Arbeitswelt der Zukunft – Thema Arbeitsarchitektur
Die Arbeitswelt der Zukunft ist in vielerlei Hinsicht ja immer wieder Thema auf saatkorn. Und auch zum Thema Arbeitgeberattraktivität und Architektur hatte ich immer mal wieder (hier oder bei Coca Cola oder adidas) berichtet. Heute ein Interview mit Stephan Derr, Vorstand der Steelcase AG rund um Büroarchitektur. Auf geht’s:
saatkorn.: Herr Derr, bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Ich bin Vorstand des Arbeitsraumexperten Steelcase und für den Vertrieb im Bereich EMEA Nord verantwortlich. Ich bin Wahlmünchener, trinke lieber Kaffee als Tee und habe den Spitznamen „Erbsenzähler“ weg, da es mir immer darum geht, ganz genau hinzuschauen. Als Chef möchte ich jederzeit ein offenes Ohr für die Ideen und Meinungen meiner Mitarbeiter haben – dazu gehört auch, dass ich kein eigenes Büro habe, sondern mir jeden Tag einen neuen Platz aussuche.
saatkorn.: Steelcase ist als Arbeitsraum-Experte auch Zeuge der sich verändernden Personalpolitik in Unternehmen und beschäftigt sich intensiv mit der Arbeitswelt der Zukunft. Gerade durch die Digitalisierung stehen viele Unternehmen unter Zugzwang, auch an Ihrer Unternehmenskultur und ihrer Arbeitgeberattraktivität zu arbeiten. Da spielt Büroarchitektur naturgemäß eine große Rolle, oder?
Absolut – denken wir nur an Unternehmen wie Google oder Microsoft, die den Ort „Büro“ mittlerweile für die Imagepflege benutzen und sich darüber als attraktiver Arbeitgeber positionieren: Farbenfrohes Design, gemütliche Sofas oder flexibles Arbeiten vom Home Office aus prägen hier das Bild. So manches Unternehmen möchte sich davon eine Scheibe abschneiden. Aber ein einzelner Tischkicker oder ein Lounge-Sofa sind zwar schnell ins Büro gestellt – die Kultur, die deren Nutzung auch fördert, erziele ich aber nicht automatisch. Denn für den Arbeitnehmer sind diese punktuellen Imagefaktoren wenig entscheidend, sondern das gesamte Bild: Erst eine Arbeitsumgebung, die dem Mitarbeiter für jede anstehende Aufgabe den idealen Arbeitsort zur Verfügung stellt, punktet. Dies umfasst stille Rückzugsorte und Plätze für konzentriertes Arbeiten genauso wie offene Kreativräume und kommunikative Teamarbeitsplätze. Ebenso müssen Unternehmen künftig den Menschen und dessen körperliches und emotionales Wohlbefinden in den Mittelpunkt stellen.
saatkorn.: Welche Trends lassen sich in den letzten Jahren auf der Schnittstelle zwischen Arbeitgeberattraktivität und Architektur festmachen, wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus?
Einerseits werden unsere Büros zunehmend smarter und moderne Technologien sind zu einem wichtigen Kriterium für Arbeitnehmer geworden. Die Vernetzung von Mensch, Arbeitsort und Technologie wird dank Sensoren oder dem Internet of Things zukünftig noch enger werden. Irgendwann wird das gesamte Unternehmen – vom Terminkalender über die Möbel, das Raumbuchungssystem, den einzelnen Mitarbeiter bis hin zum Konferenzraum – verknüpft und vernetzt sein.
Schon heute ermöglichen mobile Technologien den Mitarbeitern, auch von Zuhause aus oder im Café zu arbeiten. Schnell jedoch begannen sie zu realisieren, dass weiche Sofas nach ein paar Stunden unbequem werden und dass kleine Bistrotische keine Ablageflächen bieten. Auswärts zu arbeiten, bewährt sich für eine gewisse Zeit, nicht aber für ganze Tage. So kam es zur „Office Renaissance“, einer Wiederbelebung des Büros als idealen Arbeitsort, an man sich mit anderen austauschen kann und das in puncto Technologien und Ergonomie am besten ausgestattet ist. Im Gegenzug erhielten Arbeitsräume in den letzten Jahren immer mehr Wohnzimmer-Flair, um eine Art Balance zwischen Funktion und Design zu bieten. Dies geht einher mit einem verspielten Look, frischen Farben und gemütlicher Atmosphäre.
saatkorn.: Sprechen wir doch einmal über das Großraumbüro. Als ich vor knapp 20 Jahren ins Arbeitsleben eingestiegen bin, habe ich in einer größeren Versicherung meine Ausbildung gemacht. Damals war das Großraumbüro en vogue. In den letzten 5 Jahren scheint es aufgrund der New Work Bewegung eine Renaissance hin zu Großraumbüros zu geben, allerdings aus anderen Gründen. Mithin wird es auch in der Arbeitswelt der Zukunft Großraumbüros geben. Sehen Sie das auch so?
Großraumbüros wurden unter anderem deshalb eingeführt, da Unternehmen auf weniger Raum mehr Mitarbeiter unterbringen konnten. Lange Zeit wurden sie als neue Arbeitsform angepriesen, die zu mehr Kommunikation und Produktivität führen soll. Für den Mitarbeiter funktionieren diese jedoch nur, wenn neben der offenen Gemeinschaftsfläche auch Plätze zur konzentrierten Einzel- oder Teamarbeit zur Verfügung stehen.
Heute werden Großraumbüros oft mit dem Konzept der freien Platzwahl und flexiblen Arbeitszeitmodellen verbunden: Man geht nicht länger davon aus, dass jeder Mitarbeiter täglich seinen persönlichen Platz im Großraumbüro einnimmt, sondern dass er auch mal von Unterwegs, von Zuhause oder vom Café aus arbeitet. Hier muss man sich jedoch die Frage stellen, ob die Mitarbeiter diese „Third Places“ nicht nur deshalb nutzen, weil sie aus dem lauten Großraumbüro flüchten…
saatkorn.: Der Chef hat ein großräumiges Einzel-Eckbüro, repräsentativ und großzügig. Ist das noch zeitgemäß?
Grundsätzlich würde ich sagen: Nein. Jedoch kommt es immer auf den Einzelfall an. Denn zum Beispiel bei traditionell geprägten Familienunternehmen ist die Hierarchie oft noch von entscheidender Bedeutung und ein Teil der Unternehmenskultur – und diese wird eben auch über das Chefbüro ausgedrückt.
Auch in Anwaltskanzleien sind Einzelbüros und repräsentative Räume wichtig, um ungestört mit Mandanten zu sprechen. Für alle Unternehmen, bei denen solche Punkte jedoch weniger wichtig sind, plädiere ich dafür, dass Chef und Mitarbeiter sich auf Augenhöhe begegnen. Und dies spiegelt sich auch in der Gestaltung des Büros wider. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass der Vorgesetzte genauso im Open Space arbeitet, wie der Mitarbeiter auch (solange für Personalgespräche oder ähnliches auch Rückzugsräume zur Verfügung stehen).
saatkorn.: Wohin geht der Trend, wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus?
Damit Unternehmen in den nächsten 10 oder 20 Jahren zukunftsfähig bleiben, müssen Mitarbeiter neue Ideen generieren, anspruchsvolle Probleme lösen und über den Tellerrand hinausschauen. Kurzum: Sie müssen kreativ sein. Doch kreatives Arbeiten wird in vielen Unternehmen kaum gefördert. Die Lösung liegt im richtigen Gleichgewicht zwischen linearem und nicht linearem Denken sowie im bereits erwähnten richtigen Angebot an Räumen und Technologien, die die unterschiedlichen Phasen der Arbeit unterstützen. Wir sehen langfristig eine Bewegung weg vom traditionellen Büro hin zu kreativen Studios: Vielfältige Räume, die so gestaltet sind, dass sie sowohl die darin arbeitenden Menschen unterstützen als auch die Technologien beinhalten, die ihnen ihre Arbeit erleichtern.
saatkorn.: Zu guter Letzt: wie sieht eigentlich Ihr eigenes Büro aus, Herr Derr?
Jeden Tag anders: Gestern habe ich noch in einem Kreativraum mit meinen Kollegen an einem Microsoft Hub gearbeitet, vorhin auf einem gelben Sofa einen Podcast über New Work gehört und gerade beantworte ich an einem höhenverstellbaren Schreibtisch Ihre Fragen!
saatkorn.: Herr Derr, vielen Dank für das Interview rund um die Arbeitswelt der Zukunft – und weiterhin viel Spaß und Erfolg bei Steelcase.