Azubi-Recruiting Trends 2020 mit Corona Stimmungsbarometer
Neben der aktuellen Ausbildung.de Schülerstudie 2020 ist für mich die jährlich erscheinende Azubi-Recruiting Trends Studie von U-Form Lese-Pflichtprogramm. Erste Ergebnisse in Form des Corona Stimmungsbarometers liegen bereits vor. Ich hatte Gelegenheit, dazu mit Prof. Dr. Christoph Beck zu sprechen. Auf geht’s:
SAATKORN: Lieber Christoph, zusammen mit U-Form Testsysteme hast Du im Rahmen der Azubi-Recruiting Trends 2020 das Corona Stimmungsbarometer für Azubis aufgelegt. Was ist das Setting dieser Umfrage?
Mitten in der Auswertungsphase der jährlich durch die u-form Testsysteme durchgeführten diesjährigen Studie Azubi-Recruting Trends 2020, an der in diesem Jahr fast 8.000 Azubis, Schüler und Ausbildungsverantwortliche teilgenommen haben, kam der Lockdown und uns war klar, dass auch die duale Ausbildung einschneidend davon betroffen sein würde. Insofern wollten wir ein aktuelles Stimmungsbild in Pandemiezeiten für die duale Ausbildung zeichnen. Während zurecht die Medienaufmerksamkeit auf den Pandemie-Zahlen und den Auswirkungen auf die Wirtschaft, bei den KITAs und Schulen sowie derzeit auf dem Sommerurlaub lag und liegt, ist die duale Ausbildung etwas hinten runtergefallen. In Anbetracht von ca. 1,4 Mio. Auszubildenden verwundert dies schon. Insofern haben wir den Corona-Stimmungsbarometer „Duale Ausbildung“ vom 17. April bis 11. Mai 2020 als Online-Umfrage gestartet und in dieser kurzen Zeit haben 1.180 Ausbilder (472) und Azubis/Schüler (708) teilgenommen. Wir wollten eine Einschätzung der unmittelbar Betroffenen zu den Themen Auswirkungen der Pandemie auf die duale Ausbildung, die Umstellung in Auswahlverfahren, Ausbildung und Lernen im Home-Office und auch der Grenzen der Digitalisierung erheben.
SAATKORN: Lass uns zuerst über die Azubis selbst sprechen. Wie nimmt diese Zielgruppe selbst die Corona-Krise wahr, sowohl in Bezug auf ihre Situation im Lehrbetrieb als auch in der Berufsschule?
In Summe lässt sich die Situation aus Sicht der Azubis verständlicherweise mit den Worten „hohe Unsicherheit“ beschreiben. In den Kommentaren sprechen insbesondere die Azubis im Abschlussjahrgang von der Angst die Prüfung nicht zu bestehen, bis hin zu Kommentaren, dass man seit vielen Jahren nicht mehr eine so schöne Zeit ohne Stress, ohne Hektik und Zeitdruck hatte sowie keine Angst mehr etwas „Wichtiges“ zu verpassen. Mit der Ausbildung seitens der Lehrbetriebe ist das Gros der Azubis zufrieden. So werden aktuell 27,0% der Befragten im Home-Office ausgebildet, 61,1% im Betrieb, 9,7% in Mischformen und 2,2% gar nicht. Dabei erfolgt die Betreuung seitens der Ausbilder überwiegend mit Selbstlernaufgaben (55,9 %), via Telefongesprächen (55,9 %) und Videokonferenzen (49,7 %). Der Blick der Azubis auf die Betreuungsleistung der Berufsschulen fällt weniger gnädig aus. Noch nicht einmal jeder zweite Auszubildende (42,5 %) bewertet die Betreuung durch die Berufsschule als gut oder sehr gut. In den freien Kommentaren wird von Konzeptlosigkeit gesprochen und einer mäßigen Informations- und Kommunikationsleistung. Wenn die Berufsschulen betreuen, dann überwiegend mit Selbstlernaufgaben (84,9 %).
SAATKORN: Gibt es konkrete Handlungsempfehlungen aus Deiner Sicht für Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen aus Azubi-Perspektive im Rahmen der Azubi-Recruiting Trends 2020?
Aus der Azubi-Perspektive gilt es zum einen konkrete und durchfahrbare Lösungen für die praktischen Ausbildungsanteile zu finden und für die theoretischen Inhalte eine andere Methodik-Didaktik als das simple Hochladen von Lerninhalten. Quantität ist nicht Qualität. Explizit, aber auch implizit sprechen die Azubis in ihren Kommentaren ferner aber eindeutig die Betreuung im eigentlichen Sinn als wesentliches Handlungsfeld an. Gemeint ist die Informations- und Kommunikationsleistung, sowohl auf Seiten der Ausbildungsbetriebe und insbesondere auf Seiten der Berufsschule. Es sind junge Menschen denen man Orientierung und Halt geben und denen man Ängste rundum die Zwischen- und Abschluss-Prüfungen nehmen sollte. Aus Sicht der jungen Menschen geht es nicht „nur“ um die Ausbildung an sich, sondern für sie geht es um ihre berufliche Zukunft.
Azubi-Recruiting Trends 2020: wie sieht die Stimmung bei den Ausbildungsbetrieben aus?
SAATKORN: Und wie stellt sich die Corona-Krise aus Sicht der Ausbildungsbetriebe dar?
Auch hier haben wir eine unterschiedliche Gemengelage, abhängig von der Betriebsgröße, den Ausbildungsberufen und der Ressourcenverfügbarkeit bei den unterschiedlichen Ausbildungsbetrieben. Bei 51,6% der befragten Betriebe findet die Ausbildung aktuell vollständig oder zum Teil im Home-Office statt. 36,5% der Betriebe sprechen aber auch von hohen Anfangsschwierigkeiten und 31,1% der Befragten berichten authentisch von fortbestehenden Herausforderungen. Das Spektrum der Bewertung der Ausbildungsverantwortlichen reicht von sehr positiven Erfahrungen, über Schwierigkeiten qualifizierte Inhalte bereitzustellen und zu vermitteln, bis hin zur Unmöglichkeit der Vermittlung praktischer Fähigkeiten und Kompetenzen.
Ebenso wie die Azubis sehen auch die Ausbildungsverantwortlichen die Betreuung der Berufsschulen als kritisch an. Immerhin geben auf die Frage, ob ihre Azubis durch die Berufsschulen optimal betreut werden „nur“ oder immerhin 45,3% der Befragten an, dass die Betreuung gut oder sehr gut von statten geht. Auch wenn die Kritik an den Berufsschulen weitaus höher ausfällt und mit Kommentaren wie „Es ist unfassbar, dass die Schulen generell kaum Lösungen auf diese Probleme haben“ oder „Die Berufsschulen haben 5 Wochen nichts gemacht und waren auch nicht erreichbar..“, so gibt es vereinzelt aber auch Lob wie z.B.: „Unsere Berufsschule hat sofort nach Wiedereröffnung auf E-Learning umgestellt und unsere Azubis sind froh..“.
SAATKORN: Inwiefern kann eine Ausbildung unter Home Office Bedingungen überhaupt stattfinden und wie funktioniert das im gewerblichen Bereich, wo ja ohne Weiteres kein Home Office möglich ist?
Grundsätzlich zeigt die Krise generell die Chancen und Grenzen von Homeoffice-Lösungen auf, so natürlich auch bei den Auszubildenden. Die Grenzen liegen eindeutig bei der Vermittlung von praktischen Ausbildungsbildungsinhalten, ob in Handwerksberufen, in technischen Berufen oder auch in IT-Berufen. So konstatieren Ausbildungsverantwortliche, dass ein Einsatz im Rechenzentrum nicht virtuell erfolgen kann, während andere deutlich machen, dass ein Servicetechniker die Heizung oder den Rohrbruch nicht von zuhause aus reparieren kann. Dennoch finden Ausbildungsbetriebe auch in solchen Zeiten Lösungen, wie z.B. einem wöchentlichen Wechsel der Ausbildungsgruppen im Betrieb (=Präsenzlernen) oder auch abwechselnde Präsenz im Ausbildungsbetrieb und Homeoffice und/oder bezahlten Freistellungen. Bei einem Punkt scheint die Mehrheit der Ausbildungsverantwortlichen sich jedoch einig zu sein: „Eine duale Ausbildung ohne Präsenzlernen ist unmöglich“.
SAATKORN: Mit welchen Implikationen rechnest Du vor diesem Hintergrund für die Ausbildung überhaupt? – Steht zu befürchten, dass die Corona-Krise auch mittelfristig deutlich negative Auswirkungen auf das Thema Ausbildung haben wird?
Im vergangenen Ausbildungsjahr ist die Nachfrage von Jugendlichen nach einer dualen Ausbildung erstmals unter die Marke von 600.000 Ausbildungsplätzen gefallen (BIBB 2019). Ebenfalls im Ausbildungsjahr 2019 sank die Zahl der neu abgeschlossenen dualen Ausbildungsverträge (6.300 weniger als 2018). D.h. die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist seit Jahren schon prekär und stets –aus unterschiedlichen Gründen wie Demografie, Akademisierungstrend etc. -mit einem Abwärtstrend verbunden. Krisenzeiten sind Imagezeiten und hier zeigt sich, wie nachhaltig tatsächlich von den unterschiedlichen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Bildung mit dem Thema duale Ausbildung umgegangen wird. Die gute Nachricht zu Corona-Zeiten ist auf den ersten Blick, dass „nur“ 16,8% der von uns befragten Unternehmen planen, die Zahl der Ausbildungsplätze zu reduzieren. Auf den zweiten Blick sind jedoch 16,8% auch nicht gerade wenig. Ferner erhalten tatsächlich 49,4% der befragten Unternehmen weniger Bewerbungen. Ruft man sich die Tatsache in Erinnerung, dass viele Betriebe in den vergangenen Jahren auch ohne Pandemie-Krise kaum ausreichend Bewerbungen bekommen haben, so könnte das Ergebnis von Corona in vielen Fällen die Nicht-Besetzung sein. Zusammen mit verdüsterten Wachstumsprognosen und einer zurückhaltenden Einstellungspolitik könnte das System der dualen Ausbildung in diesem Jahr daher schweren Schaden nehmen. Denn der Rückstand im Recruiting ist nicht einfach nachzuholen. Im Unterschied zu anderen Zielgruppen der Personalgewinnung gibt es für Azubis einen festen Einstellungstermin, der sich aus dem Start der Berufsschulen Anfang September des Jahres ergibt. Azubis, die nicht zum 1.8. oder spätestens zum 1.9. eingestellt werden, sind für das Ausbildungsjahr so gut wie verloren. Diesen Rückstand können Unternehmen kaum aufholen. Wenn Unternehmen nicht einstellen, bleiben die Ausbildungsplätze für 2020/2021 unbesetzt. Das Worst Case Szenario: Ein ganzer Ausbildungsjahrgang hängt wegen Corona in der Luft, Unternehmen verbauen sich den Zustrom von dringend benötigten Fachkräften.
SAATKORN: Was sind vor diesem Hintergrund Deine Handlungsempfehlungen für Ausbildungsbetriebe?
Mit Blick auf das Thema „Azubi-Recruiting“ wäre die Handlungsempfehlung auf jeden Fall nicht weniger Auszubildende einzustellen, ggf. sogar mehr. Ferner wäre die Empfehlung dringend für die verbleibenden Wochen der Rekrutierung (für das Ausbildungsjahr 2020/2021) die Auswahlverfahren nicht auszusetzen, sondern zügig auf Pandemie-konforme Prozesse umzustellen. Die derzeitigen Lockerungen ermöglichen nicht nur z.B. das Video-Interview oder den Online-Test, sondern auch Präsenzverfahren sind unter den gebotenen Infektions- und Hygienebestimmungen nicht ausgeschlossen. Als weitere Empfehlung wäre eine verstärkte Betreuungsleistung bei den vorhandenen Ausbildungsjahrgängen, Stichwort Ängste nehmen und Halt geben. Wie bereits gesagt, sind Krisenzeiten Imagezeiten und gut betreute Auszubildende in Krisenzeiten sind hervorragende Botschafter(w/m/d). Als letzte Empfehlung würde mir einfallen, die Besonderheiten dieser Zeit auch wirklich zu nutzen und nicht nach der Krise –wann immer dies sein mag- so weiterzumachen wie vorher. Das Thema Digitalisierung der dualen Ausbildung liegt quasi jetzt auf dem Tisch und diese Chancen sollten die Ausbildungsbetriebe nutzen.
Studienergebnisse zum Download
Auf den Internetseiten von u-form Testsysteme stehen weitere Ergebnisse des Corona-Stimmungsbarometers aus den Azubi-Recruiting Trends 2020 zum Download bereit. Zudem finden Sie dort voraussichtlich in der ersten Junihälfte das Management Summary und weitere Materialien zur Studie „Azubi-Recruiting Trends 2020“. In diesem Jahr geht es zum Beispiel um die Themen Künstliche Intelligenz und Auswahlverfahren, Schülerpraktika, Selbstbild der Azubis und der Blick der Ausbilder sowie die Schwachstellen und Stärken der dualen Ausbildung aus der Sicht der Auszubildenden. Für die Studie können sich Interessierte schon jetzt auf der Seite vormerken – und werden bei Erscheinen per E-Mail informiert. |