Der Arbeitszeitmonitor 2015 ist erschienen. Ein Ergebnis: die Deutschen bestätigen eines ihrer Stereotypen: fleißig wird geackert und Mehrarbeit geleistet, gern auch ohne Kompensation. Mehr Details zur diesjährigen Studie verrät Artur Jagiello, Leiter Kommunikation bei PMSG PersonalMarkt Services. Auf geht’s:
saatkorn.: Herr Jagiello, bitte stellen Sie sich den saatkorn LeserInnen doch kurz vor.
Mein Name ist Artur Jagiello und ich verantworte die Kommunikation für die Gehaltsvergleiche Gehalt.de und Gehaltsvergleich.com sowie für unsere Beratung Compensation-Online. Alle Portale sind ein Produkt der PMSG PersonalMarkt Services GmbH mit dem Firmensitz in Hamburg. Einigen Leserinnen und Lesern von saatkorn dürften wir ein Begriff sein. 🙂
saatkorn.: Ganz aktuell haben Sie eine neue Studie rund um das Thema Arbeitszeit heraus gebracht. Was war das Setting der Studie, wer wurde befragt?
Bei unserer aktuellen Studie mit dem Titel „Arbeitszeitmonitor 2015“ haben wir explizit die Arbeitszeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland unter die Lupe genommen. Hierfür greifen wir auf Informationen von Unternehmen und deren Personalabteilungen zurück, die mit uns kooperieren. Gleichzeitig basieren die Ergebnisse auch auf Angaben, die Nutzer auf Gehalt.de oder Gehaltsvergleich.com hinterlassen haben. Insgesamt haben wir fast 272.300 Datensätze analysiert. Wir führen diese Studie jedes Jahr durch.
saatkorn.: Was sind die zentralen Ergebnisse der Studie?
Viele Deutsche machen Überstunden. In der Regel 5-10 Stunden pro Woche zusätzlich. Laut Studie sind 63 Prozent aller Bundesbürger von Mehrarbeit betroffen. Während 54 Prozent ausgeglichen werden, erhalten 44 Prozent weder mehr Geld noch Freizeit. Wir sehen auch, dass es eine Korrelation zwischen Überstunden und Alter gibt. Gleiches gilt für die Höhe der Vergütung und Anzahl der Überstunden. Sprich, je älter der Arbeitnehmer, desto mehr muss er arbeiten – je höher sein Gehalt, desto höher auch die Anzahl der Überstunden.
Ohne Stereotype zu bedienen, konnten wir außerdem empirisch nachweisen, dass Frauen weniger arbeiten als Männer. Hier spielen Teilzeitbeschäftigungen und die Branche entscheidende Rollen. Näher sind wir darauf allerdings nicht eingegangen. Das Thema wird uns in den nächsten Jahren noch häufiger begegnen.
Die meisten Überstunden leisten Unternehmensberater – hier sind wir auf eine Mehrarbeit von durchschnittlich sechs Stunden pro Woche gekommen. Allerdings arbeiten Beschäftigte in dieser Branche in der Regel länger. Da wir aber die gesamte Branche beleuchten, fallen hier auch Berufe aus dem Verwaltungsapparat rein, die nicht immer von Überstunden betroffen sind.
saatkorn.: Was hat Sie persönlich besonders überrascht?
Laut unserer Studie befinden sich um die 75 Prozent in einem Arbeitsverhältnis, in dem vertraglich 36-40 Stunden pro Woche festgelegt sind. De facto arbeiten 52 Prozent länger als die vorgeschriebene Arbeitszeit abverlangt. Dagegen haben nur 10 Prozent über 40 Stunden im Vertrag stehen.
Ein weiterer Punkt: Je höher das Gehalt, desto mehr Überstunden fallen an – gleichzeitig sinkt jedoch der Anteil der Arbeitnehmer, die einen Ausgleich dafür bekommen. Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass eine Erhöhung der vertraglichen Arbeitszeit mit zunehmendem Gehaltsniveau nicht stattfindet, sondern die anfallende Arbeit über unbezahlte Mehrarbeit abgedeckt wird.
saatkorn.: Mich beschäftigt das Thema „New Work“. Insbesondere Wissensarbeiter können ja zumindest theoretisch zeitlich und örtlich sehr flexibel arbeiten. Gibt es zu diesem Thema auch Aussagen in Ihrer Studie?
Dazu gibt es in der Studie keine konkreten Aussagen, da wir danach nicht gefragt haben. Aber wir erkennen immer öfter den Trend hin zu einer Verschmelzung zwischen Arbeitszeit und Privatleben. Es gibt deshalb Manager in hohen Positionen, die 40 Stunden arbeiten und dann nach Hause fahren. Allerdings überprüfen sie auf dem Weg noch einmal ihr Postfach via Smartphone, arbeiten mit dem Tablet an einer Präsentation und am Wochenende gehen sie „kurz mal eben“ an den Rechner, um sich erneut dem Beruf zu widmen. Der Arbeitgeber spricht von „flexiblen Arbeitszeiten“ oder „Home Office“. Dies jedoch birgt die Gefahr, dass man sich nie ganz vom Job entfernen kann. Stattdessen „erschleichen“ wir uns unsere Überstunden, indem wir den Job stets in der Hosentasche mit uns mit tragen. Die klassische Überstunde a la „Schatz, ich bleibe noch mal etwas länger im Büro“ wird langfristig gesehen immer seltener.
saatkorn.: Aufgrund der demografischen Entwicklung findet ja gerade ein Paradigmenwechsel auf dem Arbeitsmarkt statt. Der Weg geht vom Verkäufer- zum Käufermarkt. Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitnehmer doch mehr und mehr über ihr zeitliches Engagement selbst entscheiden. Gibt es da irgendwelche Trends aus den letzten Jahren?
Auch wenn schon lange über die demographische Entwicklung in Personalabteilungen gesprochen wird, steht uns der eigentliche Wandel erst noch bevor, wenn ab 2016 die geburtenstarken Jahrgänge den Arbeitsmarkt tatsächlich verlassen werden. Dann wird auch die Auseinandersetzung mit konkreten Maßnahmen und Angeboten für Mitarbeiter in Unternehmen an Fahrt gewinnen. Bis dahin ist allerdings festzustellen, dass der angesprochene Paradigmenwechsel bis heute nur zu einem geringen Teil in der betrieblichen Wirklichkeit angekommen ist.
Wenn Unternehmen doch etwas tun, um sich darauf vorzubereiten, bezieht sich das in der Regel auf Themenfelder wie eine flexiblere Einteilung der Anwesenheit (Abkehr von Präsenzpflichten oder Kernarbeitszeiten), Lebensarbeitszeitkonten, einem Angebot von Weiterbildungsmaßnahmen auch für ältere Arbeitnehmer, ein betriebliche Gesundheitsmanagement oder ähnlichem. Hier lassen sich in den letzten Jahren erste Ansätze finden.
Auswirkungen auf die Wochenarbeitszeit aufgrund des demographischen Wandels sind weniger zu erwarten, da Mitarbeiter, wenn sie es wollen, auch heute schon ein Anrecht auf Teilzeit haben (vgl. § 8 TzBfG).
Auswirkungen auf die Anzahl der geleisteten Überstunden werden nur in solchen Arbeitsverhältnissen zum Thema werden, wo die Aufgaben und Tätigkeiten grundsätzlich auch durch mehrere Personen teilbar sind. So können sich z. B. sicherlich zwei Mitarbeiter die Erstellung von 100 Lohnabrechnungen aufteilen, das Führen z. B. eines Projektteams ist hingegen weniger leicht durch zwei Mitarbeiter zu teilen.
saatkorn.: Herr Jagiello, vielen Dank für das Interview…