Die Azubi-Recruiting Trends 2019 liegen vor! – Wie in den Vorjahren auch hatte ich Gelegenheit, mit der Studien-Initiatorin Felicia Ullrich ausführlich zu sprechen. Auf geht’s:
saatkorn.: Bitte stellen Sie sich den saatkorn. LeserInnen doch kurz vor.
Mein Name ist Felicia Ullrich und ich bin geschäftsführende Gesellschafterin der u-form Testsysteme. Wir bieten Recruiting-Lösungen, Testverfahren und ein ganzheitliches digitales Management für die duale Berufsausbildung an. Seit 2013 geben wir mit den Azubi-Recruiting Trends Deutschlands größte doppelperspektivische Studie zur dualen Berufsausbildung heraus. Seit vielen Jahren bin ich außerdem als Keynotespeakerin zu den Themen Azubi-Marketing und -Recruiting deutschlandweit unterwegs.
saatkorn.: Wer wurde im Rahmen der Azubi-Recruiting Trends 2019 befragt, was war das Setting der Studie?
Wie in den vergangenen Jahren haben wir auf der einen Seite Schüler und Azubis und auf der anderen Seite die Ausbilder und Ausbildungsverantwortliche befragt. Die Befragung erfolgt online, wobei wir in diesem Jahr verstärkt persönlich in Schulen waren, um dort die Studie (auch online) durchzuführen. Wie in den vergangenen Jahren wird die Studie von Professor Dr. Christoph Beck wissenschaftlich begleitet, der den Lesern des saatkorn-Blogs ja bestens bekannt ist. Insgesamt haben wir 3.542 Schüler und Azubis und 1.634 Ausbilder befragt.
saatkorn.: Wenn man die Azubi-Recruiting Trends 2019 liest, bekommt man das Gefühl, dass sich der Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt in der Zielgruppe der Azubis bereits vollzogen hat. Stimmen Sie dem zu?
Auf jeden Fall. Wenn aktuell rund 75 Prozent der befragten jungen Menschen mehr als ein Ausbildungsplatzangebot bekommen, zeigt das deutlich, dass in der Ausbildung der War for Talent schon längst angekommen ist: Mit anderen Worten: Azubi-Bewerber suchen sich längst ihren Ausbildungsbetrieb aus. Diese Zahl derjenigen, die mehrere Angebote bekommen, ist seit der ersten Studie kontinuierlich angestiegen – von 42 Prozent im Jahr 2014 auf 75 Prozent in der aktuellen Studie.
saatkorn.: Ich erlebe trotzdem in den Betrieben nicht die Erkenntnis, dass sich die Betriebe an den Bedürfnissen und Erwartungen der angehenden Azubis zu orientieren hätten (wie es ja in jedem Markt normal wäre, wenn man auf der Nachfragerseite sitzt), sondern dass viele Betriebe immer noch agieren und kommunizieren, als ob sich der Markt nicht verändert hätte. Ist das aus Ihrer Sicht eine Fehlwahrnehmung oder wie sehen Sie das?
Da bin ich zu 100 Prozent bei Ihnen. Unsere Studie hat in den vergangenen Jahren immer wieder belegt, dass sich die Betriebe mehrheitlich noch nicht an die geänderte Marktsituation angepasst haben – auch ein schneller Blick auf ihre aktuelle Kommunikation bestätigt diesen Befund:
Mein Lieblingsbeispiel sind die Stellenanzeigen bei der Jobbörse der Arbeitsagentur, die von immerhin 55 Prozent der Jugendlichen genutzt wird, um sich über Ausbildungsangebote zu informieren. Die sind von unglaublicher Lieblosigkeit geprägt. Da wird die Unternehmensbeschreibung von der Webseite kopiert, um ein paar Anforderungen ergänzt und fertig ist die Stellenanzeige. Die Erwartungen an die Jugendlichen stehen immer noch im Vordergrund, Ausbildungsbetriebe treten wie gewohnt selektions- und nicht überzeugungssorientiert auf. Dabei sollten sie darauf eingehen, was den Beruf spannend macht und was sie ihren zukünftigen Azubis zu bieten haben.
saatkorn.: Was sind aus Ihrer Sicht Handlungsempfehlungen an die Ausbildungsabteilungen in Bezug auf das Thema Arbeitgeberkommunikation?
Darüber ließe sich ein ganzer Roman schreiben. Ich nehme mal ein konkretes und besonders aktuelles Beispiel: Die Ausbildungsvergütung. Für viele Jugendliche ist es das erste selbstverdiente Geld. Natürlich ist das wichtig. Unsere Studie hat in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass es nicht das absolute entscheidende Kriterium für einen Ausbildungsplatz ist – aber ein Wichtiges. Würde ein anderes Unternehmen 50 Euro mehr Ausbildungsvergütung zahlen, würden aktuell nur rund 4 Prozent der Azubis schwach – bei 200 Euro sind es dann schon 65 Prozent.
Die Unternehmen schätzen die Wichtigkeit der Ausbildungsvergütung sehr ähnlich ein wie die Bewerber und Azubis. Und trotzdem kommunizieren die wenigsten Unternehmen Ihre Ausbildungsvergütung offen auf Karriereseiten oder in Stellenanzeigen. Noch immer herrschen Begriffe vor wie „gute Ausbildungsvergütung“ oder „tariflich“. Das sagt keinem Bewerber etwas. Wir kommunizieren die Vergütung zwar nicht offen, aber wehe der Bewerber fragt dann im Vorstellungsgespräch als erstes nach dem Geld. Dann wird er, wenn es dumm läuft, noch als geldgierig abgestempelt. Vielleicht erzieht Google for Jobs hier die Unternehmen, weil Google Stellenanzeigen mit konkreter Gehaltsangabe bevorzugt. Und Google ist für die Ausbildungsplatzsuche der wichtigste Kanal: 84 Prozent der Azubi-Bewerber nutzen Google „sehr oft“ oder „oft“ zur Suche nach einem Ausbildungsplatz!
saatkorn.: Wie müssten aus Ihrer Sicht Schulen auf die veränderte Marktsituation reagieren?
Die Schulen müssten den Jugendlichen die Chance geben, ein Gefühl für Ihre beruflichen Talente und Interessen zu entwickeln. Ich sehe das gerade bei meinem Sohn, der sich um sein Praktikum in der 10 Klasse kümmern muss. Bei vielen Jugendlichen läuft das so, dass Mama oder Papa jemand kennt und da macht der Jugendliche sein Praktikum. Da stehen nicht Talente oder Interessen an einem Beruf im Vordergrund, sondern dass man möglichst einfach ein Praktikum findet. Dazu kommt, dass auch viele Unternehmen noch nicht verstanden haben, dass Praktika eine große Chance sind Nachwuchs für das Unternehmen zu gewinnen und sich hier wenig Mühe geben, die Schüler für ihr Unternehmen zu gewinnen und zu begeistern.
saatkorn.: Was können die Eltern tun?
Eltern erleben wir auch oft überfordert. Sie wollen zwar das Beste für ihr Kind, wissen aber nicht was das Beste eigentlich ist. Für viele ist das Studium noch das Maß aller Dinge, unabhängig vom Talent des eigenen Kindes. Auch hier heißt es hinschauen und überlegen, was ist denn das Talent meines Kindes. Ist es wirklich in der Uni besser aufgehoben, als zum Beispiel in einem handwerklichen Beruf, der ja hervorragende Zukunftschancen bietet. Mein großer Sohn hat sich für eine IT-Ausbildung nach dem Abitur entschieden und ist so glücklich, weil er endlich etwas Praktisches machen kann und nicht nur lernen muss.
saatkorn.: Was sind aus Ihrer Sicht die überraschendsten Erkenntnisse der Azubi-Recruiting Trends 2019 – im positiven wie im negativen Sinne?
Eigentlich sollte es mich nicht mehr überraschen, aber es ist doch immer wieder erstaunlich, wie wir „Großen“ die digitalen Nutzungsgewohnheiten und -wünsche der jungen Generation falsch einschätzen. An sich begleitet uns diese Erkenntnis seit der Studie 2013 und der Frage nach der Facebook-Karriereseite, die damals seitens vieler HR-Berater und Recruitingspezialisten groß gehypt, von den Jugendlichen aber überhaupt nicht gewünscht wurde. In der Studie 2019 sind es die gewünschten Bewerbungswege, die ein ähnliches Phänomen zeigen. 40 Prozent der Ausbilder glauben, dass sich die Jugendlichen gerne per Videobewerbung bewerben möchten, aber nur 16 Prozent der Jugendlichen würden das gerne tun. Nur weil sie gerne Videos bei Youtube schauen, heißt das nicht, dass sie sich so auch gerne bewerben möchten. Bei Testverfahren zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. 70 Prozent der Ausbilder glauben, dass die Bewerber einen Online-Test gerne auf einem Smartphone durchführen möchten, aber nur 38 Prozent der Bewerber könnten sich das vorstellen. Ich glaube der große Fehler besteht darin, die Mediennutzung der Jungen kontextunabhängig zu betrachten. Die Tatsache, dass Jugendliche unter sich gerne Instagram oder TikTok nutzen, heißt eben nicht, dass Ausbildungsbetriebe sie dort ansprechen sollten.
Die Zahlen zu den grundlegenden Arbeitsrahmenbedingungen wie Schichtarbeit oder Wochenendarbeit machen schon nachdenklich. 48 Prozent der Jugendlichen könnte die Aussicht auf Schichtarbeit nach der Ausbildung davon abhalten sich für einen Ausbildungsberuf zu entscheiden. Vielleicht hätte ich mit 18 sogar ähnlich geantwortet – aber die Realität des Arbeitsmarktes hätte mich schnell eingeholt. Man kann über diese Einstellung der Jugendlichen jammern oder das moralisch bewerten, aber sie verhalten sich da durchaus rational. Denn diese Generation ist wahrscheinlich die Erste, die sich diese Einstellung leisten kann. Wie es Professor Beck in dem Vorwort zu unserer Studie formuliert hat, geht es nicht mehr um den „Fachkräftemangel“ sondern um „Marktmacht“. Ich glaube, hier sind Industrie und die Dienstleistungsbranche gefragt, neue Konzepte zu entwickeln, bei denen der Einzelne stärker in die Gestaltung von Arbeit einbezogen wird.
saatkorn.: Frau Ullrich, ganz herzlichen Dank für das Interview zu den Azubi-Recruiting Trends 2019!
Weitere Informationen zu den Azubi-Recruiting Trends 2019 unter: www.testsysteme.de/studie