BABYBOOMER als RETTUNGSANKER
Frank Schabel ist mal wieder mit einem meiner Meinung nach sehr lesenswerten Gastbeitrag am Start. Auf geht’s:
Babyboomer: Rettungsanker für den Fachkräftemangel?!
Dass die demografische Falle zuschlägt und sich dreizehn Mio. Babyboomer in den kommenden Jahren aus der Arbeitswelt verabschieden lassen, ist seit einigen Dekaden bekannt. Genauso, dass nach ihnen geburtenschwache Jahrgänge kommen. Getan hat sich in Unternehmen trotzdem wenig bis nichts. Ein klassisches Beispiel von Vogel-Strauß-Politik: Was interessiert die Welt von übermorgen, heute muss der Rubel rollen. Tiefer diskutiert wurde das Thema nur im Hinblick auf die Rentenkassen.
Spätes Aufwachen
Jetzt endlich – Jahre später (und zu spät) – wachen Unternehmen und die Politik auf. Der Fachkräftemangel hat schlafende Geister aufgeschreckt. Selbst der Bundeskanzler höchstpersönlich plädiert nun dafür, Babyboomer sollten doch bis zu ihrem offiziellen Renteneintrittsalter arbeiten. Weil viele früher aussteigen. Das Problem dabei: Sie werden davon nicht abrücken, wie die aktuellen Ergebnisse der repräsentativen Langzeitstudie „lidA – leben in der Arbeit“[1] zeigen: Der Trend zum frühen Ausstieg aus dem Erwerbsleben ist ungebrochen. Nur 12 Prozent der befragten Babyboomer wollen bis zu ihrem Rentenalter arbeiten (Bei der letzten Befragung im Rahmen der Studie waren es 10 Prozent). Und dies, obwohl die meisten ihre Arbeit als sehr wichtig für ihr Leben betrachten. Das ist mindestens ein Wumms.
Kein Bock auf Nachsitzen
Für diesen gibt es gute Gründe, die sich nicht per Kanzlerwort oder anderen Reden vom Tisch wischen lassen. So wünschen sich laut lidA die meisten „mehr freie Zeit“ und meinen, dass „irgendwann Schluss sein“ müsse. Keine große Rolle für einen früheren Ausstieg spielen dagegen eine vorhandene finanzielle Absicherung, zu anstrengende Arbeit oder gesundheitliche Gründe.
Was erwarten Babyboomer?
Immerhin: Drei Viertel wären unter bestimmten Bedingungen bereit, länger zu arbeiten. Doch sind die Hürden hoch: Sie müssten selbst bestimmen können, wie viel und wann sie arbeiten. Damit sind wir direkt bei den Unternehmen angelangt, die auf den Zug mit den Babyboomern als Rettungsanker für den Fachkräftemangel aufgesprungen sind. Wären sie bereit, diese Sonderlocken für die Älteren zu drehen? In dem Wissen, dass die jüngeren genauso wie die Babyboomer nach Flexibilität und Work-Life-Balance streben? Was macht das mit Kultur und Diversity, wenn die alten jetzt auch noch Privilegien erhielten?
Unternehmen müssen Initiative ergreifen
Zumindest müssten Unternehmen fürs erste laut Prof. Hasselhorn, Leiter der lidA-Studie, endlich verstehen, dass sie aktiv werden müssen, wenn sie ihre Älteren länger halten wollen. Doch nimmt er wahr, dass das Thema „letzte Arbeitsjahre in den Betrieben sehr oft übersehen“ wird und appelliert an die Führungskräfte: „Schon früh sollten sie mit ihren Mitarbeitenden über deren Vorstellungen von den letzten Arbeitsjahren reden und ihnen deutlich machen, dass sie im Betrieb noch gebraucht werden“.
Was macht HR?
Für einen Artikel habe ich hochrangige HR-Manager gefragt, ob sie solche Gespräche führen. Sie bilden heute noch die Ausnahme, denn die Regel. Vielmehr subsumieren sie die Älteren unter das große Megathema Diversity, sprich: Gleichbehandlung aller. Das ist politisch klug, hilft aber konkret wenig weiter. Denn es vernachlässigt, dass die Auffassung, Ältere seien nicht mehr so leistungs- wie lernfähig und kämen mit der Digitalisierung ohnehin nicht mit, nach wie vor weitverbreitet ist. Von ganz oben bis ganz unten. Niemand sagt das laut oder gar offiziell, würde es doch die gutgemeinten Aussagen zu Diversity konterkarieren. Nur: Die Handlungen gerade in Großunternehmen sprechen ein anderes Bild. Viele Ältere wurden und werden ab Mitte 50 mit goldenen Handschlägen verabschiedet. Sind mit die ersten, die bei Restrukturierungen ins Visier geraten. Gehen sie nicht, blüht ihnen ein Arbeitsleben im Schatten. Dies bröckelt nun zum Glück aufgrund der Not, aber noch sind viele Klischees vorhanden.
Erfahren Ältere in ihrer Arbeitswelt tagtäglich, dass sie zum alten Eisen gehören, dann schließt sich wieder der Kreis zu den lidA-Erkenntnissen: Genau deshalb gehen Babyboomer früher, um mehr Zeit für sich zu haben. Und mit dem Gefühl, nach 30 und 40 Jahre genug gearbeitet zu haben. Kein Bedarf mehr nach unproduktiven Meetings, schlechten Führungskräfte, dem nächsten Change-Projekt und der nächsten Modewelle. Oder der nächsten Absage binnen Stunden auf Bewerbungen, weil sie ab Mitte oder Ende 50 ungelesen aussortiert werden (was natürlich niemand zugibt).
Realität vs Ökonomentraum
Die volkswirtschaftliche Debatte um den Fachkräftemangel und länger arbeitenden Babyboomern, um das Bruttoinlandsprodukt nicht zu schmälern, ist natürlich gerechtfertigt. Aber ältere Menschen ticken individuell und als Babyboomer-Generation anders, als es Ökonomen wollen. Ihnen ist aufgrund ihrer Lebenslage klar (geworden), dass Leben nicht nur aus Arbeit besteht, aller protestantischen Ethik zum Trotz.
Babyboomer nur bedingt als Rettungsanker geeignet
Das heißt: Babyboomer eignen sich nur bedingt als kurz- und mittelfristiger Rettungsanker, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Ihre eigenen Bedürfnisse, gespeist aus vielen Erfahrungen, früher auszusteigen, sind zu stark, als dass sich der Karren umdrehen ließe. Sicher werden sie an einigen Stellen als Notnagel dienen, weil ihnen einige Unternehmen auch nach ihrer Verrentung Chancen bieten. Da hat sich was getan, gerade in den technischen Berufen. Und selbst der Gesetzgeber ist aktiv geworden. Künftig können RentnerInnen unbegrenzt dazu verdienen. Das fördert ihre Bereitschaft, hin und wieder zu arbeiten. Aber flächendeckend? Da habe ich doch große Zweifel. Um den Fachkräftemangel zu lösen, wenn dies überhaupt möglich ist, ist mehr Kreativität statt platte Lösungen gefragt.
Frank Schabel, freier Journalist und Senior Advisor
[1] LidA-Studie: Seit 2011 befragt die Universität Wuppertal in regelmäßigen Abständen ältere Erwerbstätige aus den „Babyboomer“-Jahrgängen wie lange sie arbeiten wollen. Die Studie beobachtet, wie sich deren Arbeitsbedingungen und Erwerbsverläufe verändern und welche persönlichen Motive hinter der Entscheidung stehen, das Erwerbsleben zu verlassen. Seit Ende 2022 liegen erste Ergebnisse aus der 4. Erhebungswelle vor.
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