Exoten in die Unternehmen! – Ein Plädoyer für gesundes Recruiting!
Warum ist es eigentlich so, dass Exoten – also Personen, die nicht gerade IT, BWL oder Ingenieurswesen studiert haben – auf dem Arbeitsmarkt vergleichsweise schlechte Chancen haben? – Das ist eine interessante Frage, denn grundsätzlich wird wohl niemand bestreiten, dass in der Vielfalt gewaltige Stärken liegen und heterogen zusammen gestellte Teams in der Regel besser performen als homogene Teams. Warum werden dann oft immer wieder die gleichen „Typen“ eingestellt?! – In meinen Augen ist es vor allen Dingen Angst, einen Fehler bei der Einstellung zu machen. Dadurch versuchen Entscheider Ihr Risiko zu minimieren und suchen oft nach ihrer eigenen Persönlichkeit in jünger, möglichst mit der gleichen Studienerfahrung, wenn machbar auch an derselben Uni und beim selben Prof., halt ein „mini-me“…
Angesichts immer komplexerer Herausforderungen im Geschäftsleben könnte es doch ein gutes Modell sein, nicht immer nur auf Nummer Sicher (ist ohnehin nur eine vermeintliche Sicherheit) zu gehen, sondern viel offener und mit gesundem Menschenverstand Leute einzustellen. Einer, der das bei der Commerzbank macht, ist Fredun Mazaheri, der – selbst Exot – sich ausdrücklich für die Einstellung und Förderung von Leuten, deren CV nicht dem gängigen Standard entspricht, einsetzt. Dafür zunächst Hut ab und auf geht’s in das Interview. Viel Spaß dabei:
saatkorn.: Herr Mazaheri, bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor. Was haben Sie bislang beruflich gemacht, wie sind Sie in der Commerzbank gelandet und was ist dort Ihre heutige Aufgabe?
Ich komme fachlich eigentlich aus einer ganz anderen Ecke und bin studierter Pianist. Meine Karriere habe ich als freischaffender Musiker gestartet und drei Jahre von Klavier-Abenden gelebt. Dann habe ich der professionellen Musik den Rücken zugekehrt und bin in die Wirtschaft eingestiegen. Sieben Jahre war ich bei der Boston Consulting Group Strategieberatung – um dann wieder für kurze Zeit zu den schönen Künsten zurückzukehren. Ich habe einen Roman verlegen lassen, den ich geschrieben hatte, dazu Lesungen und Konzerte gegeben. Seit Anfang 2010 hat mich die Wirtschaft wieder, seitdem arbeite ich im Risikomanagement der Commerzbank.
saatkorn.: Als Bereichsleiter im Risk Management haben Sie bereits verschiedene „Exoten“ im Trainee-Bereich eingestellt. Was waren Ihre Ziele dabei?
Zum einen die Vielfalt zu fördern und die unterschiedlichen Denkansätze der verschiedenen Ausbildungshintergründe zu nutzen. So stellt zum Beispiel ein Historiker zu einem Problem andere Fragen als ein Volkswirt oder – wie in meinem Beispiel – ein Pianist. Alle diese Fragen können aber wertvoll sein, so dass man insgesamt zu einem besseren Ergebnis kommt, wenn das Team gemischt ist. Gleichzeitig habe ich im Studium die Erfahrung gemacht, dass es viele junge Menschen gibt, die sich nach dem Studium neu orientieren möchten, gleichzeitig aber nicht wissen, wie sie einen Quereinstieg hinkriegen – wenn man hier ein attraktives Ausbildungskonzept bieten kann, hat man als Arbeitgeber einen echten Wettbewerbsvorteil.
saatkorn.: Ich bin fest davon überzeugt, dass die gängigen Recruiting-Kriterien angesichts des demographischen Wandels zukünftig immer mehr an Relevanz verlieren. Auch vor dem Hintergrund zunehmend komplexer und internationaler werdender Herausforderungen werden immer mehr interdisziplinäre Teams benötigt. Hilft es, im Team „Exoten“ zu haben, um vielleicht auf originellere Lösungsansätze für Herausforderungen zu kommen?
Zum einen sind es die vielfältigen Lösungsansätze, zum anderen aber auch einfach die vermeintlich „dummen“ Fragen, die sich manche Experten seit 10 Jahren nicht mehr zu fragen trauen oder für die sie vielleicht betriebsblind geworden sind. Da stellt jemand ein Konzept vor und dann kommt so ein Theologe oder Chemiker und sagt: „Punkt drei habe ich nicht verstanden, woher genau kommt jetzt eigentlich die Rückzahlung?“ und plötzlich merkt man, dass das Konzept auch nicht wirklich schlüssig ist. Je spezieller ein Gebiet und je mehr Fach-Know-How notwendig ist, desto größer ist die Gefahr, dass niemand mehr fragt. Das Risikomanagement ist potenziell anfällig für dieses Problem, ähnlich wie zum Beispiel IT.
saatkorn.: Bitte stellen Sie doch anhand von ein, zwei Beispielen einmal dar, welche „Exoten“ Sie für die Commerzbank gewinnen konnten und was diese Kolleginnen und Kollegen heute in der Bank machen und wie die Erfahrungen waren.
Im Moment arbeiten in meinem Team zum Beispiel eine promovierte Pharmazeutin und eine Politologin.
Die eine beschäftigt sich seit Ende ihres Traineeships vor allem mit Kostencontrolling und diversen Personalentwicklungsthemen, ein hervorragendes Ausbildungsfeld für Exoten! Man trainiert beim Kostenmanagement gleichzeitig das Gefühl für Zahlen und Größenordnungen, die Akribie in der Analyse sowie den Management-Blick auf Budgets und Ausgaben. Zuvor hatte sie in ihrem Traineeship sowohl in der Portfolioanalyse als auch Einzelkreditanalyse gearbeitet, was wichtig ist, um Grundkenntnisse in der Risikofunktion zu sammeln. Sonst ist die Kostenwelt zu abstrakt. Überhaupt ist die Gestaltung der Trainee-Stationen bei Exoten besonders wichtig, damit die Trainees auch eine faire Chance haben, sich nach und nach die Grundlagen der BWL aus der Praxis anzueignen.
Unsere Politologin befindet sich noch in ihrer Traineezeit und erstellt zur Zeit eine Analyse zu Risikoprofilen eines bestimmten Kreditprodukts. Die Einarbeitung in das Thema war für sie nicht einfach. Selbst gestandene Risikomanager empfinden das Thema als komplex, aber die Trainee blieb extrem hartnäckig und ist jetzt dabei, das Thema zu knacken – zugegebenermaßen muss man als Exot im Risikomanagement eine hohe Frustrationsschwelle mitbringen. Als Zielfunktion denken wir an eine unserer Prozesseinheiten – aber es wäre ein Fehler, so einen Trainee dann nur durch Prozess-Stationen zu schicken; zu frühe Fokussierung auf ein Thema ist für Exoten nicht gut.
saatkorn.: War es schwierig, die Leute in ihren heutigen Teams zu platzieren? – Gemeinhin könnte das Vorurteil bestehen, dass in einer Bank vornehmlich Personen mit Finanz-Vorbildung gesucht werden. Exoten würde man vielleicht eher in anderen Branchen wie beispielsweise der Werbung vermuten. Wie haben die vorhandenen Kolleginnen und Kollegen darauf reagiert, nun ganz anderer Peers in ihren Teams zu haben?
Anfangs gab es tatsächlich große Vorbehalte. Doch als die ersten Exoten das Traineeprogramm beendet hatten und sich herumgesprochen hatte wie wertvolle Arbeit sie leisten, haben sich plötzlich alle drum gerissen, auch einen Exoten zu bekommen. Ich habe aktuell überhaupt keine Platzierungsprobleme meiner Exoten innerhalb der Bank.
saatkorn.: Wird in der Commerzbank daran gedacht, zukünftig systematischer QuereinsteigerInnen eine Chance zu geben?
Extra-Einstiegsprogramme für QuereinsteigerInnen bieten wir nicht an – aber Chancen in jedem unserer zehn Traineeprogramme. Ob Risk Management oder Controlling, Mittelstandsbank oder Privatkundengeschäft – in allen Bereichen können wir Talente aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen gebrauchen.
Im Traineeprogramm wird ein individueller Entwicklungsplan erstellt, in dem zum Beispiel festgelegt wird, welche Abteilungen ein Trainee durchläuft. Hier kann auf die unterschiedlichen Bedürfnisse je nach Vorwissen eingegangen werden.
Um weitere Exoten für die Bank zu gewinnen, fand Ende August 2013 ein besonderes Recruiting-Event für Geisteswissenschaftler statt. Dazu haben wir in Kooperation mit BCG und careerloft 15 Studenten zu einem Kamingespräch ins Loft nach Kreuzberg eingeladen.
saatkorn.: Herr Mazaheri, vielen Dank für das Interview. Und Ihnen viel Erfolg bei der weiteren Einstellung von Exoten!