Schon vor einiger Zeit ist die lesenswerte Candidate Experience Studie von Christoph Athanas und Prof. Peter M. Wald erschienen. Die beiden muss man für die meisten saatkorn. LeserInnen vermutlich nicht mehr vorstellen, aber falls es bei dem Einen oder Anderen noch Wissenslücken geben sollte, hier zunächst ein paar Infos zu den heutigen Interviewpartnern:
Peter M. Wald ist seit 2009 Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig). Seine Forschungs- und Interessensschwerpunkte sind Führungs-, Organisationsthemen vor allem unter dem Blick auf soziale und digitale Prozesse und die Erwartungen von Bewerbern. Er war vor seiner Hochschultätigkeit als Personalleiter aktiv. Er ist HR-Blogger (Leipziger-HRM-Blog), Co-Autor Candidate Experience Studie 2014 und Initiator des jährlichen HR Innovation Days in Leipzig.
Christoph Athanas ist Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung GmbH, die sich auf Recruiting-Optimierung und den Auf- und Ausbau der Arbeitgeberattraktivität spezialisiert hat. Er ist Co-Autor der Studie Candidate Experience 2014, HR-Blogger (meta HR Blog) und zudem einer von zwei Organisatoren der jährlichen HR-Trendevents HR BarCamp.
So, nachdem das geklärt ist, kann es ja losgehen – ich hatte die Beiden auf der HR Edge getroffen. Allemal Grund genug für ein Gespräch zum Thema Candidate Experience. Auf geht’s:
Candidate Experience: Christoph Athanas und Prof. Wald im Interview
saatkorn.: Candidate Experience: ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Oder ist es wirklich ein Neues Thema für die HR Welt? – Man sollte ja meinen, dass die Meinung von Kandidaten für die Personalabteilung schon immer wichtig gewesen sein müsste. Oder liegt es am Paradigmenwechsel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt, dass ich Arbeitgeber immer mehr mit Erwartungen und Wünschen von Kandidaten auseinander setzen müssen?
Prof. Peter M. Wald: Sowohl als auch: Hier wurde in der Vergangenheit jedoch meist sehr unsystematisch vorgegangen. Die Gestaltung der Bewerbungsprozesse oblag den dort handelnden Personalern. Der Bewerber wurde eher als einzustellendes „Objekt“ gesehen. Die Auswirkungen von schlechten Erfahrungen bei Bewerbungen auf die Reputation von Unternehmen waren nicht im Blickfeld von HR. Dies ist auch der Grund dafür, dass Bewerbererfahrungen bis zum Jahr 2014 nicht systematisch erhoben wurden und die Auswirkungen nicht bekannt waren. Dies haben wir mit unserer Candidate Experience Studie geändert.
saatkorn.: Christoph, was waren die aus Deiner persönlichen Sicht überraschendsten Erkenntnisse Eurer Studie?
Christoph Athanas: Es gibt eine Reihe Ergebnisse unserer Studie, die ich überraschend fand. Nicht immer in der Grundaussage, aber dann doch in der Deutlichkeit der Zahlen. Ich möchte vor allem zwei Erkenntnisse herausheben:
- 80% aller Bewerber teilen Ihre Bewerbererfahrungen im Freundeskreis mit. 25% auch via sozialen Medien. Bei den unter 30-jährigen kommuniziert bereits fast jeder Dritte (31,2%) die eigene Bewerbungserfahrung über Social Media. Das fand ich für die was eher beruflich Social Media Nutzung zöglichen Deutschen schon ziemlich viel.
- Ich fand ich es faszinierend zu sehen, wie stark der Einfluss der finalen Candidate Experience auf das wahrgenommene Arbeitgeberimage ist. Eine positive Candidate Experience steigert das Arbeitgeberimage aus Sicht der Bewerber, eine negative schädigt es. Soweit klar und und irgendwo zu erwarten. Spannend wird es nun: Selbst in den Fällen, wo es im Ergebnis der Bewerbung zu einer Absage gekommen ist, liegt im Mittel die Bewertung des Arbeitgeberimages auf gleichbleibend hohem Niveau! Damit kann man sagen, eine gute Kandidatenerfahrung fängt die Enttäuschung über den Nicht-Erhalt der Stelle vollständig auf und schützt somit die Arbeitgeberreputation. Die Zahlen dazu finden sich hier in der Tabelle.
saatkorn.: Herr Prof. Wald, wie beurteilen Sie den Stand der „Candidate Experience“ in Deutschland basierend auf Ihrer Studie? – Haben die Unternehmen da großen Nachholbedarf?
Prof. Peter M. Wald: Die Ergebnisse unserer Studie haben mich bestürzt, aber meine Erkenntnisse aus Gesprächen mit Studierenden zum großen Teil bestätigt. Viele der Studierenden haben von negativen Erfahrungen berichtet – angefangen von fehlenden Reaktionen auf Bewerbungen, negativen Eindrücken aus Kontakten und in Gesprächen mit den Unternehmen bis hin zum „Versanden“ von Bewerbungen. Die Ergebnisse unterstreichen den großen Handlungsbedarf nachdrücklich, weil diese Erfahrungen nun auch zahlenmäßig und anhand von Statements der Befragten belegt werden können. Der angesprochene Nachholbedarf bezieht sich aus meiner Sicht sowohl auf technische Aspekte (Reaktionszeiten, Informationen zum Stand der Bewerbung) als auch auf Fragen der Wertschätzung und des Vertrauens. Hier geht es um Klarheit und Integrität bei der Kommunikation und im Verhalten der potenziellen Arbeitgeber aber auch um emotionale Augenhöhe gegenüber den Bewerbern. Bewerber wollen fair behandelt werden und wissen, mit wem sie es im Unternehmen zu tun haben und wie es mit ihrer Bewerbung weitergeht. Die sich aus den notwendigen Änderungen der Vorgehensweisen ergebende Wertschätzung im Umgang mit Bewerbern sollte zukünftig in allen Phasen des Rekrutierungsprozesses und für alle Akteure eine Selbstverständlichkeit sein.
saatkorn.: Mich interessiert auf saatkorn. ja auch immer der technologische Wandel. Wie macht sich insbesondere das Thema „Mobile“ in der Studie bemerkbar? – Erwarten Kandidaten inzwischen eine mobile Jobsuche und die Möglichkeit, sich mobil zu bewerben?
Christoph Athanas: Unsere Studie ergab, dass jeder Dritte mobil nach Jobs, d. h. via Smartphone oder Tablet-PC, sucht. Bei den unter 26Jährigen ist die mobile Jobsuche noch viel weiter verbreitet: Fast 60% nutzen dafür das Smartphone, gern auch von unterwegs. Dies bedeutet für die Unternehmen sich den Herausforderungen des Mobile Recruitings zu stellen. Da wird die Mobiloptimierung Pflicht. Das betrifft neben der Karriere-Webseite auch mobilfähige Jobanzeigen und die eigene Jobbörse mit der ggf. darin möglichen Jobsuche bzw. -filterung.
saatkorn.: Was glauben Sie beide: wohin geht die Reise in Bezug auf Candidate Experience? – Wie werden sich mittelfristig Erwartungen von Kandidaten weiter verändern? Welche Handlungsmaßnahmen empfehlen Sie den Arbeitgebern?
Prof. Peter M. Wald: Die Erwartungen der Bewerber an simple Bewerbungen (One-Click) und umfassende Informationen über den Stand ihrer Bewerbung werden steigen und müssen technisch umgesetzt werden. Dies wird zunehmend auch die Rekrutierungsprozesse für Stellen im nichtakademischen Bereich betreffen. Somit werden technisch-prozessuale Fragen der Candidate Experience weniger diskutiert, weil sich hierfür technische Lösungen anbieten werden. Die Unternehmen werden nicht nur Feedback zu Ihren Produkten und Leistungen, sondern systematisch auch das Feedback von Bewerbern und neuen Mitarbeitern einholen. Hinzu kommt die zunehmend wichtigere Berücksichtigung der Erwartungen der neuen Mitarbeiter, um auch Prozesse wie das Onboarding für die neuen Mitarbeitergenerationen (Y+Z) fundiert neugestalten zu können.
Christoph Athanas: Genau, da kann ich sofort einhaken: Onboarding bekommt eine entscheidende Funktion bei der Verknüpfung zwischen Candidate und Brand Experience. Emotionale Faktoren und kulturell-personelle Erfahrungen werden stetig an Bedeutung gewinnen, während sich technisch gesehen die Standards über die nächsten Jahre weitgehend angleichen werden (z.B. wegen dann zukünftig flächendeckend mobiloptimierten Webseiten). Wird diese Logik konsequent weiterverfolgt, kann das nur heißen, dass eine glaubwürdige Candidate Experience sich aus Haltungen der Mitarbeiter und dem Selbstverständnis bzw. der Kultur des Unternehmens und ihrer Übertragung in die Kandidatenerfahrung hinein ergibt. Candidate Experience darf demnach auch nicht als „Show“ für Bewerber inszeniert werden, sondern muss die erste Stufe einer Brand Experience sein.
Prof. Peter M. Wald: Richtig. Insgesamt sollte es den Unternehmen – aufbauend auf ihrer Unternehmens- und Arbeitgebermarke – um den langfristigen Aufbau eines tragfähigen Beziehungsnetzwerks mit allen Stakeholdern gehen, um auf diese Weise die Mitarbeitergewinnung mehr strategisch und weniger aktionistisch auszurichten.
saatkorn.: Herzlichen Dank für das Interview. Ich bin gespannt, wie sich das Thema Candidate Experience weiter entwickeln wird.