Flüchtlingskrise: „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“
„Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ – angesichts der Flüchtlingskrise gibt es in vielen Unternehmen Aktionen, um Flüchtlingen einen Berufseinstieg in Deutschland zu ermöglichen. So auch bei der Deutschen Bahn. Ich hatte Gelegenheit, dazu mit Florian Wurzer, Head of Talent Acquisition Region Süd, zu sprechen. Auf geht’s
„Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ – Ansatzpunkte in der Flüchtlingskrise
saatkorn.: Florian, bitte stell Dich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Mein Name ist Florian Wurzer, ich leite bei der Deutschen Bahn die Personalgewinnung für Bayern. Wir suchen in unserer Region jedes Jahr rund 1.300 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein wesentlicher Grund ist der demografische Wandel. Zu meinem Aufgabengebiet gehört vor allem die Ansprache und Rekrutierung von Schulabgängern und von nicht-akademischen Fachkräften. Im Bereich „Talent Acquisition“ arbeite ich seit zehn Jahren mit Leib und Seele, und ich kann sagen, es ist kein Job wie jeder andere. Mit großer Freude und einem großartigen Team gehen wir jeden Tag mit Leidenschaft und Engagement klassische und auch vermehrt innovative Wege, um die besten Talente für die DB zu finden.
saatkorn.: Die Deutsche Bahn engagiert sich mit einem konkreten Ausbildungsthema für Flüchtlinge. Welche Idee steckt hinter dem Projekt „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“?
In erster Linie wollen wir mit „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ den Menschen in eine berufliche und damit auch persönliche Zukunft geben. Dazu qualifizieren wir aktuell 23 Männer zwischen 20 und 40 Jahren, die aus acht verschiedenen Ländern nach Deutschland geflohen sind.
Das Programm haben wir zusammen mit Partnern wie der Bundesagentur für Arbeit und der IHK eigens entwickelt. Wir setzen auf die Kenntnisse und Erfahrungen dieser Menschen und qualifizieren sie überbetrieblich zu Elektronikern für Betriebstechnik weiter. Dass wir uns gerade diesen Beruf ausgesucht haben, hat zwei Gründe: Zum einen ist das ein Engpassberuf in München bzw. Oberbayern. Zweitens ist es ein Beruf mit sehr guten Entwicklungsmöglichkeiten und Job-Perspektiven. Allerdings sind die fachlichen Anforderungen sehr hoch. Deshalb machen wir folgendes: Unser Qualifizierungsprogramm baut erst einmal auf den Berufskenntnissen der Flüchtlingen auf und bietet ihnen gleichzeitig die Möglichkeit einer spezialisierten Ausbildung im Bereich Verkehr bzw. Bahn. Inzwischen haben wir schon drei berufliche Anerkennungsverfahren erfolgreich durchführen können, diese Teilnehmer können nun noch schneller in ein reguläres Arbeitsverhältnis bei der DB übernommen werden.
saatkorn.: Wie kam es zu dem Projekt, wie lange hat es gedauert, bis aus der Idee „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ Wirklichkeit wurde?
Die Idee dazu gab es schon länger. Bereits im Januar 2014 hatten wir damit begonnen, die Idee in ein Konzept zu packen und haben gemeinsam mit dem DB Fernverkehr losgelegt. Uns hat beschäftigt, dass ein großer Teil der Flüchtlinge lange in ungeklärten Aufenthaltssituationen lebt, Zeit in beruflichen Umschulungsmaßnahmen verbringt oder nach potentiell gescheiterten Anerkennungsversuchen ihr Studium oder ihre Ausbildung erneut machen müssen. Diese Situation ist vor allem für erwachsene Flüchtlinge mit Kindern eine große Herausforderung, da sie einfach so schnell wie möglich Geld verdienen und ihre Familien versorgen wollen. Da ich mich auch privat engagiere, kenne ich viele Beispiele, auf die das zutrifft. Bei uns Fuß zu fassen kann wirklich schwer sein und mitunter dauert es schon recht lange, bis die Qualifizierungen oder Berufsabschlüsse bei uns anerkannt sind. Angestoßen durch die Flüchtlingsströme des vergangenen Sommers bekam das Thema Ausbildung und Qualifizierung dann erneut Auftrieb – da haben meine Kollegen von der Bahn und ich gesagt, wir müssen unser Programm schnellstmöglich umsetzen. So entstand dann „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn„.
saatkorn.: War es unternehmensintern schwierig, eine solche alternative Ausbildung durchzusetzen?
Das kann ich relativ einfach beantworten: Nein, das war es nicht. Ich habe mit meiner Chefin gesprochen und ihr Idee und Projektkonzept vorgestellt, und sie war sofort davon angetan. Natürlich konnten wir nicht sofort alle Fragen beantworten und einen soliden Projektplan vorlegen, doch die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit hatten alle Beteiligten sofort verstanden und haben das Projekt „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ befürwortet.
saatkorn.: Was sind aus Deiner Sicht die größten Herausforderungen und Stolpersteine gewesen?
Zunächst ist das Projekt „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ selbst sehr schlüssig: Wir bieten erwachsenen Asylsuchenden auf dem schnellsten Wege eine Qualifizierung und ermöglichen einen deutschen Ausbildungsabschluss nach IHK-Standard inklusive der notwendigen Deutschkenntnisse. Allerdings ist es auch sehr aufwendig. Uns war schnell klar, dass die Komplexität des Themas darin liegt, dass wir Partner brauchen, deren Arbeit koordiniert und ineinander abgestimmt sein muss, damit das alles überhaupt funktionieren kann. Das sind zum einen Partner für das Fachtraining, außerdem Sprachdienstleister, die IHK für die Fragen zu Ausbildungsstandards und Fragen bezüglich der Anerkennungsmöglichkeiten, sowie die Bundesagentur für Arbeit.
Auf der anderen Seite mussten wir frühzeitig die Kandidatenauswahl organisieren, dabei haben uns vor allem die Stadt München und die Ausländerbehörde unterstützt. Im Laufe des Projekts hat sich die politische Brisanz des Themas noch einmal gesteigert, das war im Sommer 2015. Dass hat manchmal geholfen, die Dinge in Bewegung zu bekommen, auf der anderen Seite hatten wir dann auch immer wieder mit geänderten – nicht zuletzt auch rechtlichen – Rahmenbedingungen zu tun.
saatkorn.: Sieht die Deutsche Bahn – abgesehen vom Thema Mitarbeitergewinnung – weitere Chancen bei der Integration von Flüchtlingen?
Für uns geht es darum, einen Beitrag zur Integration zu leisten. Als Deutsche Bahn bringen wir dazu ein, was wir gut können und worin wir Erfahrung haben: das ist das Thema Aus- und Weiterbildung. Darüber öffnen sich so viele Türen: Mit einem Abschluss in der Tasche gehen die Anerkennungsverfahren meist schneller und es bieten sich einfach bessere Chancen, gerade für Jugendliche, die ja in großer Zahl nach Deutschland kommen. Deshalb erweitern wir das erfolgreich laufende DB-Berufsvorbereitungsjahr „Chance plus“. Da stellen wir gerade zusätzliche Plätze für junge Flüchtlinge vor allem in gewerblich-technischen Berufen bereit, bundesweit sollen es bald 35 sein. Mit „Chance plus“ können sich Jugendliche ohne Ausbildungsplatz für eine Ausbildung oder einen Beruf qualifizieren. Die jungen Flüchtlinge erhalten zudem einen Sprachkurs.
Das heißt, mit unseren Aktivitäten übernehmen wir gesellschaftliche Verantwortung, was aus meiner persönlichen Sicht eigentlich alle Unternehmen tun sollten. Unsere Erfahrung zeigt, dass es geht – wenn die jeweiligen Partner an einem Strang ziehen. Insofern hoffe ich, dass neben unserem Projekt noch viele weitere auch für andere Berufe nachfolgen werden – bei der DB und auch bei anderen Unternehmen. Wichtig sind dabei natürlich auch die Prozesse, die möglichst einfach sein sollten, um die Integration von Flüchtlingen hoffentlich bald zu erleichtern.
saatkorn.: Ist die Ausbildung für den „Elektroniker für Betriebstechnik“ in München ein Pilotprojekt?
Ja, es ist ein Pilotprojekt. Wir wollten mit einem der wichtigsten Engpassberufe bei der DB starten. Denn es ist einer der komplexesten Ausbildungsberufe in Deutschland. Die fachlichen Anforderungen an dieses Berufsbild sind sehr hoch. Je nach Kenntnissen wird die Qualifikation zwischen 28 und 32 Monaten dauern. Im Moment sind 23 Teilnehmer im Programm – wir hoffen, dass alle die Ausbildung schaffen und später bei der DB bleiben, Einsatzmöglichkeiten bei uns gibt es genügend.
saatkorn.: Wird die Idee auch auf andere Job Profile ausgeweitet?
Ja, es sollen nun weitere Berufe folgen. Wir wollen nun einen reinen Bahnberuf, den „Fahrwegpfleger“, baldmöglichst in 2016 starten und vorstellbar sind weitere Berufe, wie z. B. Gleisbauer, Sicherungsposten oder auch Triebfahrzeugführer.
saatkorn.: Wie geht die Deutsche Bahn mit dem Thema Sprachkompetenz um. Das ist ja der erste Showstopper in allen Diskussionen rund um das Thema Flüchtlingsintegration. Werden Deutschkenntnisse vorausgesetzt?
Wir gehen da sehr verantwortungsbewusst heran. Bei uns wird niemand ausgeschlossen, nur weil jemand nicht ausreichend Deutsch spricht. Für uns war bzw. ist es viel wichtiger, dass jemand in seinem Heimatland bereits elektrotechnische Vorerfahrungen gesammelt hat. Wir glauben daran, dass jemand, der sich bereits für dieses Berufsfeld entschieden hat, in unserer Ausbildung dann mehr Freude, Begeisterung, Leidenschaft und auch Durchhaltevermögen haben wird. Alle diese Eigenschaften sind viel wichtiger, um die Ausbildung über diesen Zeitraum mit einer IHK-Prüfung erfolgreich abschließen zu können. Entsprechend haben wir uns auf die Bewerber eingestellt, nicht andersherum. Wir haben alle Programmwerbeunterlagen auf Deutsch, Englisch und Französisch erstellt. So wurde dann auch der gesamte Rekrutierungsprozess dreisprachig aufgezogen. Für den Start des Programms heißt das aber nun natürlich, dass wir alle Teilnehmer – wir haben Teilnehmer ohne Deutschkenntnisse bis hoch zu C1-Niveau dabei – auf ein Sprachniveau bringen müssen, bei dem von Beginn an die Theorie und die fachpraktischen Übungen erfolgreich gemeistert werden.
saatkorn.: Vor dem Hintergrund der demographischen Situation in Deutschland kann man sich ja durchaus die Frage stellen, warum die Unternehmen insgesamt bei den Einstellungsprozessen nicht erheblich flexibler werden?
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten, denn eigentlich ist das keine Frage, die ein Unternehmen oder generell alle Unternehmen alleine beantworten könnten. Die ganze Thematik ist so komplex, da ich bei vielen Fragen bezüglich der Einstellung und Ausbildung von Asylsuchenden einen umfangreichen rechtlichen Rahmen berücksichtigen muss. Natürlich können wir Unternehmen uns noch mehr öffnen, flexibler bei Jobanforderungen werden und selbst qualifizieren. Doch alleine mit Unternehmenswillen und –anstrengung ist das nicht zu schaffen. Hier geben uns vielmehr rechtliche Hürden eine Grenze vor. Ich glaube, und das höre ich auch von vielen Kolleginnen und Kollegen in unserer Branche, dass gerne schon viel mehr Unternehmen sich engagieren wollen würden. Doch es kostet sehr viel Zeit, es braucht geschultes Personal und so weiter. Wir bei der DB sind deshalb umso glücklicher über die Schritte, die wir bereits mit „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“ erreicht haben und deshalb glauben wir an die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von solchen Programmen. Wir blicken deshalb weiter vorwärts und investieren Zeit und Geld in weitere Maßnahmen. Generell müssen wir uns aber alle an einen Tisch setzen; Unternehmen, Behörden, Kommunen, Bildungsträger, Schulen, Sozialverbände und auch Ehrenamtliche – es geht nur gemeinsam!
saatkorn.: Florian, vielen Dank für das Interview – und weiterhin viel Erfolg mit dem Projekt „Alternative Karriere bei der Deutschen Bahn“!
Ich finde es großartig, dass die Bahnbranche Berufe für Flüchtliche zur Verfügung stellt. Falls jemand auf der Suche ist, kann ich die Seiten https://www.schienenjobs.de/ergebnisliste/ empfehlen, dort gibt es sehr viele Angebote! Hoffe ich kann damit jemandem helfen, LG Andreas
Sehr interessantes Interview. Bin bei meiner Jobsuche darauf gestoßen. Die DB und auch andere Firmen haben tolle Angebote für Neueinsteiger, es ist allerdings nicht so leicht, etwas passendes zu finden. Falls es irgendwem genauso geht: Ich hab die Seite https://www.schienenjobs.de/bahn-karriere/karriere-bei-der-bahn/ gefunden und dort wird wirklich alles gezeigt, dass hilfreich ist, um einen Job bei der Bahn zu bekommen.
Ich freue mich auf die nächsten Beiträge zur Bahn. LG Marcel