Fluktuation: warum Mitarbeiter kündigen
Mitarbeiterbindung und ihre Kehrseite, Fluktuation, gelten als unternehmerische Erfolgsgrößen. In Mitarbeiterbefragungen wird deshalb häufig die emotionale Verbundenheit mit dem Unternehmen als Zielgröße erfasst. Aber wie aussagekräftig sind die ermittelten KPIs und sagen sie tatsächlich etwas über künftige Fluktuation und deren ökonomische Konsequenzen aus? Längsschnittstudien, die sich dem Zusammenhang zwischen Bindung und tatsächlicher Fluktuation widmen, sind in deutschen Unternehmen nur schwer zu realisieren. Hierzu müssten die Daten mehrerer Erhebungszeitpunkte auf Personenebene zusammengeführt werden. Dies ist technisch zwar möglich, wird aus Gründen der Anonymität und des Datenschutzes aber in der Regel nicht genehmigt.
PRIOTAS ist auf Mitarbeiterbefragungen und Feedbackprozesse sowie die anknüpfende Planung und Realisierung von Veränderungen spezialisiert und hat eine Längsschnittstudie, die auf Befragungen aus dem Juni 2015 und Juli 2016 basiert, zu diesem Thema veröffentlicht. Hier ein Gastartikel von Marcel Bruder und Frank Gehring von PRIOTAS.
Design und Stichprobe
Aus diesem Grund haben wir eine entsprechende Längsschnittstudie mit einem Online-Panel durchgeführt. Auf der Basis zweier
Befragungen im Juni 2015 und Juli 2016 konnten wir ermitteln, ob Mitarbeiter/-innen, die sich ihrem Arbeitgeber nur in geringem Maße verbunden fühlen, einen Jobwechsel anstreben und ob sie diesen im darauffolgenden Jahr auch in die Tat umgesetzt hatten. Zudem konnten wir prüfen, für welche Verbundenheitswerte welche Wechselraten zu erwarten sind. An der Online-Befragung nahmen 1.527 Personen teil. Es wurden Voll- und Teilzeitbeschäftigte zwischen 18 und 64 Jahren befragt, die in diversen Industrie- und Dienstleistungsbranchen tätig sind.
Ergebnisse
Insgesamt gaben 19% der befragten Arbeitnehmer/-innen an, ihren Arbeitgeber im Laufe der nächsten 12 Monate wechseln zu wollen. Sinkt die Verbundenheit, steigt die Kündigungsabsicht: Unter den Personen mit hoher Verbundenheit beabsichtigten nur 10% zu kündigen, unter denjenigen mit geringer Verbundenheit waren es 40%. Doch wie viele haben am Ende tatsächlich gewechselt und warum?
Am Ende war es, bezogen auf die im Vorjahr geäußerte Kündigungsabsicht, etwa jeder Dritte, der tatsächlich gewechselt hatte. Bei geringer emotionaler Verbundenheit war die Fluktuationsrate mit 11% allerdings anderthalb mal so hoch wie in der Gesamtgruppe (7%) und mehr als doppelt so hoch wie unter den Personen mit hoher emotionaler Verbundenheit (5%).
Was bedeutet das konkret? Abbildung 1 zeigt die fiktiven Befragungsergebnisse eines Unternehmens mit 2.000 Mitarbeiter/-innen. Zwischen den Erhebungszeitpunkten 2013, 2015 und 2017 konnte die Verbundenheit der Mitarbeiter/-innen jeweils gesteigert werden. Der Anteil hoch Verbundener stieg von 60% auf 80%; der Anteil der Personen mit moderater oder geringer Verbundenheit sank von 40% auf 20%.
Basierend auf den ermittelten Fluktuationsraten für Mitarbeiter/-innen mit hoher, moderater und geringer Verbundenheit lassen sich Erwartungswerte für die tatsächliche Fluktuation ableiten. So ist auf der Basis der Befragungsergebnisse im Jahr 2013 mit einer Fluktuationsrate von 6,4% zu rechnen, 2015 mit einer Fluktuation von 6,0% und 2017 mit einer Quote von 5,6%.
Das klingt zunächst nach nicht viel. Die Reduktion der Fluktuation um 0,4% hat zur Folge, dass acht Mitarbeiter/-innen weniger kündigen (siehe Abbildung 1). Legt man jedoch als Faustregel zugrunde, dass die Kosten für die Neubesetzung einer Stelle in etwa in der Höhe eines Jahresgehalts der zu besetzenden Stelle liegen und das durchschnittliche Jahresgehalt 50.000 Euro beträgt, geht mit der Steigerung der Verbundenheit und der Reduktion der Fluktuation eine Kostenersparnis von rund 400.000 Euro einher.
Diese Rechnung ist zugegebenermaßen etwas vereinfacht. Tatsächliche Fluktuation und Folgekosten dürften neben der emotionalen Verbundenheit durch weitere Faktoren wie zum Beispiel persönliche Lebensumstände von Arbeitnehmer/-innen oder die konjunkturelle Situation beeinflusst sein. Darüber hinaus müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Verbundenheit zu steigern. Diese sind selbst wiederum mit Kosten verbunden, die von dem ermittelten Gewinn abgezogen werden müssen. Insgesamt dürften Einsparungen im sechsstelligen Bereich aber realistisch sein, wird das Thema ernst genommen und in die Mitarbeiterbindung investiert.
Was können Unternehmen tun, um die Bindung ihrer Mitarbeiter/-innen an das Unternehmen nachhaltig zu stärken?
Gründe für das Bleiben und Wechseln
Zum zweiten Erhebungszeitpunkt haben wir die Teilnehmer/-innen auch gefragt, aus welchen Gründen sie im Unternehmen geblieben sind bzw. den Arbeitgeber gewechselt haben. Die Gründe für das Bleiben und Wechseln sind vielfältig. Als häufigster Grund für einen Wechsel wurde die Unternehmenskultur genannt. Die Zusammenarbeit mit der direkten Führungskraft gehört zwar nicht zu den häufigsten Gründen für einen Wechsel, wird aber immerhin von einem Fünftel der Befragten angeführt. Häufig wurden darüber hinaus die Unternehmensführung, die Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance und Arbeitszeitgestaltung genannt (siehe rote Balken). Sind Mitarbeiter/-innen geblieben, waren häufig praktische Gründe ausschlaggebend: Die Entfernung zum Arbeitsplatz, die Verdienstmöglichkeiten oder das Klima und die Zusammenarbeit im direkten Arbeitsumfeld (siehe grüne Balken).
Mitarbeiterbindung wirkungsvoll stärken
Die Ergebnisse der Studie zeigen auf, dass dem Thema „Flexibilisierung von Arbeit“ große Bedeutung zukommt, wenn es darum geht, Mitarbeiter/-innen zu binden. Konkret bedeutet das beispielsweise, die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien zu erkennen und entsprechend zu nutzen. Mobile Telearbeit wie etwa das Arbeiten mit einem Firmenlaptop bzw. -handy sind in vielen Branchen und Unternehmen bereits üblich.
Viele Arbeitgeber haben zudem flexible Arbeitszeitmodelle eingeführt, die es Arbeitnehmer/-innen ermöglichen, Lage und Dauer ihrer Arbeitszeit in einem gewissen Umfang selbst zu bestimmen. Übliche Instrumente sind in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Kern- und Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, Vertrauensarbeitszeit, Teilzeitarbeit, Job Sharing, Altersteilzeit oder auch die Möglichkeit einer bezahlten oder unbezahlten Auszeit (z.B. Sabbatjahr).
Zu einer räumlichen Flexibilisierung tragen außerdem Home-Office-Regelungen bei, durch die Mitarbeiter/-innen ihre Arbeit zeitweise von zu Hause aus verrichten können. Manche Unternehmen kommen ihren Mitarbeiter/-innen mit Satellitenbüros entgegen oder nutzen zusammen mit anderen Arbeitgebern Nachbarschaftsbüros.
Kultur und Führung
Auch die Unternehmenskultur spielt eine wichtige Rolle. Diese wird zwar selten als Grund für den Verbleib im Unternehmen genannt, ist aber der häufigste Grund für einen Wechsel. Die Kultur eines Unternehmens ist wenig „greifbar“. Sie hat sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und kommt im Arbeitsalltag in vielen selbstverständlichen Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter/-innen zum Ausdruck, die nicht unmittelbar beobachtbar sind.
Umso wichtiger ist es daher, dass die Unternehmensführung Kultur durch eine klare Vision mitgestaltet, aus der sich sowohl Strategien und Ziele, als auch Leitlinien, ethische Grundsätze und Werte ableiten. Sind diese im Unternehmen bekannt und werden sie von Führungskräften und Mitarbeiter/-innen gelebt, prägt dies wiederum die Unternehmenskultur. Können sich Mitarbeiter/-innen mit den Zielen, Werten und Kultur identifizieren, steigert dies Bindung und Verbleibeabsicht.
Diese Studie kann ich sehr gut nachvollziehen. Und wundere mich, warum in vielen Unternehmen dieses Thema doch immer noch stiefmütterlich behandelt wird. Trotzdem es immer schwerer wird, neues Personal zu finden, ist es dennoch häufig so, dass Kündigungen totgeschwiegen und weitgehend ignoriert werden.