Alles zum Ethikbeirat HR Tech
Zum Januar 2019 hat sich der Ethikbeirat HR Tech gegründet. Das Gremium sieht sich als Impulsgeber zur Förderung des Einsatzes von digitalen Lösungen in der Personalarbeit. saatkorn Redakteur Gero Hesse im Gespräch mit Professorin Christine Harbring und Michael H. Kramarsch, zwei Gründungsmitgliedern des Ethikbeirats HR Tech, zu Zielen und ersten Arbeitsschritten des Gremiums.
saatkorn: Frau Prof. Harbring, bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Christine Harbring: Ich bin seit 2010 Professorin an der RWTH Aachen, School of Business and Economics, mit dem Lehrstuhl für Organisation. In der Forschung beschäftige ich mich mit dem Verhalten von Menschen unter dem Einfluss bestimmter Anreiz- und Arbeitsbedingungen und untersuche das meistens im einem Labor. Dort simulieren wir ökonomisch relevante Situationen und analysieren, wie sich die Probanden verhalten.
saatkorn: Wie schlägt sich da der Bogen zu ethischen Fragestellungen?
Christine Harbring: Wenn wir das Zusammenspiel von Lohnstrukturen und individuellem Verhalten untersuchen, haben wir es häufig auch mit ethischen Fragestellungen zu tun. Zudem beschäftigen wir uns seit wenigen Jahren auch mit dem Verhalten in virtuellen Realitäten. Wir nutzen diese Umgebungen für unsere ökonomische Forschung, um zum Beispiel reale Arbeits- und Entscheidungsbedingungen realistischer darstellen zu können. Da treffen Menschen auch auf computer-gesteuerte Avatare. So fingen wir an, uns mit den Fragen im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen liegt da nahe.
saatkorn: Herr Kramarsch, Sie haben vor acht Jahren die hkp/// group als Unternehmensberatung gegründet, deren Managing Partner Sie heute sind. Wie nah liegen denn in Ihrer Tätigkeit ethische Fragestellungen?
Michael H. Kramarsch: … und in dieser Zeit konnte ich auch den HR Startup Award mit ins Leben rufen, ein anderes Unternehmen mitgründen und mich an drei HR Startups persönlich beteiligen. Als Unternehmer, Gründer und Investor bin ich begeistert von den Möglichkeiten die Unternehmen und wir als Gesellschaft von Innovation, digitalen Lösungen und dem Einsatz von KI in Unternehmen haben. Als Berater an der Schnittstelle von HR, Strategie und Finanzen begleiten wir Organisationen und ihre Menschen auf dieser spannenden Reise und erkennen auch immer stärker, dass damit nicht effizienter das Gleiche getan werden kann und soll, sondern Arbeit und Unternehmen grundsätzlich anders zu begreifen sind. Als verantwortlicher Mensch schaue ich aber auch hinter den Rausch des Machbaren, damit wir am nächsten Tag nicht mit einem riesigen Kater aufwachen. Mit dem Einsatz von KI für Personalmanagementfragestellungen gehen schlicht und einfach andere ethische Fragen einher als bei der Wegstreckenoptimierung im Navi.
saatkorn: War dies der Grund für die Gründung eines Ethikbeirat speziell für den Einsatz von HR Technologie im HR-Management?
Michael H. Kramarsch: Innovation und neue Technologien brauchen breite gesellschaftliche Akzeptanz. Privat kann sich jeder entscheiden, mit seinen Daten bei Facebook zu bezahlen und sich später wundern, dass diese Daten an anderer Stelle verwertet und monetarisiert werden. Im Verhältnis Unternehmen zu seinen Mitarbeitenden stellt sich das anders dar. Natürlich gibt es Datenschutz, Mitbestimmung und Arbeitsrecht…
saatkorn: … aber Gesetze werden dynamischen Entwicklungen immer hinterherlaufen!
Michael H. Kramarsch: … und sind auch nicht wirklich orientierungsgebend. Wir wollen mit dem Ethikbeirat HR Tech einfache Spielregeln für Anwender im Unternehmen definieren und diese auch in Qualifizierungsmaßnahmen weiterentwickeln. Es zeigt sich auch, dass in den Unternehmen schlichtweg zu wenig Wissen vorhanden ist, um Chancen und Risiken dieser Technologien adäquat zu beurteilen und deren Implementierung im Unternehmen kompetent begleiten zu können.
saatkorn: Sind Unternehmen überfordert? Kann der Ethikbeirat HR Tech hier helfen?
Christine Harbring: Ja, zumindest sind Organisationen mit einer großen Unsicherheit konfrontiert, die vielfach in einer prinzipiellen Ablehnung resultiert. Das ist natürlich schade. Daher ist eine weitere Intention des Ethikbeirats, durch Aufklärung Ängste abzubauen und handlungsleitende Normen zu erarbeiten, die tatsächlich in der täglichen Arbeit unterstützen.
Michael H. Kramarsch: Unsicherheit und Wissensdefizite auf der Anwenderseite führen dazu, dass Technologieanbieter ihre Angebote funktional immer weiter treiben, ohne dass auf der Anwenderseite Leitplanken gesetzt werden. Ohne hier böse Absicht zu unterstellen: Aber teilweise halten fragwürdige digitale Lösungen Einzug in Organisationen, die direkten oder indirekten Einfluss auf den weiteren Verlauf von Menschenleben haben. Warum befördern wir nicht nach Sternzeichen, aber nach Stimmanalyse und unter welchen Gütekriterien des Produkts?
saatkorn: Sind Technologie-Anbieter also die Bösen?
Michael H. Kramarsch: Technologieanbieter sind ganz klar die Guten! Sie gehen Innovation mit neuen Konzepten, neuen Lösungen, hoher Entwicklungsgeschwindigkeit und einer enormen Lust am Ausprobieren an. Das begeistert mich uneingeschränkt. Wie in jedem großen technologischen Entwicklungssprung müssen wir uns aber als Gesellschaft reflektiert mit der gewünschten, nicht nur der machbaren Entwicklung beschäftigen. Wir können zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit errechnen, mit der ein Mitarbeiter Diebstahl begeht. Ab welcher Wahrscheinlichkeit wollen wir diesem Mitarbeiter kündigen? Heute muss er oder sie diesen Diebstahl begehen und dies rechtskräftig festgestellt sein. Schon alleine die Ermittlung eines solchen – vollkommen fiktiven – Diebstahlscores macht etwas mit den Entscheidern.
Christine Harbring: Solche Fragestellungen muss man konkret diskutieren. Und dafür braucht es einen digitalen Leitfaden, wie Unternehmen und Organisationen richtig mit digitalen Lösungen umgehen können. Das ist ein, wenn nicht das wichtigste unserer Ziele.
saatkorn: Nun ist der Ethikbeirat HR Tech nicht das erste Gremium mit dieser Zielstellung. Wie grenzen Sie sich ab?
Christine Harbring: Ziel des Ethikbeirats ist es, durch einen intensiven Dialog unter Einbezug maßgeblicher Experten, aber auch der breiten Öffentlichkeit, ethische Leitplanken für den Einsatz von Technologien im HR-Bereich zu entwickeln.
Michael H. Kramarsch: Die intensive Diskussion zeigt wie wichtig das Thema ist. Nahezu alle Initiativen beziehen sich breit auf Digitalisierung und KI. Bei uns geht es um einen konkreten und hochrelevanten Anwendungsbereich: Personalmanagement in Organisationen. Damit können wir relevanter sein als viele andere Initiativen und wir wollen auch den nächsten Schritt gehen: nicht nur Regeln aufstellen und diskutieren, sondern auch in Qualifizierung und Rollout gehen. Das unterscheidet uns sehr deutlich von vielen anderen Gremien.
saatkorn: Dazu müssen Sie die Fragen stellen, die bei oder vor dem Einsatz der Technologien gestellt werden sollten.
Christine Harbring: Wir haben es uns in der Tat zur Aufgabe gemacht, noch einen Schritt weiterzugehen: Nicht nur wollen wir Unternehmen durch ethische Richtlinien helfen, die richtigen Fragen vor oder bei Technologieeinsatz zu stellen, sondern wir wollen sie auch befähigen, gemäß dieser Richtlinien zu handeln und somit einen wertschaffenden und verantwortungsvollen Umgang mit HR-Tech zu finden.
Michael H. Kramarsch: Da geht es auch viel um Transparenz: welche Datenbasis für Analysen genutzt wird, welcher Offenlegungspflicht Algorithmen unterliegen sollten, wie Problembeschreibungen und Zielfunktionen zu definieren sind – damit die Antwort nicht 42 lautet…
saatkorn: Woran arbeitet der Ethikbeirat HR Tech derzeit? Was sind die nächsten Meilensteine für Ergebnisse Ihrer Arbeit?
Christine Harbring: Im Fokus der ersten Arbeitsphase des Ethikbeirats stand zunächst, Antworten auf ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich des Technologieeinsatzes in HR zu finden: Was soll Technologie in HR überhaupt leisten? Wie ist der Status Quo der Entwicklung neuer Technologien? Wo ist Technologie im Personalkontext besonders relevant? Und welche ethische Fragen kommen bei der Nutzung von Technologie auf?
saatkorn: … ein sehr weites Feld!
Christine Harbring: In der Tat! Um Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen zu finden, mussten wir konkreter werden. Wir haben eine differenzierte Betrachtung der Funktionsweise, der Chancen und Gefahren und des Reifegrads der einzelnen Technologiefelder vorgenommen und diese eingehend diskutiert.
Michael H. Kramarsch: Wir haben dazu eine heat map entwickelt, die Reifegrade und Herausforderungen neuer Technologien und Anwendungsfelder entlang des sogenannten LifeCycle des Mitarbeiters im Unternehmen aufzeigt. Der Einsatz von Blockchain zur fälschungssicheren Verifizierung von Abschlüssen und Zeugnissen ist möglicherweise weniger „kritisch“ als ein Recruiting-Algorithmus. Dazu arbeiten wir nicht nur im Beirat, sondern haben auch eine Online-Befragung unter Personalern mit dem BPM und dem Handelsblatt durchgeführt. Auf Grundlage der aus diesen Schritten gewonnen Erkenntnisse arbeiten wir derzeit an der Entwicklung ethischer Richtlinien für den Technologieeinsatz in HR.
saatkorn: Wie geht es dann weiter?
Christine Harbring: Ganz konkret werden wir im Mai / Juni einen ersten Entwurf dieser ethischen Richtlinien vorlegen und zur öffentlichen Konsultation bereitstellen. Katalysator für diesen Prozess wird sicherlich die Podiumsdiskussion zum Ethik-Thema auf dem Personalmanagement-Kongress des BPM werden.
saatkorn: Apropos BPM, wie ist der Ethikbeirat HR Tech institutionalisiert?
Michael H. Kramarsch: Dr. Elke Eller, die Präsidentin des BPM und Vorstand bei TUI und ich hatten die Idee und die Initiative zu Gründung ergriffen. Der Ethikbeirat HR-Tech wird vom BPM und der hkp/// group organisiert. Aber der Beirat lebt durch die Arbeit und Beiträge seiner hochkarätigen Mitglieder und deren unabhängigen und diversen Meinungen.
saatkorn: Wer sind aktuell die Mitglieder und sind Sie offen für weitere Mitwirkende?
Michael H. Kramarsch: Der Ethikbeirat HR Tech ist ein interdisziplinär besetztes Expertengremium mit namhaften Vertretern aus Unternehmen, Gesellschaft und Wissenschaft, die dafür brennen, einen gesellschaftlich notwendigen Beitrag im Sinne einer aufgeschlossenen aber konstruktiv kritischen Begleitung von technologischem Fortschritt und seiner Nutzung im HR Management zu leisten.
Christine Harbring: Neben mir wirken zum Beispiel weitere Wissenschaftler mit, so der Wirtschaftsethiker Prof. Bernd Irlenbusch von der Universität zu Köln oder der Psychologe Prof. Martin Kersting von der Universität Gießen. Zu den Mitgliedern zählen aber auch Praktiker wie Stefan Ries von SAP, Reiner Hoffmann vom DGB – um nur einige zu nennen.
saatkorn: Es gab Kritiken, dass Sie zu wenige weibliche Mitglieder in Ihren Reihen hätten.
Christine Harbring: Das ist als Momentaufnahme nicht von der Hand zu weisen, ist aber schon dabei, sich zu ändern. Gerade sind die Zusagen von Brigitte Zypries und Frau Professorin Katharina Simbeck zum Mitwirken im Ethikbeirat HR Tech eingegangen.
Michael H. Kramarsch: Wir sind Ende letzten Jahres relativ zügig losgelaufen, wohlwissend, dass der Kreis der Mitglieder noch ausgebaut werden muss, um dem eigenen Anspruch und der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Wer sich angesprochen fühlt, kann sich gerne bei uns melden.
saatkorn: Zum Schluss noch eine ganz konkrete Frage: Wie bewerten Sie den Einsatz von KI im Recruiting? – Wird der Recruiter durch algorithmenbasierte Technologie ersetzt?
Michael H. Kramarsch: Es ist hoch verführerisch, Personalentscheidungen und damit Verantwortung an Maschinen zu delegieren. Viele versprechen sich davon mehr Objektivität. Zwar können Entscheidungsgrundlagen von einer Maschine kommen, aber selbst auf lange Frist müssen Personalentscheidungen immer vom Menschen getroffen werden, der dafür auch Verantwortung trägt. Es gibt mittlerweile viele Beiträge, die zeigen, wie schwierig es ist, das sinnvoll und diskriminierungsfrei hinzubekommen, beispielsweise ein Algorithmus der Werbebudgets umsteuert, weil Frauen eine priced demography sind. Analysen auf historischen Daten beinhalten immer alle zugrundeliegenden menschlichen Biases und bilden diese nur viel effizienter ab.
Christine Harbring: Viele Personalverantwortliche wollen auch gar nicht, dass die Maschine ihnen die Entscheidung abnimmt. Wenn ich solche Software-Tools zum Recruiting mit Personalverantwortlichen diskutiere, höre ich immer wieder, dass das Tool nur bis zu einem gewissen Punkt Arbeit abnehmen darf. Die letzten 20 Prozent des Prozesses müssten von den Führungskräften geleistet werden. Am Ende möchte eine Führungskraft noch selbst entscheiden, ob sie mit einer betreffenden Person zusammenarbeiten will oder nicht.
saatkorn: Keine Maschine der Welt kann das „Bauchgefühl“ ersetzen – ist es das, was Sie meinen?
Christine Harbring: Ein legitimes Ziel im Einsatz von Technologie im Bereich Rekrutierung ist es, die Subjektivität zu reduzieren durch objektivierbare Tools und Technologien zu ersetzen. Die Hoffnung ist ja, dass durch KI der potenzielle Bewerberpool eher größer und diverser wird als kleiner und dass die Technologie den Menschen dabei unterstützt, möglichst ohne unerwünschte Entscheidungsfehler geeignetes Personal auszuwählen. Abgesehen von möglichen Programmierfehlern, die in falschen Entscheidungen resultieren: Am Ende bleibt dann noch der Wunsch, die letzte Entscheidung selbst zu treffen.
Michael H. Kramarsch: Vermutlich werden in naher Zukunft Teilprozesse ersetzt, zunächst die, die eher eine operative, administrative Funktion haben. Wenn es um das reine Filtern von geeigneten Bewerbungen geht, ist heute auch schon ohne KI eine Erleichterung der Arbeit durch geeignete Software-Unterstützung realistisch.
Christine Harbring: Aber das Bauchgefühl bleibt eine im Recruiting relevante menschliche Qualität, denn die Sympathie für den Kandidaten kann keine Maschine empfinden, aber womöglich irgendwann vorhersagen, wen ich als Recruiter sympathisch finde. Das Gleiche gilt für andere Emotionen. Eine KI wird nie fühlen, aber Gefühle womöglich sehr gut simulieren und am Verhalten des Menschen erkennen können und dann adäquat reagieren.
saatkorn.: Frau Professor Harbring, Herr Kramarsch, vielen Dank für das Gespräch zum Ethikbeirat HR Tech!