Flüchtlingsintegration ist ein hochkomlexes Thema. Es ist gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der dazu mal aus der Praxis berichtet. Umso erfreuter war ich vor einigen Wochen, als mich Negar Nazemian vom Familienunternehmen Wempe darauf ansprach. Sie konnte erste positive Erfahrungen in ihrem Unternehmen sammeln – beklagt aber auch mangelnde Flexibilität und Geschwindigkeit in der Bürokratie. Auf geht’s:
saatkorn.: Negar, bitte stell Dich und Wempe den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Als Hamburgerin mit persischen Wurzeln bin ich seit 2009 für Wempe tätig. Verantwortlich bin ich für alle Branding-Aktivitäten einschließlich der (Re-) Entwicklung einer effektiven und effizienten Strategie für das Employer Branding und Personalmarketing.
Außerdem bearbeite ich mit der Personalleitung zusammen strategische Themenfelder für übergeordnete Personalthemen wie z. B. Personalentwicklung, Beurteilungssysteme und die Planung und Umsetzung von E-Learning-Trainingseinheiten im Rahmen unserer WEMPE-Akademie.
Ich bin Deutsche und Europäerin und auf dem Papier zugleich Staatsbürgerin eines anderen Staates. Wenn man in meinen Kopf schaut, mein Verhalten beobachtet, bin ich übrigens deutsch, d.h. wenn ich denke, wenn ich arbeite und natürlich auch wenn ich Steuern zahle. 😉
saatkorn.: Wofür steht Wempe als Arbeitgeber?
Wempe gehört zu den modernsten und innovativsten Familienunternehmen Europas und zu den wichtigsten Handelspartnern großer Marken der Luxusbranche. Als Familienunternehmen mit Tradition und prominenten globalen Marken bietet Wempe zudem Stabilität und wirtschaftliche Konstanz. Man kann eigenverantwortlich arbeiten, die individuellen Stärken und eigenen Ideen ins Unternehmen einbringen und sich weiterbilden. Wempe investiert besonders stark in Aus- und Weiterbildung. Das schafft Kontinuität und ist eine wertvolle Anlage in die Zukunft des Unternehmens.
saatkorn.: Kürzlich habt Ihr erstmalig einen ehemaligen Flüchtling eingestellt. Kannst Du uns etwas zum Thema Flüchtlingsintegration erzählen? Wie ist er nach Deutschland gekommen, was macht er heute bei Wempe?
Unser ‚Wempe-Zuwachs‘ kam im Mai 2015 mit 30 Jahren ohne Deutschkenntnisse über Dubai nach Deutschland. Um einer geregelten Arbeit nachgehen zu können, war er zuvor aus Homs/ Syrien in die Vereinigten Arabischen Emirate übergesiedelt. Das Visum in Dubai wurde nicht verlängert, so dass er in Deutschland einen Neuanfang wagte. Das erste Jahr verbrachte er in einer Asylbewerberunterkunft und durfte nicht arbeiten. Währenddessen lernte er Deutsch und engagierte sich mit seinen guten Englischkenntnissen stark für die anderen Flüchtlinge in Form von Übersetzungsarbeiten oder unterstützte die Gemeinde bei Sportveranstaltungen, Festivitäten und Aktionen.
Im Anschluss bekam er die Chance auf eine Arbeitserlaubnis, wenn er einen Arbeitgeber finden würde, der ihn einstellen und eine Arbeitserlaubnis für ihn beantragen würde. Heute ist er als Verkaufsberater bei Wempe in München tätig. Besonders bereichernd und wertvoll sind seine gesammelten Erfahrungen aus dem gehobenen Luxussegment als Mitarbeiter im Verkauf in Syrien und den Emiraten. Aufgrund seines Talents und seiner zuvorkommenden Art, hat er sich bei vielen unserer Kunden schon einen Namen gemacht.
saatkorn.: Davon abgesehen, dass das natürlich für sich betrachtet eine tolle Sache ist – warum ist das Deiner Meinung nach der Rede wert? Hört sich ja so geschildert zunächst relativ einfach an. Aber das Thema Flüchtlingsintegration ist ja hochkomplex…
Die Zuwanderungsdebatte ist voll von Unwissenheit, Vorurteilen und daraus abgeleiteten Befürchtungen. Fakt ist, die Wirtschaft kann aktuell nicht alle offenen Arbeitsplätze besetzen.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) beschäftigen etwas mehr als acht Prozent der Unternehmen in Deutschland Flüchtlinge oder haben dies in den vergangenen zwei Jahren getan. Die größten Hürden bei der Flüchtlingsintegration sind mangelnde Sprach- und Fachkenntnisse und der enorme bürokratische Aufwand.
Auch der Verband „Die Familienunternehmer“ beklagte jüngst erneut, dass die Beschäftigung von Flüchtlingen in Deutschland durch zu viele Hürden behindert würde. Etwa jedes zehnte Familienunternehmen beschäftigt derzeit Flüchtlinge. Da ist noch viel mehr Potenzial vorhanden.
saatkorn.: Da scheint man wirklich differenzieren zu müssen zwischen den unternehmensinternen Prozessen und der Bürokratie, die dem Thema Flüchtlingsintegration gegenüber aufgeschossenen Unternehmen anscheinend eher Steine in den Weg legt, oder?
Genau. Um die oben genannten Quoten zu erhöhen, braucht es besonders beim Thema Arbeitsgenehmigungen eine höhere Flexibilität und Geschwindigkeit. Behörden müssen schnell klären, wer bleiben kann. Monatelange Ungewissheit verunsichert die Unternehmen, aber vor allem die zu uns kommenden Menschen.
saatkorn.: Welche Tipps kannst Du PersonalerInnen aus anderen Unternehmen zum Thema Flüchtlingsintegration geben?
Auch wenn in der Debatte um Flüchtlingsintegration immer eine emotionale Komponente mitschwingt, sollte die persönliche Meinungsbildung auf einer rationalen Grundlage stattfinden. Die Öffnung unseres Arbeitsmarktes stellt eine große Chance dar für alle Seiten – wirtschaftlich, politisch und sozial.
saatkorn.: Zurück zum Arbeitgeber Wempe. Was sind Eure mittel- bis langfristigen Herausforderungen in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting?
Mittelfristig stellen sich folgende Fragen: Was muss auf möglichst einzigartige Weise neu und hochwertig entwickelt werden, weil es für die User sprich unsere Bewerber wichtig ist? Mit welchen Inhalten lässt sich eine Vorreiterrolle oder Themenführerschaft erlangen? Wo bringen wir bereits vorhandene oder noch zu schaffende Stories zukünftig unter? Und wie findet über die unterschiedlichsten Anlaufstellen die Zielgruppe ihren Weg zu Wempe?
Langfristig gilt es, die Arbeitgebermarke weiter zu entwickeln. Eine Marke, die aus der Masse heraussticht, wirklich gelebt wird und an allen Touchpoints für Begeisterung und Interaktion sorgt und somit einen klaren Wettbewerbsvorteil im War for Talents herstellt. Taktgefühl, Kreativität, Offenheit und Schnelligkeit sind die entscheidenden Parameter, denn ein Employer Branding Manager ist heute mehr denn je Stratege, Organisationsberater und Digitalspezialist in einer Person.
saatkorn.: Negar, vielen Dank für das Interview – und weiterhin viel Spaß und Erfolg bei Wempe!