Candidate Experience:
Wir brauchen einen neuen Standard im Recruiting
Candidate Experience Gastbeitrag von Mathias Heese
Mathias Heese ist Geschäftsführer des HR-Technologieunternehmens softgarden.
Bewerber möchten Transparenz und belastbare Informationen zu Jobs und Arbeitgebern. Stattdessen bekommen sie heute meist Reklame und eine Black Box: das spricht nicht für eine gute Candidate Experience.
Als Anbieter einer Recruiting Software mit dem Anspruch auf ganzheitliche „state-of-the-art“-Lösungen analysiert softgarden regelmäßig die eigenen Transaktionsdaten und führt Umfragen unter Bewerbern durch. Aktuell hat softgarden 6.720 Bewerberinnen und Bewerber im Rahmen der Candidate Experience 2020-Umfrage befragt. Der erste Teil ist frisch erschienen. Das Ergebnis: Wir brauchen einen anderen Standard im Recruiting.
Schon seit Jahren analysiert softgarden laufend das Bewerberverhalten in digitalen Recruitingprozessen und nutzt die Erkenntnisse, um Transparenz für rekrutierende Unternehmen zu schaffen und die eigenen Lösungen zu verbessern. Pro Jahr werden über eine Million Bewerbungen mit der Software abgewickelt. Aus diesen Big Data haben wir drei zentrale Erkenntnisse zu den Erfolgsfaktoren im digitalen Recruiting abgeleitet und unsere Lösungen daraufhin optimiert:
- Die besten Bewerber brauchen eine aktuelle Karrierewebsite mit belastbaren Hintergrundinformationen zu Jobs und Arbeitgebern.
- Die besten Bewerber sind wählerisch und ziehen beim Arbeitgeber-Check Arbeitgeberbewertungen zu Rate.
- Die besten Bewerber sind nur kurz am Markt verfügbar. Schnelle Reaktionszeiten sind deshalb ein Muss für Arbeitgeber.
Mit der aktuellen Umfrage Candidate Experience 2020 haben wir diese Erkenntnisse weiter vertieft. Wir haben uns im ersten Teil der Auswertung auf Erfolgsfaktoren und Showstopper in von Arbeitgebern eingesetzten Medien konzentriert. Anhand von bildgestützten A/B-Auswahlsituationen haben wir wirklichkeitsnah überprüft, welche Faktoren dazu führen, dass sich Jobinteressierte tatsächlich zu einem Arbeitgeber „durchklicken“.
Stellenanzeigen: mit Gehaltsangaben und Bewertungen
Die Umfrage zeigt, dass Stellenanzeigen nach wie vor den wichtigsten Einstieg für Bewerber darstellen. Rund 41,9% starten ihre Candidate Journey mit einer auf eine Jobbörse veröffentlichten Stellenanzeige. Bewerber wünschen sich in der Annonce konkrete Gehaltsangaben. Online-Stellenanzeigen mit Gehaltsangabe werden von 74,3% der Bewerber bevorzugt geklickt. Im A/B-Test fiel eine ansonsten identische Stellenanzeige ohne Gehaltsangabe durch (25,7%). Den größten Effekt auf die Click-Through-Rate in Stellenanzeigen erzielt jedoch die Integration von positiven Arbeitgeberbewertungen. Stellenanzeigen mit integrierten Bewertungen von Mitarbeitern des Unternehmens wurden von 80,7% der Teilnehmer bevorzugt. In Stellenanzeigen ist aber aktuell sowohl die Nennung des Gehalts als auch die Integration von Arbeitgeberbewertungen nicht die Regel, sondern die absolute Ausnahme.
Arbeitgeberbewertungen: möglichst nicht unter 3,5
Beim Thema Arbeitgeberbewertungen gibt es für Bewerber eine erkennbare Schwelle, die bei einem Durchschnitts-Score von 3,5 von 5 möglichen Punkten liegt. Das heißt: Für über zwei Drittel der Jobinteressierten kommen Arbeitgeber überhaupt nur in Frage, wenn sie auf einer Arbeitgeberbewertungsplattform mit 3,5 oder besser bewertet wurden. 41,8% bewerben sich sogar erst ab einem Score von 4,0 oder 4,5. Der branchenübergreifende Bewertungs-Durchschnitt auf der Arbeitgeberbewertungsplattform kununu liegt derzeit bei 3,4. Das heißt, ein Großteil der Arbeitgeber besteht den Bewerber-Elchtest aktuell nicht. Das hat nach unserer Beobachtung auch damit zu tun, dass Unternehmen mit dem Faktor „Bewertungen“ bislang kaum aktiv umgehen.
Karrierewebsites: Angaben über den Prozess und Videos
Auf Karrierewebsites machen solche Angebote das Rennen, die Jobinteressierte transparent über die Dauer des Bewerbungsprozesses informieren. Eine Karrierewebsite mit KPI-Angaben zum Recruitingprozess wird von 74,4% der Bewerber geklickt, die Variante ohne Angaben zum Bewerbungsprozess von 25,6%. Im Hinblick auf den Bewerbungsprozess mit offenen Karten zu spielen und zum Beispiel die „Time to Interview“ gegenüber den Bewerbern als belastbares Leistungsversprechen zu nennen oder über die Zahl der Mitbewerber um eine Stelle Auskunft zu geben, ist in der deutschen Recruitinglandschaft absolut ungewöhnlich. Etwas besser sieht es dagegen in der Praxis aktuell mit Videos aus, die von Arbeitgebern häufiger eingesetzt werden und nach unseren Erkenntnissen auf der Karrierewebsite als Klick-Generator für das Employer Branding wirken. In den auf einer Karrierewebsite veröffentlichten Stellenanzeigen werden Beispiele mit Mitarbeiter-Videos von 68,7% bevorzugt.
Ungenügender Standard
Die Tendenz ist klar: Das in der Studie beobachtete Bewerberverhalten und der hierzulande etablierte Standard im Recruiting passen nicht zusammen. Arbeitgeber brauchen dringend einen anderen Standard in ihren Recruitingprozessen, in dem Transparenz und echte Informationen die Hauptrolle spielen. Bewerber wünschen sich kompakte, belastbare Infos statt langatmiger und austauschbarer Reklame. Kommunikation von Arbeitgebern sollte keine Kreativ-, sondern eine Informationsleistung sein. Damit hätten Arbeitgeber auch die Chance, sich im Wettbewerb um die besten Bewerber zu differenzieren und hervorzuheben. Es kommen natürlich noch weitere Faktoren hinzu wie etwa die Schnelligkeit im Prozess. Dazu eine Zahl (exklusiv für die SAATKORN-Leser) aus dem noch unveröffentlichten zweiten Teil des Whitepapers zur Umfrage: Im Jahr 2020 möchten rund 14% der Bewerber Arbeitgebern nur noch fünf Minuten investieren, um ihre Daten für die Bewerbung in ein Online-Bewerbungssystem einzugeben. Arbeitgeber mit komplexen Verfahren, bei denen die Bewerber mehr als zehn Minuten brauchen, fallen bei einer großen Mehrheit durch.
Keine bessere Candidate Experience ohne größere Transparenz
Arbeitgeber müssen nach unserem Verständnis künftig mehr Daten und Fakten nutzen, um im Recruiting herauszuragen und sich vom Wettbewerb zu unterscheiden. Bewerber möchten belastbare und vergleichbare Informationen. Bieten Arbeitgeber diese Informationen nicht in ihren eigenen Medien, suchen Jobinteressierte woanders danach, etwa nach Gehaltsinformationen oder Bewertungen. Die Zahl der Anbieter von solchen Informationen ist ja zum Beispiel beim Thema Gehalt in den vergangenen Jahren gestiegen. Auch nach Bewertungen müssen Kandidaten nicht lange suchen, sie laufen ihnen bei ihrer digitalen Reise zu möglichen Arbeitgebern einfach über den Weg. Die Folge: Die Candidate Journey bricht ab, Bewerber entdecken auf anderen Plattformen weitere Arbeitgeber als Alternative und gehen für das Unternehmen als wertvolle Fach- oder Führungskräfte verloren. Eine Universum-Studie hat kürzlich gezeigt, dass Employer Branding-Verantwortliche in Deutschland das Thema „Differenzierung“ eher niedrig priorisieren. Das wird sich künftig ändern müssen – im Employer Branding wie im Recruiting, das aus unserer Sicht ein einziges Thema ist. Künftig werden nur solche Arbeitgeber im Wettbewerb um den besten Prozess (inklusive der besten Kommunikation) bestehen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben.
Der erste Teil des Candidate Experience 2020-Whitepapers steht unter www.softgarden.de/studien zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Mehr von Mathias Heese auf SAATKORN gibt es HIER und HIER. #havefun