Azubi-Recruiting Trends 2018: Weg vom Bewerbungstribunal

Heute anlässlich der Azubi-Recruiting Trends 2018 ein Gastbeitrag von Felicia Ullrich

Felicia Ullrich zu den Azubi-Recruiting Trends 2018

Vielen von ihnen ist die Studie Azubi-Recruiting Trends ein Begriff (hier die Azubi-Recruiting Trends aus dem letzten Jahr). Deshalb möchte ich für die Leser des saatkorn-Blogs heute nicht einfach die Studienergebnisse zusammenfassen (die gibt es nämlich hier), sondern ausgewählte Zahlen und Fakten einordnen. Zunächst vorab: Die Mehrheit der Azubi-Bewerber hat heute die Wahl. Wie unsere Studie zeigt, hat sich der Trend zum Nachfragemarkt stabilisiert. Aktuell erhalten 57,15% der Azubi-Bewerber mehr als ein Jobangebot, jeder Zwanzigste sogar mehr als fünf. Ausbildungsunternehmen müssen sich also bei Schülern bewerben. Vor diesem Hintergrund wird die Frage für Unternehmen immer wichtiger, wie Azubi-Bewerber in die Betriebe kommen. Wo legen wir ihnen möglicherweise ungewollt Hürden in den Weg?

Anschreiben im Fokus der Kritik
Bei den Antworten auf diese Frage ist seit einiger Zeit das Anschreiben immer stärker in den Fokus der Kritik gerückt. Tatsächlich bedeutet das Anschreiben für viele Azubi-Bewerber eine Hürde. Die Deutsche Bahn hat deshalb das Anschreiben gestrichen. Doch ein solches Vorgehen hat zumindest im Azubi-Recruiting seine Tücken. Aus unseren jährlich wiederholten Befragungen wissen wir: Azubi-Bewerber möchten im Bewerbungsprozess vor allem Persönlichkeit zeigen. Schaffen wir das Anschreiben ersatzlos ab, können sich Bewerber in der Phase der schriftlichen Bewerbung nur noch über Zeugnisse und Lebensläufe differenzieren.

Bei der Zielgruppe beliebt
Dann aber geraten gerade motivations- und leistungsstarke, aber schulschwache Azubi-Bewerber schon früh völlig aus dem Blick der Betriebe. Ersatzlos streichen sollten wir das Anschreiben daher nicht, zumal die Zielgruppe selbst durchaus große Stücke auf das Anschreiben hält. Von den 2018 befragten Schülern und Azubis fanden 86,58% das Anschreiben „sehr wichtig“ oder „wichtig“. Zum Vergleich: Bei den Schulzeugnissen liegt der Anteil bei 54,84%.

Strukturiertes Motivationsschreiben als Alternative
Eine gute Alternative stellt aus meiner Sicht ein durch Leitfragen strukturiertes Motivationsschreiben dar, was zudem die Vergleichbarkeit der Azubi-Bewerbungen erhöhen würde. Eine weitere Alternative bieten Tests als erster Schritt in der Bewerbung. Sie müssen aber gut gemacht sein und vor allem einen Bezug zum angedachten Ausbildungsberuf erkennen lassen, das stellt das wichtigste Kriterium für die Akzeptanz bei den Auszubildenden von morgen dar. Rund die Hälfte findet den Bezug zum späteren Ausbildungsberuf bei Tests „sehr wichtig“, ein weiteres Drittel „eher wichtig“.

Mediennutzung im Kontext betrachten
Auf einen möglichst hohen Grad an Gamification kommt es bei den Tests nicht an. Die aktuelle Version unserer Studie weist auf einen Denkfehler hin: Junge Leute ‚daddeln‘, also müssen wir sie in der Bewerbung tüchtig herumdaddeln lassen, nur so können wir sie abholen, wo sie stehen? Die Azubi-Recruiting-Trends 2018 zeigen: Junge Menschen unterscheiden nach Lebenssphären ihre Vorlieben für Medien, Tools und digitale Plattformen. Was für die Privatsphäre das Mittel der Wahl ist, fällt für die Berufs- und Ausbildungswahl bei der Mehrheit durch.

WhatsApp und SnapChat?
So stimmen 53,20 % der Azubis der Aussage zu, Ausbildungsbetriebe sollten WhatsApp „im Bewerbungsverfahren gar nicht einsetzen“. Die Azubi-Kommentare zum Thema WhatsApp zeigen deutliche Vorbehalte: „unseriös, mit hohem Eingriff in die Privatsphäre“ urteilt ein Teilnehmer, „privat und Bewerbung sollte getrennt bleiben“ meint ein anderer. Bei SnapChat fällt die Ablehnung durch die Zielgruppe mit 63,29 % noch eindeutiger aus. „Arbeit ist Arbeit und Snapchat ist etwas sehr Privates“, schreibt ein Umfrageteilnehmer.

Aufgeschlossen für Chatbots
Dem Einsatz von Chatbots gegenüber sind Azubi-Bewerber hingegen deutlich aufgeschlossener, Chatbots werden im Azubi-Recruiting mehrheitlich akzeptiert, wenn sie einen klaren Informationsnutzen bringen. 64,40% finden es gut, wenn Ausbildungsbetriebe per Chatbot über offene Ausbildungsplätze informieren. Haben Azubis individuelle Fragen, finden nur noch 40,60% die Antwort per Chatbot gut. Auch im digitalen Zeitalter zählt die persönliche Interaktion. Im Prozess bringen menschliche Touchpoints den Erfolg. Ausbilder müssen im direkten Kontakt überzeugen.

Es ist der Prozess…
Überhaupt: der Prozess. Man kann es nicht oft genug sagen: der Prozess ist Teil des Azubi-Marketings. Was Thorsten Dirks, damals CEO von Telefónica Deutschland, über die Digitalisierung gesagt hat, gilt ebenso für die Azubi-Gewinnung: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Da sollten sich die Verantwortlichen durchaus mehr Gedanken über die Qualität ihrer Bewerbungsgespräche machen als über ihren Auftritt auf Snapchat. Denn die Mehrheit der Ausbildungsbetriebe nutzt in ihren Auswahlgesprächen aktuell gerne die jahrzehntelang etablierten Allerweltsfragen, die zudem ganz auf „Selektion“ eingestimmt sind.

Öde Interviews
Nach Erfahrung von 90,11 % der befragten Azubis und Schüler wird die Selbstbeweihräucherungsfrage „Warum haben Sie sich ausgerechnet bei uns beworben?“ in der einen oder anderen Form „sehr häufig“ oder „häufig“ von Betrieben in ihren Vorstellungsgesprächen gestellt. Den Klassiker der Fragen nach „Stärken und Schwächen“ hören 81,73 % der Azubis „sehr häufig“ oder „häufig“. Es geht aktuell aber nicht mehr nur darum, Bewerber zu „prüfen“, sondern sie zu überzeugen und den Ausbildungsbetrieb ins rechte Licht zu rücken. Bewerber wünschen sich echte Gespräche statt formalisierte „Bewerbungstribunale“.

Über Felicia Ullrich und die Studie Azubi-Recruiting Trends 2018
Felicia Ullrich ist Geschäftsführerin von u-form Testsysteme in Solingen und hat sich bundesweit als Keynotespeakerin zu Ausbildungsthemen einen Namen gemacht. Vor acht Jahren rief sie die Studie „Azubi-Recruiting Trends“ ins Leben, die seitdem jährlich durchgeführt wird. Die Azubi-Recruiting Trends ist die größte doppelperspektivische Studie zum Thema Azubi-Recruiting und -Marketing in Deutschland. Von Januar bis März 2018 nahmen an der jährlich deutschlandweit von u-form Testsysteme durchgeführten Online-Befragung 4.303 Azubi-Bewerber sowie Auszubildende und 1.234 Ausbildungsverantwortliche teil. Prof. Dr. Christoph Beck (Hochschule Koblenz) hat die Studie wissenschaftlich begleitet, meinestadt.de mit der Azubi-App Talent Hero als Studienpartner unterstützt. Download HIER

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

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