Candidate Experience: Das kandidatenfreundliche ATS
Candidate Experience: Bewerbern ist es egal, welches ATS ihr habt – nicht aber, wie ihr es implementiert
Ein Gastartikel von Julian Ziesing, Partner bei Potentialpark
Geht das – ein kandidatenfreundliches ATS*? Und wenn ja, welcher Provider hat das beste Angebot in puncto Candidate Experience? Wir haben dazu neue Daten und Erkenntnisse.
*ATS = Applicant Tracking System, oder zu Deutsch Bewerbermanagementsystem (BMS)
Die Ansprüche von Bewerbern steigen, und ATS-Provider stehen daher immer mehr unter Zugzwang, ihre Systeme zu verbessern. In den vergangenen Monaten habe ich viele Gespräche mit HRlern und ITlern zu diesem Thema geführt, und bei mir hat sich der Eindruck verfestigt: Nicht die Wahl des ATS ist entscheidend, sondern vielmehr, wie man es implementiert. Und das ist oft eine Sache des guten Projektmanagements und vor allem des Mindsets im Unternehmen.
Doch von vorn.
Alarmierende Signale von den Bewerbern
„Wir kriegen ein neues ATS – und uns graut schon davor“ – das hörten wir dieses Frühjahr in ungewöhnlicher und beunruhigender Häufigkeit von HR-Teams. Warum auf einmal? Vielleicht haben Unternehmen im Lockdown endlich mal wieder Zeit für strategische Projekte und nutzen sie, um ihre IT auf Vordermann zu bringen?
Wir hatten im Februar gerade die neuen Rankings der talentfreundlichsten Onlinebewerbungen vorgestellt, sowie die Zahlen, die zeigen, wie viele Kandidaten bereits einmal eine Bewerbung abgebrochen haben und was sie dabei so frustriert (siehe unten). Des Kandidaten Frust ist des Arbeitgebers Verlust: Alarmierend ist das allemal, aber auch nicht wirklich neu:
HIER geht’s zu allen Rankings.
Der Grund ist nicht nur das Formular an sich mit all seinen Tücken, sondern die Intransparenz, oder auch genannt der „Black-Box-Effekt“: Ich weiß nicht, was mit meinen Daten passiert, wer sie bewertet, Mensch oder Maschine, nach welchen Kriterien, wie lang das dauert, wann ich zurück höre und ob ich eine faire Chance habe. Menschlich ist das eine unangenehme Situation, die so gar nicht zur vielbeschworenen „Augenhöhe“ zwischen Arbeitgeber und Bewerber passt.
Dazu kommen Stellensuchen und Stellenanzeigen, die nicht immer alle Fragen beantworten, sondern eher mit kryptischen Stellentiteln, Bullet-Point-Wüsten und nebulös formulierten Benefits aufwarten. Ganz abgesehen von langen Antwortzeiten. User-unfreundliche ATS und Bewerbungsprozesse dürften Hauptgrund für den Verlust von Bewerbern sein.
So mancher Arbeitgeber dürfte erschrecken, wenn er einmal misst, wie viele angefangene, aber nie abgeschickte Bewerbungen in seiner Datenbank schlummern (bevor das System sie löscht).
Neben dem Technischen zählt also auch der ganze Prozess dahinter.
Angst und Schrecken bei HR-Teams
Ein schmerzhaftes Thema aus Marketing-Sicht. So scheint schon der Gedanke an ein neues System Angst und Schrecken zu verbreiten: Nicht wenige HR-Teams haben in den letzten Jahren viel Energie investiert und mühsam eine bewerberfreundliche Stellensuche, durchdachte Stellenanzeigen und nutzerfreundliche Formulare aufgebaut – ist das bei einem neuen Provider futsch? „Haben wir aus Personalmarketing-Sicht überhaupt etwas mitzureden, wenn wir einen neuen Provider bekommen?“
Als wir bei Potentialpark dann im Februar – mehr zum Scherz – ankündigten, eine SAP-Selbsthilfegruppe für gestresste HRlerinnen und HRler einzurichten, kam die vielfache Rückmeldung „wo kann ich mich anmelden“? Und als wir das als Witz auflösten, wollte das niemand so recht glauben: „Nein wirklich, das wäre genau das, was wir grad brauchen“. Auch ein interessantes Marktsignal.
Daraus ist eine Eventreihe entstanden, auf der wir der Frage nachgehen: Wie kann man ein ATS kandidatenfreundlich implementieren? Welches sind die besten Cases von Arbeitgebern und ihren Partnern und Agenturen? Und wie sieht das Bewerben der Zukunft aus? Alles läuft mit Blick auf Candidate First und daher unter dem hoffnungsvollen Event-Namen Applying Online & Loving It.
Hier geht’s zur Eventreihe.
Doch um diese Events soll es hier gar nicht gehen, sondern die Frage: Liegt es wirklich am Anbieter, ob man mit seinem ATS erfolgreich ist oder Kandidaten verliert? Sind mit der Wahl des Providers die Weichen gestellt, die Grenzen gesetzt? Das sehe ich mittlerweile nicht mehr ganz so.
Sind die ATS-Provider wirklich schuld?
Eines stimmt: Ein neues ATS dient auch als Lackmustest dafür, wie ernst ein Unternehmen es mit Employer Branding, Recruiting und der Candidate Experience meint und welchen Einfluss HR auf die Wahl und Gestaltung von Tools und Prozessen hat.
Für die Bewerber – siehe die Zahlen oben – war die Onlinebewerbung schon immer die größte Frustrationsquelle überhaupt.
Dennoch haben unsere Untersuchungen – Stand 2021 – diese Erkenntnisse zu Tage befördert:
1. Kein ATS ist von Grund auf „fertig“ und „kandidatenfreundlich“. Vielmehr kommt es darauf, wie es implementiert wird, und vor allem auch auf den gesamten Prozess der Bewerbung.
2. Es zeigt sich, dass die meisten Provider sowohl ganz vorn als auch ganz hinten im Ranking auftauchen. Kein Provider an sich ist in der Grundversion perfekt. Wettbewerbsfähig wird die Implementierung erst durch die richtigen Anpassungen, die geeignet sind, die Bedürfnisse der Unternehmen und ihrer Kandidaten zu erfüllen.
3. Die besten Arbeitgeber im Ranking nutzen daher nicht nur einen ATS-Provider (SAP, Taleo, Workday, Avature, etc.), sondern darüber hinaus ein kandidatenfreundliches Front-End, das sie mit Hilfe weiterer Partner speziell entwickelt haben (zum Beispiel for suxess oder nexum).
Eine mögliche Erklärung lautet: Ein ATS ist zunächst ein IT-Produkt, das möglichst profitabel sein soll. Und die Kunden – das sind beim Kauf eines ATS nicht die Kandidaten und HR, sondern meist andere Entscheider im Management – haben andere Kriterien als die Candidate Experience: Der Preis spielt eine Rolle, vielleicht die Recruiter-Funktionalität, und natürlich die Integration in die bestehende IT-Landschaft (SAP-Businesskunden kaufen oft SuccessFactors).
Somit beantworten ATS-Provider nur die Wünsche ihrer Kunden, was man ihnen kaum zur Last legen kann. Es liegt also am Mindset im Unternehmen: Was hat Priorität? Gibt es ein Bewusstsein im Management für die Kosten eines schlechten ATS, also die Kosten von verlorenen Kandidaten? Gibt es klare Vorstellungen, wie ein kandidatenfreundlicher Prozess aussieht? Was wird vom Provider eingefordert, wo braucht es Hilfe von anderen Partnern? Kann man die Requirements gegenüber den Partnern klar benennen und auch intern alle Stakeholder darauf verpflichten?
Candidate-First-Mindset
Wenn ein riesiger Konzern wie Bosch– Gast beim Event am 17. Juni 2021 – mit seinem Provider SmartRecruiters es dabei schafft, das Prinzip Candidate First von Anfang an als eine Säule des Implementierungs-Projektes zu etablieren, würde ich das bereits als echten Erfolg sehen. Wenn hingegen andere Unternehmen zunächst einmal implementieren und sagen, um die Candidate Experience kümmern wir uns hinterher, so ist das eher das Prinzip „lipstick on the penguin“.
Fazit: Nicht auf den Provider kommt es in allererster Linie an, sondern auf dessen Kunden, also den Arbeitgeber, der das System einkauft. Je lauter und deutlicher im Zuge der Implementierung die Stimme der Kandidaten zu vernehmen ist, und zwar von Anfang an, nicht erst nach der Fertigstellung, desto besser für die Wirkung bei den, ja, eigentlichen Kunden des Ganzen, den Bewerberinnen und Bewerbern.
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Twitter: @julianziesing
Den aktuellen SAATKORN Podcast mit Potentialpark gibt’s hier: