Neustart: In der Wirtschaft Fokus auf Menschen, nicht Zahlen
Neustart: In der Wirtschaft Fokus auf Menschen, nicht Zahlen
Der vorletzte saatkorn „Schnaps bleibt Schnaps“ Buchtitel ist meine Lieblingsempfehlung:
Das Buch „Neustart“ passt zu vielen Themen, die ich auf saatkorn. in den letzten Wochen andiskutiert hatte, u.a. zur Frage um die „Radikalisierung der Arbeitswelt“ und den „New Work Gedanken von Thomas Sattelberger“. „Neustart“ fordert eine radikale Änderung der Unternehmenskultur – weg von der reinen Fokussierung auf wirtschaftliche Kennziffern, hin zu einer Kutlur, welche die Menschen in den Vordergrund stellt. Das Buch war in den Top 10 der Handelsblatt Bestsellerliste und wurde von ChangeX zum Buch des Jahres 2013 gewählt. – Also gleich diverse Gründe, um dem Autor Patrick D. Cowden mal etwas näher auf den Zahn zu fühlen. Und ein Exemplar wird auf der saatkorn. facebook Seite verlost, dazu mehr unten. Jetzt erstmal ins Interiew mit Patrick D. Cowden von beyond leadership. Auf geht’s:
saatkorn.: Patrick, bitte stell Dich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor. Du haben ja einen spannenden Lebenslauf. Inwiefern hat Dein Lebenslauf dazu beigetragen das Buch „Neustart“ zu schreiben?
Im Grunde genommen ist die Antwort auf die Frage mein Werdegang. Ich bin als Deutsch-Amerikaner ja ganz speziell geprägt: meine Mutter mit ihrer typisch deutschen Genauigkeit und Detailverliebtheit und mein Vater mit einer typisch amerikanischen Begeisterungsfähigkeit erfüllen zwar in gewisser Hinsicht Stereotype, aber diese Eigenschaften beschreiben mich schon sehr gut.
Mein beruflicher Werdegang, ohne Studium über verschiedene Stationen im Empfang, im Vertrieb bis hin zur Geschäftsleitung zu kommen sowie die Tatsache, dass ich sowohl deutsche (Deutsche Bank), amerikanische (Dell) und japanische (Hitachi) Firmen kennen gelernt habe und schließlich die Tatsache, dass ich in meinen Rollen und in den verschiedenen Unternehmen zwar immer sehr erfolgreich war, aber dennoch jedes Mal gefeuert wurde, führten dazu, einmal genauer zu reflektieren und viele zeitweise selbstverständlichen Verhaltensmuster bei mir und in den Wirtschaftssystemen, in denen ich war, zu hinterfragen. Die Erkenntnis, dass unser heutiges Wirtschaftssystem rein zahlengetrieben funktioniert und für den gesunden Menschenverstand und Menschlichkeit kein Raum ist, hat mich 2008 dazu bewogen, beyond leadership zu gründen, um als Redner an Business Schools und Universitäten, als Change Agent in Unternehmen und Ideengeber für neue Ansätze aktiv an der Änderung des Systems, dessen Diener ich jahrelang gewesen bin, zu arbeiten. Das Buch „Neustart“ ist ein weiterer Schritt, um die Gedanken hinter beyond leadership weiter zu tragen.
Meine Meinung ist: wir müssen in der Wirtschaft die Menschlichkeit in den Vordergrund stellen. Wir brauchen eine Verbindung zueinander und gemeinsames Agieren. Gelingt es, einzelne Menschen zu begeistern, dann folgt der Rest. Es geht mir aktuell darum, Unternehmenslenker und –inhaber zu überzeugen.
saatkorn.: Du stellst Werte wie „Vertrauen“, „Achtsamkeit“, „Empathie“ oder „Toleranz“ in den Vordergrund. Alles eher softe Begrifflichkeiten, die deutlich von den eher zahlenorientierten Terminologien der Wirtschaft abweichen. Glaubst Du dass Dein Buch auch bei Top Entscheidungsträgern diskutiert wird, oder ist es am Ende doch eher ein Buch, welches „nur“ von Personalentwicklern gelesen wird?
Ich habe den Eindruck, dass sich immer mehr Menschen – auch in leitenden Positionen – mit Gedanken wie in „Neustart“ postuliert befassen. Ich glaube aber, dass die Beweggründe momentan noch vor allem darin zu finden sind, dass die althergebrachten Managementprinzipien von Kostenreduktion und Reorganisationen immer weniger greifen. Wenn alle Unternehmen prozessual mehr oder weniger durchoptimiert sind, wenn alle einen sehr hohen technischen Standard aufweisen, was ist dann noch mit Kostenreduktionen oder Reorgs zu holen? – Jeder BWL Student im ersten Semester weiß, dass der Aufwand, die letzten 5% durchzuoptimieren im Vergleich zum daraus entstehenden Ergebnis gigantisch ist. Nein – vielen Firmenlenkern dämmert so langsam, dass der eigentliche Hebel in der Mitarbeiterschaft zu suchen ist. Wenn laut Gallup Studie nur 15 % der Mitarbeiter deutscher Konzerne einen hohen Engagement Index mit ihren Arbeitgebern aufweisen, sind im Umkehrschluss eben 85 % nicht wirklich engagiert bei der Sache. Welchen Hebel hätte man, wenn man diese Mitarbeiter erreichen würde?!
saatkorn.: Ich beschäftige mich hier im saatkorn-Blog ja in erster Linie mit dem Thema Arbeitgeberattraktivität und glaube persönlich, dass die Unternehmenskultur zunehmend zum zentralen Wettbewerbsdifferenzierungstreiber wird. In einer Volkswirtschaft wie der deutschen, die einerseits sehr gesund ist und andererseits durch die demografische Entwicklung in einigen Branchen den Fachkräftemangel bereits sehr deutlich zu spüren bekommt, werden immer mehr Arbeitnehmer auswählen, zu welchem Unternehmen sie gehen. Ein Paradigmenwechsel, waren es bislang doch eher die Unternehmen, welche die Arbeitnehmer ausgewählt haben. Sehen Sie das ähnlich?
Absolut, das trifft auch in meinen Augen zu. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn der Change in beide Richtungen läuft. Top Down durch Erkenntnisgewinn bei fortschrittlich denkenden Top Entscheidern und Bottom Up bei der Gruppe der Generation Y, die es sich in Deutschland aufgrund der gesunden Wirtschaftsentwicklung bei einer parallel zu ihren Gunsten stattfindenen demografischen Entwicklung erlauben kann, Forderungen zu stellen. Ich bin mir sicher: für jüngere Leute sind Unternehmen mit einem klaren Fokus auf ein gesundes und menschliches Miteinander spannender.
saatkorn.: Es gibt ja zahlreiche Untersuchungen, die einen direkten Zusammenhang zwischen Zufriedenheit der einzelnen Individuen in einer Organisation und wirtschaftlichem Erfolg einer Gesamtorganisation sehen. Warum werden Konzerne dann in der Regel nicht mitarbeiter- sondern zahlenorientiert geführt?
Weil es ein altes und etabliertes Denken ist. Meiner Meinung nach findet es seine Ursprünge in den Gedanken von Taylor und Friedman. Allerdings war das die Zeit der Industrialisierung, wo man durch tayloristische Prozesse und knallhartem Gewinnstreben auch wirklich etwas erreichen konnte. Diese Zeiten sind meiner Meinung nach vorbei, gerade heute, wo wir mit der Digitalisierung immer näher zusammen rücken und der Mensch den Unterschied macht, Stichwort Wissensarbeit. Viele Business Schools und Eliten sind aber immer noch im alten Denken verhaftet und tun sich schwer damit, diese jahrzentealte Prägung hinter sich zu lassen.
saatkorn.: Welche Rolle hat Deiner Auffassung eigentlich die Personalabteilung? – Ich habe oft den Eindruck, dass die HR Fraktion sich eher als ERfüllungsgehilfe der CEOs anstelle als echter Sparringspartner mit eigener Meinung positioniert…
Tja, die Personaler haben sich den Themen Standardisierung und Kostenreduktion gefügt und sind oft eben nicht in erster Linie Anwalt der Mitarbeiter. In vorauseilendem Gehorsam reden Sie den CEOs nach dem Mund, anstelle sich als ernst zu nehmender Sparringspartner zu positionieren. Personalabteilungen begleiten in der Regel Kostenreduktionsprogramme und Reorg-Maßnahmen und helfen mit, die „überflüssigen“ Mitarbeiter rauszuhauen. Genau diese Vorgehensweise zerstört aber Vertrauen. Das Vertrauensumfeld fehlt oft. Es ist sehr sschade und natürlich gibt es Ausnahmen. Wenn es jeamnden gibt, der für Humans steht, ist die Human Resources Abteilung. Aber auch die unterliegen dem Command & Control.
saatkorn.: Was ist Deine Zukunftsprognose. Wo stehen wir in Deutschland in 5 Jahren?
5 Jahre ist ein bisschen schnell, der eine oder andere große Lenker und Visionär wird sich bekennen und auf die Menschen fokussieren, aber insgesamt wird diese Umwälzung sicher länger dauern, ich gehe von 10 Jahren aus. Ich habe noch nie eine Rede gehört beim Antritt eines CEOs, in der der CEO sagt: mein Ziel ist es, die am höchsten motivierten Mitarbeiter in der ganzen Welt zu haben. Und für die Mitarbeiter bin ich da. – Irgendwann wird es aber genau diese Rede geben. 5 Jahre ist meiner Meinung nach zu kurz gegriffen, aber ich bin bei vielen Unis und Business Schools, wo großes Interesse an diesem Thema ist. Die ersten Statements wird es auch in den nächsten 5 Jahren schon geben, meine Prognose ist, dass wir in 10 Jahren bei dem Thema voll in der Umsetzung sind, nahezu überall.
saatkorn.: Patrick, vielen Dank für das Interview – und viel Erfolg mit beyond leadership und „Neustart“.
Das Buch „Neustart“ verlose ich heute über die saatkorn. facebook Seite. Einfach drauf gehen und argumentieren, warum ausgerechnet DU das Buch brauchst.
Der Autor beschreibt eigentlich nichts Neues und keine besonderen Erkenntnisse.
Denn ist gerade die Aufgabe von Unternehmen gegensätzliche Bedürfnisse und Anforderungen zu vereinbaren, d.h. sogar Widersprüche stehen lassen und aushalten, wie
– Gewinnorientierung und Kundenzufriedenheit
– Zufriedene Mitarbeiter, aber nicht jeden Lohn zahlen zu wollen
– Ein Maß an Mitbestimmung der Mitarbeiter, aber als Management dennoch das Unternehmenswohl aus Sicht der Eigentümer zu wahren
– Sich gegen Wettbewerber absetzen ohne unfair auf Märkten zu agieren
– Neue Ideen zu haben und zu rationalisieren, dennoch nicht zu viele Jobs im Unternehmen überflüssig zu machen
– Fair einzustellen, aber auch zu entlassen, wenn es je nach Lage unumgänglich ist.
Ließe sich beliebig fortsetzen. Es ist, wie oft im Leben, weder ideale Unternehmen, Chefs aber auch Mitarbeiter oder Gewerkschaften, geschweige Kunden und Zulieferer gibt es, aber die Aufgabe in schwierigen Handlungsfeldern Kompromisse und gangbare Wege suchen, die mindestens die meisten Betroffenen und Beteiligten mittragen und mitmachen können, also auf das Maximale verzichten zu können, nicht auf das Optimale.
Ich bin immer wieder überrascht, wie naiv manche Menschen und gerade oft auch Fachleute in die Welt schauen. Mittlerweile ist längst bekannt, dass sich Diskurse über einen effektiven Zusammenhang von „menschlich Gutem“ und wirtschaftlichem Erfolg vor allem um sich selber drehen. Die reale Wirtschaft geht währenddessen meist andere Wege. Letztens gab es eine Doku in der ARD mit dem reißerischen Thema „Märchen Fachkräftemangel“, in dem klar nachgewiesen wurde, dass gerade in den meist zitierten Fachberufen überhaupt kein Fachmangel herrscht, die Industrie allerdings gerne ausländische Fachkräfte zu niedrigeren Gehältern einstellt. Das geht bis in die IT hinein. Die besser bezahlten deutschen Fachkräfte werden dann nach und nach entlassen, evt. mit der Option, zu einem geringeren Gehalt wieder einzusteigen.
Vielen Dank für das Interview mit Herrn Cowden. Ich habe ihn selber mal beim World Business Dialogue in Köln erlebt – ein toller Redner, den ich nur empfehlen kann. Seine Gedanken sind absolut richtig, sein Ansatz aber auch noch Meilen von der gelebten Realität entfernt. Ich tippe auch eher auf Minimum 10 Jahre, bis sich die Unternehmenslenker in Richtung mehr Menschlichkeit bewegen. Wenn überhaupt. Der Mann ist ein tolles Beispiel, wie mühsam es ist, die harten Mainstreambretter zu bohren – selbst, wenn man eigentlich erfolgreich ist.
Herzlichen Gruß, Henrik Zaborowski