Arbeitsfrust: wie entsteht der eigentlich? Und was kann man dagegen tun? Und wieviel hat das mit Führung zu tun? – Szene-Urgestein Dr. Nico Rose hat sich dieser spannenden Fragestellungen in einer neuen Studie gewidment. Klar, dass ich mal nachgehakt habe. Auf geht’s:
saatkorn.: Lieber Nico, in der Employer Branding Szene bist Du ja bekannt wie ein bunter Hund. Da sich bei Dir allerdings so einiges geändert hat, stelle Dich doch bitte hier nochmal kurz vor.
Viele Menschen kennen mich durch meine Tätigkeit bei Bertelsmann, dort war ich von 2010 bis 2018, zuletzt als Vice President Employer Branding & Talent Acquisition. Außerdem arbeite ich seit 2008 freiberuflich als Coach, in den letzten Jahren habe ich ergänzend immer um die 30 Vorträge gehalten.
Seit April 2019 bin ich Hochschullehrer für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management (ISM) in Dortmund. Dazu passt gut, dass ich immer schon gerne und viel geschrieben habe. Neben zwei Büchern und mehr als 70 Artikeln in Fachmagazinen gibt´s von mir eine größere Anzahl an Artikeln bei Zeit Online, WirtschaftsWoche, Handelsblatt, Werben+Verkaufen und weiteren Portalen. Zusätzlich veröffentliche ich regelmäßig Artikel als XING-Branchen-Insider.
saatkorn.: Neben Deinem kürzlich hier vorgestellten (und verlosten) Buch Arbeit besser machen, bist Du auch in Bezug auf Studien nicht untätig gewesen. Gerade ist eine spannende Studie von Dir rund um die Fragestellung, was den Deutschen regelmäßig ihre Arbeitsfreude vermiest, erschienen. Wie war das Setting der Studie?
Ich habe über 900 Menschen befragt, was sie an ihrer täglichen Arbeit am meisten bzw. am regelmäßigsten nervt. Normalerweise wird ja viel geschaut, was Menschen glücklich macht bei der Arbeit – da wollte ich den Spieß einmal umdrehen. Zudem ist es so, dass man manchmal erst das Unkraut beseitigen muss, damit Platz für das Schöne und Neue entsteht. Weiterhin habe ich mir angeschaut, welche dieser Störfaktoren am engsten mit bestimmten HR-Kennzahlen in Zusammenhang stehen, z.B. der Wechselabsicht.
saatkorn.: Im Ergebnisreport der Studie (den man HIER downloaden kann) teilst Du die Ergebnisse in Arbeitsfrust und das Themenfeld Führung und Sinn ein. Lass uns zuerst über das Thema Arbeitsfrust sprechen. Was sind die aus Deiner Sicht zentralen Ergebnisse?
Am meisten stört die Befragten ein Mangel an Ressourcen (Budget, Mitarbeiter etc.) zur Bewältigung ihrer Arbeitsaufgaben. Das war vermutlich erwartbar, wenn man auf das eigene Erleben schaut. Schon auf dem zweiten Platz folgt allerdings ein Faktor, der HRler und Führungskräften zu denken geben sollte: Branchenübergreifend vermissen viele Personen attraktive Karriereperspektiven – entweder, weil es keine gibt, oder weil sie nicht gesehen werden. Hier zeigt sich, dass beim Thema Talent Management noch viel Luft nach oben ist.
Auch der Faktor auf dem dritten von insgesamt 30 Plätzen ist bedenklich: Die meisten Mitarbeiter misstrauen der Führungsetage ihrer Organisation. Des Weiteren vermissen sie regelmäßiges Feedback, sowohl in Form von Wertschätzung als auch von konstruktiver Kritik. Das lässt erahnen: Erstklassige Führungsarbeit ist immer noch Mangelware.
Lehrreich ist auch der Vergleich zwischen Männern und Frauen. Zwar sind bei keinem der 30 Faktoren riesige Unterschiede zu verzeichnen. Allerdings berichten Frauen dafür bei fast allen Merkmalen über eine leicht erhöhte (wahrgenommene) Belastung. In Summe ist (oder erscheint) die Arbeitswelt demnach ein härteres Pflaster für Frauen im Vergleich zu den Männern in der Stichprobe.
saatkorn.: Gibt es branchenmäßig große Differenzen?
Ja, hier zeigen sich recht starke Abweichungen. Der Forschungs- und Bildungsbereich hat bei vielen Faktoren die Nase vorn. Dieser Sektor punktet auf der psychologischen Ebene (Selbstbestimmung, Spaß, interessante Aufgaben, wenig Wertekonflikte usw.). Ebenfalls top: Beratung. Der Sektor liegt vorn bei wichtigen Führungsthemen und der Ausstattung mit Ressourcen und Technik. Viel Grund zur Klage hingegen haben die Menschen im Bereich Stiftungen und Non-Profit-Organisationen.
Auch in puncto Funktion im Unternehmen zeigen sich spürbare Abweichungen. Im Bereich Forschung und Entwicklung scheint es vielen Menschen außergewöhnlich gut zu gehen, im Marketing hingegen herrscht vergleichsweise viel Frust. Unter anderem ist das Gefühl der Sinnlosigkeit dort am deutlichsten ausgeprägt.
saatkorn.: Und wenn wir auf den zweiten Schwerpunkt rund um Schlechtführung, Sinnlosigkeit und innere Kündigung zu sprechen kommen: Welche Ergebnisse haben Dich da besonders überrascht?
Auch hier zeigt sich zunächst ein erwartbares Ergebnis: Wer keine Karriereperspektiven sieht, schaut sich natürlich nach Alternativen um. Dann zeigt sich allerdings ein Faktor, den die „Das Leben ist kein Ponyhof“-Fraktion jedoch ganz sicher nicht auf dem Schirm hat: Spaß. Spaß – oder besser: die Abwesenheit von Spaß – ist einer der wichtigsten Treiber für die Wechselabsicht, aber auch zur Frage, ob eine Person ihr Unternehmen als Arbeitgeber weiterempfehlen würde.
Als schlauer Mensch fragt man an dieser Stelle natürlich: Wenn Spaß so wichtig ist: Welche Treiber beeinflussen dann den Spaß? Hier zeigt sich, dass Stärkenorientierung wahnsinnig wichtig ist. Wer viel Zeit mit Tätigkeiten verbringen darf, die nah an den ureigenen Stärken liegen, dem machen die Aufgaben auch deutlich mehr Spaß. Zudem hängt dieser Faktor auch – erwartbar – von der Atmosphäre im Team ab. Interessanterweise zeigt eine tiefergehende Analyse, dass die Chemie im Team strukturell zur Führungsleistung des Vorgesetzten gerechnet wird.
saatkorn.: Was können Führungskräfte dazu beitragen, aus Arbeitsfrust Arbeitslust zu machen?
Zunächst einmal sollten es Führungskräfte als ihre ureigene Aufgabe betrachten, die Menschen in ihrer Obhut zu entwickeln. Das heißt im Zweifel auch: aus der aktuellen Aufgabe hinaus. Ich denke, dass HR-Abteilungen hier noch viel stärker steuern und im Zweifel auch aktiv intervenieren müssen. Als Vorgesetzter hat man kein generisches Interesse, ausgerechnet die besten Pferde im Stall ziehen zu lassen. Aus Sicht des übergreifenden Systems ist das aber eminent wichtig, damit die Leistungsträger nicht anfangen, bei der Konkurrenz zu suchen.
Und dann geht´s um einen Klassiker – wohlbekannt, aber offensichtlich auch schwer abzustellen. Ich frage in meinen Vorträgen ab und an nach Handzeichen. Es sollen dann diejenigen Menschen aufzeigen, die das Gefühl haben, dass sie zur Erledigung ihrer aktuellen Aufgaben genug hilfreiches Feedback erhalten. Selten gehen mehr als drei, vier Arme nach oben, ganz gleich, wie groß der Saal ist. Die Studie bestätigt dieses Bild. Die meisten Menschen erfahren eindeutig zu wenig Wertschätzung. Es geht aber nicht nur ums Pampern. Die Studienteilnehmer vermissen mindestens ebenso deutlich konstruktiv-kritisches Feedback – sprich: Lernchancen.
Das ist bedauerlich. So, wie unsere Sinnesorgane uns dabei helfen, uns in der physischen Umwelt zu orientieren, hilft Feedback von anderen Menschen uns dabei, uns in sozialen Systemen zu orientieren. Ohne Feedback sind wir gewissermaßen sinn(es)los. Hier gibt es noch ganz viel zu tun.
saatkorn.: Wieviel Änderungsmöglichkeiten gibt es rund um erlebten Arbeitsfrust aus Deiner Sicht denn tatsächlich? Manche Dinge sind ja nun mal nicht änderbar…
Einige Aspekte sind tatsächlich schwer zu beheben. Dieser (gefühlte) Ressourcenmangel – den wird es vermutlich immer geben. Allerdings sollten es Unternehmen nicht übertreiben mit dem Effizienzstreben. Studien zeigen, dass Menschen schlechtere Entscheidungen treffen, wenn es ihnen an finanziellen Mitteln mangelt. Sie achten dann sehr auf die Kurzfristperspektive, vernachlässigen aber mitunter die langfristigen Konsequenzen ihres Tuns oder Nichttuns. Außerdem kann Ressourcenmangel auf die Stimmung schlagen, die Konkurrenz zwischen Abteilungen erhöhen usw.
Am ehesten kann man aus meiner Sicht bei der Führungsqualität ansetzen. Gute Führung kann – und muss – erlernt werden; das zeigt auch eine meiner früheren Studien. Ich hatte versucht, besser zu verstehen, welche Handlungen von Führungskräften dazu führen, dass die geführten Personen mehr Sinn in ihrer Tätigkeit empfinden. In einer Nebenauswertung stellte ich fest, dass es einen klaren Effekt in Bezug auf die Führungserfahrung gibt. Ich bildete drei Führungsqualitätsklassen und setzte diese in Beziehung mit der Führungserfahrung der Vorgesetzten. Dabei zeigte sich: Niemand mit weniger als zwei Jahren an Führungserfahrung schaffte es in die Gruppe der Top-Chefs bzw. -Chefinnen.
Die Leute machen Fehler, das ist OK. Umso wichtiger sind gute Entwicklungsmaßnahmen: Coaching, Mentoring, möglichst viel Feedback aus verschiedenen Perspektiven. Wenn das nicht früh in der Karriere kommt, schleifen sich die Fehler ein, vor allem, wenn man lernt, dass man damit durchkommt. Irgendwann hat sich der Führungsstil verfestigt – dann ist es meistens zu spät.
saatkorn.: Nico, ganz herzlichen Dank für das Interview – und weiterhin viel Spaß und Erfolg mit Deinen Aktivitäten!