Digitale Transformation: Walter Jochmann im Interview
Digitale Transformation und HR – auf saatkorn. ein Dauerbrenner in diesen Tagen. Walter Jochmann von Kienbaum ist nicht nur, aber eben auch für dieses Thema ein äußerst spannender Gesprächspartner. Ich hatte Gelegenheit im Vorfeld der am 3. Juni stattfindenden Kienbaum Jahrestagung insbesondere zu den Herausforderungen der Digitalisierung für HR zu sprechen. Auf geht’s:
saatkorn.: Herr Jochmann, die meisten saatkorn. LeserInnen dürften Sie kennen. Es wäre trotzdem nett, wenn Sie sich den anderen 2% kurz vorstellen könnten, vielen Dank.
Seit 1983 arbeite ich bei Kienbaum und bin heute Mitglied der Geschäftsführung und Partner von Kienbaum Consultants International, bin für das Innovationsmanagement zuständig und leite die Serviceline Organisationsentwicklung und das Kienbaum Institut @ISM für Leadership und Transformation. Von Haus aus bin ich Psychologe und habe an der Ruhr-Universität Bochum promoviert. Ich betreue hauptsächlich Großunternehmen und große Mittelständler bei HR-Transformationen. Dabei unterstütze ich vorwiegend in der strategischen Neuausrichtung von Personalbereichen, im Changemanagement und in der Beurteilung von Top-Führungskräften.
Digitale Transformation und HR: Kienbaum mit spannender Studie zum Thema
saatkorn.: Nächste Woche findet die alljährliche Kienbaum Jahrestagung statt, diesmal unter dem Titel „Von der digitalen Revolution zum hybriden Geschäftsmodell“. Sprechen wir zunächst über die „digitale Revolution“ – ist diese Ihrer Meinung nach bereits in vollem Umfang in den HR Abteilungen angekommen? – Ich habe manchmal den Eindruck, dass noch nicht überall verstanden wird, wie grundlegend die Herausforderungen eigentlich sind. Wie steht es um die digitale Transformation und HR aus Ihrer Sicht?
Dies ist eine der Fragen, mit der wir uns in der Studie Digitalisierung @HR des Kienbaum Instituts @ISM beschäftigt haben, die aktuell veröffentlicht wird. Hier geben die 270 befragten HR-Verantwortlichen an, dass das eigene Unternehmen in sehr hohem Maße von der Digitalisierung betroffen ist und die HR-Funktion sogar die am zweitstärksten betroffene Funktion sei. Ein Bewusstsein dafür, dass aktuelle Entwicklungen mehr disruptiv als evolutionär vorangetrieben werden, ist demnach vorhanden.
Nur stellt sich die Frage, welche als erfolgskritisch erachteten HR-Hebel mit hoher Priorität bedient werden, um die Transformation zu gestalten. Es bestätigen sich bisherige Studien und auch das Feedback aus den HR-Bereichen genauso wie entsprechende Themenzuschnitte auf Digitalveranstaltungen, nach denen HR die Social-Media-Anwendungsoptionen mit weitem Abstand als Veränderungshebel Nummer eins der Personalarbeit und ihrer Prozesse einschätzt – weit vor mobilen HR-Apps und dem Systemthema Cloud oder dem Trendthema Data Analytics/HR Big Data.
An sich ist dies nicht verwerflich, nur beschreibt es die Überbetonung der Digitalisierung von HR-Prozessen an sich – also die Innenperspektive. Dabei entzieht sich die HR-Funktion der Frage, wie sie darüber hinaus das Geschäft beim Vorhaben der digitalen Transformation unterstützen kann – die Außenperspektive. Die Grundfrage nach Rolle und Positionierung der Personalfunktion wird sich wahrscheinlich mehr vom Wertbeitrag für die Unternehmensentwicklung als von operativer Exzellenz klassischer HR-Prozesse und -Produkte ableiten.
saatkorn.: Nun betrifft die digitale Revolution ja alle Unternehmensbereiche. Die digitale Transformation ist die Herausforderung für nahezu alle Branchen und Unternehmen. Wie sieht das für die digitale Transformation und HR aus?
Die HR-Verantwortlichen in unserer Studie sehen ihren Personalbereich als deutlich von der Digitalisierung beeinflusst – nach der IT-Funktion an zweiter Stelle aller Unternehmensfunktionen. Dabei folgen im Einfluss unmittelbar die Vertriebsfunktion, mit gewissem Abstand dann Logistik, Forschung/Entwicklung und Produktion – also die Fokusfelder klassischer Industrie-4.0-Treiber und deren unternehmensinterne Bottom-line- Optimierung. Weitere Zentralfunktionen, zu denen IT und HR ja gehören, folgen mit deutlichem Abstand – Marketing, Finanzen und Verwaltung. Als Spiegel können andere Studien gelten, nach denen HR im unteren Drittel der Digitalaffinität und -kompetenz liegt und nach denen etwa die Finanzfunktion deutliche Umsetzungsvorteile besitzt.
Die Rolle von HR bei der digitalen Transformation der Gesamtunternehmung sehen die Studienteilnehmer zurückhaltender und geben an, dass HR zumindest diese zum heutigen Zeitpunkt nur in mittlerer Intensität begleitet. Noch spannender sind die Antworten, in welcher Form und mit welchen Prozessen und Angeboten die Personalfunktion diesen Wertbeitrag zumindest aktuell, also vor einer eigenen Innovationsoffensive, definiert. Mit starken Werten priorisieren die Personaler das interne und externe Ressourcenmanagement – also das Suchen und Besetzen – und die Qualifizierung, mit einigem Abstand Change/Kommunikation/Innovationskultur und Zusammenarbeit.
Überraschend niedrig ist die Wirkung über Mitbestimmung, neue Führungsmodelle oder einen zentralen Transformations-Steuerungsbeitrag – mit einem letzten Platz für die gegebenenfalls zentrale Aufgabe einer schnellen Umgestaltung des Personalkörpers. Dass sich die Personalfunktion weniger als Mitgestalter neuer Geschäftsmodelle sieht, ist eher nachvollziehbar, nagt allerdings am Anspruch eines strategischen Transformations-Partners.
Digitale Transformation und HR: das eine tun, das andere nicht lassen
saatkorn.: Was ist mit „hybridem Geschäftsmodell“ gemeint – insbesondere aus HR Perspektive?
Mit dem Stichwort Digitalisierung wird aktuell vieles an bestehenden Geschäftsmodellen auf Unternehmensebene, auch an Organisationsprinzipien und Personalprozessen pauschal infrage stellt. Es wird unterstellt, „dass sich alles sehr schnell radikal“ – oder besser noch – „disruptiv verändert“. Parallel sehen wir noch dominierende traditionelle Geschäftsmodelle, HR Bereiche mit fest verankerten IT Architekturen einer eigentlich alten Generation, Talente-Pools mit durchaus klassischen Entwicklungs-/Gehalts- und Gestaltungsmotivationen. Dies führt bei den Verantwortlichen eher zu einer abwartenden Starre als zu einer optimistisch-proaktiven Veränderungshaltung.
Zudem sind die Veränderungsgeschwindigkeiten in Branchen und Unternehmensfunktionen unterschiedlich – wer zu früh bewährte Geschäfte und interne Prozesse aufgibt, neue Lösungen noch nicht souverän beherrscht, fällt in einen gefährlichen „inbetween Status“. Hybrid meint, 2 Welten zu bedienen – die Optimierung und Ausschöpfung aktueller Erfolgsmuster und parallel den Aufbau innovativer Leistungen und Strukturen. Dies wird in einigen Fällen komplett integriert funktionieren, oft aber auch einen geschützten Raum für den Innovationssektor benötigen – der dann nach viel freieren Mustern arbeitet und nach erzielten Erfolgen mit dann validen neuen Prozessen auch den etablierten Unternehmensbereich schnell verändern kann. Auf HR bezogen bedeutet das, mit unterschiedlicher Strategie die Bestands- und die Innovationsbereiche zu betreuen, auch in der eigenen Organisation eine Mischung aus notwendigen Operations- und Expertenfunktionen einerseits, aus Berater- und Startup-geprägten Innovations-Typologien andererseits zu schaffen.
Kultur, Kollaboration und Transformation sollten zentrale HR Themen werden
saatkorn.: Welche Handlungsempfehlungen haben Sie in Richtung der HR Abteilungen kurz-, mittel- und langfristig im Kontext digitale Transformation und HR?
Dass HR-Funktionen die Perspektive der Belegschaft mit erfolgskritischen Kompetenzen, mit Personalkosten, mit Abbau und Aufbau in vielen Jobgruppen als wenig erfolgskritisch einstuft, könnte ein bedeutsamer blinder Fleck sein. Externe Expertenurteile ergeben ein deutlich anderes Bild für die werttreibenden HR-Prozesse einer unternehmensweiten, digital geprägten Transformation mit einer außerordentlich deutlichen Betonung von Kultur, Kollaboration, Change und ganzheitlicher Transformation. Die Ergebnisse spiegeln augenscheinlich die heute für viele Personalbereiche zutreffenden Kapazitäten- und Kompetenzbeschränkungen in diesen eher qualitativen Prozessen – nach Kienbaum-Research liegen sie bei weniger als 10 Prozent des gesamten HR-Headcounts. Wenn die HR-Funktion die Chancen einer Positionsverbesserung aufgrund der Bedeutung personalwirtschaftlicher und kultureller Faktoren in der digitalen Unternehmenstransformation wahrnehmen will, muss diese Leistungsdiskrepanz schnell ausgeglichen werden.
saatkorn.: Kommen wir konkret zur Konferenz am 2. Juni in Ehreshoven. Was sind für Sie persönlich Agenda-Highlights?
Die Kienbaum Jahrestagung wird in diesem Jahr völlig neu gestaltet. Wir haben mit Janina Kugel und Kevin Warwick zwei spannende Keynote-Speaker gewinnen: Janina Kugel wird die Frage beantworten, mit welchen Maßnahmen ein deutscher Großkonzern sich auf die u.a. durch Digitalisierung ausgelösten Herausforderungen einstellt, und Professor Warwick gibt uns einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse aus dem Forschungsfeld der Kybernetik – denn Cyborgs sind schon heute Realität! Ich selber werde meine Vision der HR-Funktion der Zukunft skizzieren und Altbewährtes auf den Prüfstand stellen. Ich freue mich auch sehr auf die interaktiven Formate am Vormittag und Nachmittag zu den Themen Digital Leadership, HR-Geschäftsmodell der Zukunft, HR als Treiber der digitalen Unternehmenstransformation und Transformation der Belegschaft 2020. Es wird eine Herausforderung werden die knapp 500 erwarteten Teilnehmer konstruktiv in Kleingruppen miteinander diskutieren zu lassen – aber wir setzen hier auf eine innovative, digitale Infrastruktur und freuen uns auf neue Erkenntnisse und Ideen!
saatkorn.: Herr Jochmann, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem neuen Konzept der Kienbaum Jahrestagung rund um digitale Transformation und HR.
Wer jetzt Lust auf die Tagung kommende Woche hat: Anmelden kann man sich HIER.
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Interessanter Beitrag Herr Jochmann & Herr Hesse! Durch den traditionellen Fokus auf Compliance und die Einhaltung von Richtlinien tut sich HR extrem schwer, den geschilderten Innovationsgeist in sich zu erwecken – ganz zu schweigen anderen Stakeholdern ein Vorbild zu sein und als Change Agent aufzutreten. Dies ist aber notwendig, damit HR in den Unternehmen der Zukunft eine relevante Rolle spielt. Es fehlt sowohl der von Ihnen angesprochene „geschützte Raum“ als auch der Mut für Experimente und ein moderner Analyticsunterbau, um schnell zu erkennen, welche Experimente Früchte tragen. Doch gerade der Mut kann nur heranwachsen, wenn wir uns von dem Gedanken entfernen, dass jedes Projekt – oder in diesem Fall Experiment – ein Erfolg werden muss. Wenn es Unternehmen gelingt durch einen geringen Aufwand herauszufinden, dass ein bestimmtes Instrument nicht funktioniert, ist doch viel gewonnen.
Ich bin mir nicht sicher, ob die aus einer compliance-bestimmenden Welt kommenden Personaler überhaupt die Transformation zu einer innovativen, risikofreudigeren Employee Experience Unit schaffen können, was in den vorhandenen Fähigkeit, des starren Mindsets und der Reputation innerhalb der Organisation begründet ist. Dies macht die Sattelbergersche Spaltung der HR Abteilungen vielleicht umso dringender.