Brauchen wir mehr Recruiter (m/w/d)?
Gerade läuft auf LinkedIn die Diskussion, ob wir tatsächlich mehr Recruiter (m/w/d) benötigen. 🤔 Auch die aktuelle HR Total Folge befasst sich mit dieser Fragestellung und hat mich als Gast-Kolumnist eingeladen. Da ich dort aber halt „nur“ Gast und zeitlich extrem beschränkt bin, hier die Gedanken etwas ausführlicher und mit Fakten hinterlegt.
Ich nehme mal das Ergebnis vorweg: ja, ich bin fest davon überzeugt, dass wir zukünftig deutlich mehr Menschen benötigen, die sich mit Recruiting befassen. 🔥 Und das, obwohl ja seit einigen Jahren Technologie Einzug hält und dankenswerterweise Recruiting-Prozesse deutlich schneller und weniger fehleranfällig macht. Denn am Ende möchten Menschen, insbesondere dann, wenn sie gut oder top qualifiziert sind, mit Menschen reden. Das ist eine Frage von Augenhöhe, Respekt und Wertschätzung. Insofern glaube ich nicht, dass trotz aller Technologie-Begeisterung das Recruiting demnächst komplett maschinell abläuft, allen KI-Prophet:innen zum Trotz.
Zurück zur Ausgangsfrage. Und zu 3 unterschiedlichen Quellen, die alle auf dasselbe hinauslaufen.
QUELLE 1: Post von StepStone CEO Dr. Sebastian Dettmers
Vor einer Woche ist in meinem LinkedIn-Stream folgender Beitrag von StepStone CEO Dr. Sebastian Dettmers aufgetaucht:
Das ist ja an sich schon bemerkenswert, die rasant gute Entwicklung der Stellenausschreibungen auf StepStone. Allerdings vor dem Hintergrund der Corona-bedingten Schockstarre rund um Mitarbeiter:innengewinnung dann auch nicht gaaaanz so verwunderlich. Im gemeinsamen SAATKORN Podcast hat sich Sebastian allerdings auch zur Entwicklung gegenüber der Zeit vor der Corona-Pandemie geäußert. Und auch in diesem – deutlich spannenderen – Vergleich ist StepStone dramatisch besser unterwegs als vor der Corona-Krise. Was oben als subtile Botschaft auch enthalten ist: bei 4 % Arbeitslosenquote sprechen wir von Vollbeschäftigung. Die Entwicklung der Arbeitslosenquote seit 2004 sieht so aus:
Bis auf den Corona-Ausreißer 2020 ist also klar eine Richtung erkennbar. Und Stand September 2021 liegen wir bei 5,4 %…
Quelle 2: Post von Indeed Hiring Lab Economist Annina Hering
Einen Tag später bin ich über folgende Aussage von Annina Hering gestoßen (btw: welcome back aus der Elternzeit!):
Muss man diese Kurve noch irgendwie kommentieren? – Wenig verwunderlich, wenn in der oben bereits angesprochenen HR Total Folge Statements einer weiteren großen Jobbörse auftauchen, in diesem Fall Stellenanzeigen.de, die ähnliche Kurven verkünden.
Let’s face it: wir erleben gerade einen gewaltigen Job Boom. Klar, nicht jede Branche ist davon gleichermaßen getroffen, man denke an Touristik oder Gastro. Aber insgesamt erleben wir eine ganz klare Tendenz.
Dritte Quelle: das aktuelle IAB Arbeitsmarktbarometer
Wer der Recruiting-Branche selbst nicht glauben mag, der bekommt auch ganz offiziell vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung attestiert, dass die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer:innen ziemlich rosig und für Arbeitgeber:innen ziemlich sportlich sind:
Damit ist auch ganz offiziell besiegelt, dass die oben genannten Quellen keine Ausnahmen darstellen, sondern wir vor einer Gesamtentwicklung stehen. Besonders spannend dabei die Langzeitbetrachtung des IAB. Wir sind gerade dabei, Höchstwerte seit 2011 zu erreichen. Und das nach dem totalen, Corona-bedingten Tiefpunkt 2019/2020. Woran liegt dies?
Ich bin davon überzeugt: wir haben den Tipping Point für das Thema Demografie erreicht. Und zwar bereits 2019. Das hat nur kaum jemand gemerkt, da Corona sich zunächst knallhart auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat. Firmen waren in Schockstarre und haben zunächst reflexartig am Personal gespart. Allerdings nur kurz. Anscheinend sind doch viele Top Entscheider:innen dabei, zu begreifen, dass die „Ressource Mensch“ eben a) keine Ressource und b) endlich ist.
Der „War for Talents“ fängt jetzt erst an. Das, was wir bislang dafür hielten, waren schwierige Situationen bei einzelnen Berufsbildern, vor allem im IT-Bereich. Inzwischen geht das meilenweit darüber hinaus. Egal, wohin man schaut: überall wird immer verzweifelter Personal gesucht: Handwerk, Logistik, Gesundheitsbranche… you name it.
Das ist an sich ja wenig überraschend. Denn bei stabilen ökonomischen Bedingungen konnte man genau damit seit Jahrzehnten rechnen. Denn die heute fehlenden Fachkräfte wurden ja vor 25, 30 Jahren eben nicht gezeugt. Erschwerend kommt die Digitalisierung dazu, die Branchen- und Unternehmensgrößenunterschiede teilweise egalisiert. Top Digital-Talente werden nahezu überall gesucht, in jeder Branche und sowohl von Startups, als auch im Mittelstand und in Konzernen.
Also alles gut für die Recruitingbranche? – Geht so, würde ich mal sagen. Kurzfristig wird halt mehr Geld in unterschiedlichste Kanäle gepumpt. Aber irgendwer muss diese ganzen offenen Stellen ja besetzen. Und dieser Job ist durch die Digitalisierung deutlich komplexer geworden. Das hat vor allem 3 Gründe:
Kanalvielfalt: diese hat über die letzten 20 Jahre beständig zugenommen. Und auch wenn das suggeriert wird: Print ist nicht komplett tot. Habe gerade für meinen Podcast mit Familienunternehmerin Barbara Hagedorn in der Baubranche zum Thema Female Recruiting gesprochen. Hier waren digitale Kanäle eher Beiwerk, die große Resonanz kam über eine Out of Home Plakatkampagne. Dies aber nur als Beispiel, die Kanalexplosion kann man anhand folgender Grafik von mir auch so schon ganz gut nachvollziehen:
Strategische Kompetenz und Technologieverständnis: wer heute Mitarbeiter:innen gewinnen möchte, muss verstehen, wohin sich die eigene Organisation entwickelt. Anders ausgedrückt: wenn nicht klar ist, welche Strategie das Unternehmen verfolgt und welche Skills, Kompetenzen und letztlich Berufsbilder es benötigt, wird Recruiting nahezu unmöglich. Das geht einher mit Technologieverständnis. Und beide Themen wurden in der Vergangenheit nicht immer direkt mit der ja so administrativ-verwaltenden Personalarbeit verbunden. Ich rede hier also auch von einem anderen Rollenverständnis der Personalarbeit. Weg vom administrativen Bürokraten, hin zum strategischen Gestalter. Teilweise noch ein sehr weiter Weg…
Empathie: das ist meiner Meinung nach die allerwichtigste Kompetenz. Wer Menschen gewinnen möchte, muss auf Augenhöhe, mit Respekt und Wertschätzung interagieren. Leider haben das im Kontext Mitarbeiter:innengewinnung sehr viele Menschen mal so gar nicht drauf. Und leider gilt das nicht nur für Personaler:innen, die ja in und für ganz andere Zeiten, nämlich aus der Arbeitgebermarktperspektive beruflich ausgebildet und sozialisiert wurden, sondern auch für viele Top Entscheider:innen in den Unternehmen. Da wird gerade jüngeren Bewerber:innen oft unterstellt, sie seien faul, weil sie – sorry für die Wortwahl – nicht mehr jeden Scheiß mitmachen, sondern sich dann halt lieber einen anderen Arbeitgeber suchen.
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Gründe, aber ich höre jetzt hier einmal auf, die Message müsste klar sein:
- Der Arbeitsmarkt erlebt gerade einen großen Job Boom, der vor dem Hintergrund von Demografie und Digitalisierung nachhaltig sein dürfte.
- Diese Stellen müssen besetzt werden, aber das Berufsbild Recruiting ist erheblich komplexer geworden. Menschen mit diesen Skills und Kompetenzen fallen nicht einfach von den Bäumen.
Fazit: JA, wir brauchen mehr Recruiter (m/w/d)!
Insofern benötigen wir deutlich mehr Recruiter:innen mit den entsprechenden Fähigkeiten. Das führt auch im Kontext Recruiting immer mehr zu einem „War for Talents“, Re- und Upskilling werden hier auch eine große Rolle spielen.
Übrigens: nächste Woche Sonntag bringe ich in meinem Newsletter zu dem Thema ein großes Interview mit LinkedIn DACH Chefin Barbara Wittmann. Das ist zwar wenig überraschend, untermauert viele Thesen aber auch nochmal mit Zahlen, Daten und Fakten. #havefun🤙