup in Deutschland. Wir sind ein forschungsbasiertes Beratungsunternehmen und spezialisiert auf Mitarbeiter-, Kunden- und Lieferantenmanagement. Meine Branchenschwerpunkte sind Einzelhandel, Konsumgüterindustrie, Telekommunikation sowie Banken und Versicherungen. Seit 2001 verantworte ich den Gallup Engagement Index.
saatkorn.: Kürzlich ist der diesjährige Gallup Engagement Index veröffentlicht worden. Was sind aus Ihrer Sicht die 3 wichtigsten Ergebnisse?
Keine leicht zu beantwortende Frage. Jedes Jahr gibt es in unserer Untersuchung, neben einem seit 2001 unveränderten Fragebogenteil, unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Diesmal sind wir u.a. der Frage nachgegangen, was Arbeitnehmer von ihrem Unternehmen erwarten, also was ihnen wichtig ist. Untersucht haben wir 19 verschiedene Kriterien. Überrascht hat mich, dass sich die verschiedenen Generationen – Babyboomer, Generation X und Millennials – bei den Top 5 im Wichtigkeitsranking im Grund kaum voneinander unterschieden. Es gibt zwar Unterschiede in der Reihenfolge, aber insgesamt zeigt sich ein sehr ähnliches Bild: Dabei heißt es immer, dass die Millennials ganz anders ticken als die Generationen zuvor. Doch das ist nicht der Fall. Allen Generationen sind die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit, die Möglichkeit die eigenen Fähigkeiten einbringen zu können, in einem guten kollegialen Umfeld zu arbeiten sowie eine hervorragende Führungskraft zu haben, besonders wichtig.
Ein weiteres Ergebnis, dass mich in seiner Dramatik überrascht hat, ist die Tatsache, dass ein Drittel der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal schwere Bedenken gegenüber ihrem Vorgesetzten verschwiegen haben. Jeder fünfte Arbeitnehmer hat in den letzten zwölf Monaten dreimal oder häufiger geschwiegen, obwohl sie den Eindruck hatten, dass etwas falsch läuft. Diese Personen leben in einer Angstkultur.
Bedenklich stimmt mich aber auch die Defizitorientierung hierzulande. Wir haben Arbeitnehmer gefragt: „Wenn man Ihnen je eine Liste mit Ihren Stärken und mit Ihren Schwächen geben würde, mit welcher würden Sie sich zuerst beschäftigen?“ Zwei Drittel der Beschäftigten entschieden sich für die Schwächen-Liste. Wir investieren viel Zeit und Energie in die Behebung unserer Schwächen, erreichen an diesen Stellen aber höchstens Mittelmaß. Jeder von uns, der in Schulzeit Nachhilfe hatte, dürfte das kennen. Mit Nachhilfe lässt sich aus einer ‚4‘ oder ‚5‘ in einem Fach eine ‚3‘ machen, aber nur in den seltensten Fällen eine ‚1‘.
saatkorn.: Die Unzufriedenheit von ArbeitnehmerInnen ist auf Basis des Gallup Engagement Index weiterhin auf einem relativ hohen Niveau, vergleichbar mit dem Vorjahr. Woran liegt das in erster Linie?
Bitte erlauben Sie mir an dieser Stelle mit einem Missverständnis aufzuräumen. Emotionale Bindung ist kein anderer Begriff für Zufriedenheit. Könnten Mitarbeiter die Höhe ihres Gehalts oder die Zahl der Urlaubstage selbst bestimmen, dann wären sie wahrscheinlich die zufriedensten Mitarbeiter der Welt. Treten diese Mitarbeiter dann aber auch für ihr Unternehmen ein? Nicht zwangsläufig. Mitarbeiter können gleichzeitig zufrieden und gleichgültig sein. Emotionale Bindung bedeutet dagegen die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich aus freien Stücken für den Arbeitgeber und dessen Ziele einzusetzen. Je stärker die emotionale Bindung, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Mitarbeiter im Sinne des Arbeitgebers verhält. Je größer die Anzahl der gebundenen Personen, umso leistungs- und wettbewerbsfähiger ist ein Unternehmen. Denn Beschäftigte, die emotional hoch gebunden sind, zeigen deutlich mehr Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein. Sie sind kundenfokussierter, innovativer, fehlen seltener, haben eine starke Bereitschaft ihren Arbeitgeber und dessen Produkte und Dienstleistungen weiterzuempfehlen und sie sind treuer.
Unsere Daten zeigen, dass es nur ein kleiner Teil der Führungskräfte versteht, die Bedürfnisse der Mitarbeiter am Arbeitsplatz zu adressieren. Es geht um Wertschätzung und konstruktives Feedback, darum, Mitarbeitern zuzuhören, nachzufragen, sie einzubinden oder sie in der persönlichen und fachlichen Entwicklung zu unterstützen. Da Führungskräfte selten einen Spiegel vorgehalten bekommen, hinterfragen sie ihr eigenes Führungsverhalten kaum und sind sich sicher, alles richtig zu machen. Keine Führungskraft steht morgens mit dem Vorsatz auf: „Heute will ich mal schlecht führen“. Im Gegenteil, sie wollen eigentlich einen guten Job machen und glauben, dass ihnen das auch gelingt: Nahezu alle von uns befragten Führungskräfte halten sich für eine gute Führungskraft. Dazu passt allerdings nicht, dass sieben von zehn Beschäftigten in ihrer beruflichen Laufbahn schon einmal eine schlechte Führungskraft hatten. Jeder fünfte Beschäftigte hat in den letzten zwölf Monaten sogar daran gedacht, aufgrund seines Vorgesetzen sein derzeitiges Unternehmen zu verlassen. Das zeigt: Selbstbild und Fremdbild klaffen weit auseinander. Führungskräfte brauchen dringend Feedback, um zu verstehen, wie sie und ihr Führungsverhalten von ihren Mitarbeitern wahrgenommen werden. Führungskräfte benötigen Instrumente, die ihnen dabei helfen, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren. Ein erster Schritt wäre es, die Führungsqualität systemisch zu erfassen: Nur, was sie messen, können sie auch managen. Dabei dürfen Führungskräfte mit den Ergebnissen nicht alleine gelassen werden. Trainings und Coachings sollten ihnen helfen einen besseren Job zu machen. Es gilt zu beobachten, wird die Führungsqualität besser oder tut sich nichts – und Führungsqualität zu belohnen, indem Führungskräfte gefördert werden, die Mitarbeiter emotional binden können. Gleichzeitig müssen Führungskräfte für die Qualität ihrer Führung in die Verantwortung genommen werden.
saatkorn.: Der Gallup Engagement Index schreibt den Führungskräften einige Hausaufgauben ins Buch, beispielsweise mehr Motivation, mehr Mitgestaltung für Mitarbeiter, mehr Leistungs-Feedback. Aber wir befinden uns ja auch im Jahr 2017 und das meistdiskutierte Thema unter HRlern ist New Work oder Arbeit4.0. Wie passt das zusammen? Wird nur geredet und ändert sich nichts? Oder muss sich gar nichts ändern, weil unter Umständen die Erwartungen von Arbeitnehmern und die Verantwortung von Führungskräften gar nicht deckungsgleich sein kann?
Mitarbeiter verlassen in der Regel nicht das Unternehmen, für das sie tätig sind, sondern die Führungskraft, unter der sie arbeiten. Wer kündigt, drückt damit häufig aus, dass er mit seinem Vorgesetzten und dessen Führungsverhalten nicht einverstanden ist. Wenn wir die Führungsqualität und damit die Motivation verbessern wollen, dann müssen wir Grundlegendes verändern:
Erstens: Bei der Auswahl von Führungskräften müssen wird darauf achten, wer Führungskraft wird – nicht jeder hat das Talent dazu. Vor zwei Jahren haben wir Führungskräfte dazu befragt, wie sie zu ihrer Position gekommen sind: Die häufigsten Antworten waren: Weil sie viel Erfahrung in ihrem Arbeitsgebiet hatten, weil sie schon einige Jahre für ihr Unternehmen arbeiten und weil sie Erfolg in der vorherigen Position ohne Führungsverantwortung hatten. Führungskräfte werden zu Führungskräften, weil sie es scheinbar verdienen und nicht, weil sie unbedingt dafür geeignet sind. Erfahrung und fachliche Kompetenzen sind wichtig, ersetzen aber niemals Führungstalent.
Zweitens: Personalentwicklung dient häufig dazu, schlechte Auswahlentscheidungen zu kompensieren, kann aber keine Wunder vollbringen. Natürlich kann jede Führungskraft durch Training und Coaching unterstützt werden, ihr Führungsverhalten wird sie aber nur bis zu einem gewissen Grad verbessern. Zweitens: Es gilt die bisherige Beförderungslogik zu durchbrechen. „Karriere machen“ wird hierzulande generell als stetiger Zuwachs an Personalverantwortung begriffen und vornehmlich durch die Zahl der Untergebenen definiert. Fachleute wechseln vor allem deshalb in einen Führungsjob, weil ihnen keine anderen Weiterentwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Aus hoch qualifizierten Experten werden dann häufig mittelmäßige Führungskräfte. Das Resultat: Das Unternehmen verliert eine wichtige Fachkraft und der Mitarbeiter macht einen Job, der ihm nicht wirklich liegt. Unternehmen müssen daher umdenken und Laufbahnen mit vergleichbaren Aufstiegschancen und Wertschätzung aber ohne Personalverantwortung schaffen
Und drittens müssen wir beim Feedback besser werden – bei Quantität und Qualität. Nur jeder zweite Arbeitnehmer hat im letzten Jahr mit seinem Vorgesetzten überhaupt ein Gespräch über seine Leistung bei der Arbeit geführt. Und nur knapp vier von zehn Beschäftigten stimmen uneingeschränkt der Aussage zu „die Rückmeldung, die ich zu meiner Arbeit bekomme, hilft mir, meine Arbeit besser zu machen“. Aber genau das sollte das Resultat eines Mitarbeitergesprächs sein. Schießlich ist es die Aufgabe einer Führungskraft, individuelle Leistungspotenziale freizusetzen und zur Entwicklung des Einzelnen beizutragen. Unsere Daten legen nahe, dass Führungskräfte dazu befähigt werden müssen, effektivere Leistungsgespräche zu führen. In der Regel möchte jeder Mitarbeiter die eigene Person entwickeln und dabei wahrgenommen und unterstützt werden. Dafür bedarf es eines maßgeschneiderten Dialogs in dem die individuellen Leistungen, Bedürfnisse und Entwicklungspotenzialen eines Mitarbeiters im Vordergrund stehen. Wie im Coaching müssen sich die Gespräche an den Stärken orientieren – denn hier liegt das Potenzial.
saatkorn.: Was sollten Führungskräfte denn mitbringen?
Herausragende Führungskräfte können jeden einzelnen Mitarbeiter „mitnehmen“, indem sie ihn emotional überzeugen. Sie besitzen Durchsetzungskraft und können mit Widerständen umgehen. Sie schaffen ein Arbeitsumfeld mit klaren Verantwortlichkeiten, bauen Beziehungen durch Vertrauen, Transparenz und Offenheit auf und lassen sich in der Entscheidungsfindung durch Ergebnisorientierung leiten.
saatkorn.: Was ist Ihre Erwartung für den Gallup Engagement Index im nächsten Jahr? Haben sie Erwartungen, was sich verändern wird?
Wir haben die Studie jetzt zum 16. Mal durchgeführt und die Gruppe derer, die mit Hand, Herz und Verstand bei der Sache sind, bleibt im Zeitverlauf unverändert klein. Das Ergebnis scheint wie in Beton gegossen. Um die emotionale Bindung zu erhöhen, bedarf es einer deutlich bewussteren Auseinandersetzung mit Führungsqualität und ein am Menschen und seinen Bedürfnissen orientiertes Führungsverhalten. In jedem Unternehmen lassen sich durch geeignete Maßnahmen Verbesserungen erzielen. Denn der Grad der emotionalen Bindung ist unabhängig vom Ausgangsniveau durch Dialog und lokale Maßnahmen veränderbar. Bei einem unserer Kunden waren im Jahr 2004, dem Beginn unserer Zusammenarbeit, 18 Prozent der Mitarbeiter emotional hoch gebunden, heute sind es über 70 Prozent. Das Beispiel zeigt: Veränderung ist möglich, aber sie ist ein Prozess. Ein erster Schritt wäre es, diesen Veränderungsprozess anzustoßen. Das tun aber leider noch viel zu wenige Firmen – und übersehen, dass sich emotionale Mitarbeiterbindung sowohl positiv auf die Kosten- als auch auf die Wachstumsseite auswirkt.
saatkorn.: Herr Nink, vielen Dank für das Interview zum Gallup Engagement Index!