ACTIVE SOURCING & Ethik? – Was soll das denn für ein Zusammenhang sein? – Tja, lest selbst. Im 6. Teil der SAATKORN Active Sourcing Serie in Kooperation mit Skillconomy dreht sich alles darum, was man darf und was nicht und dass es eventuell noch eine andere Ebene als die nur rein rechtliche gibt…auf geht’s:
SAATKORN: Warum stellt sich für euch die Frage nach Ethik im AS?
Wir sehen zwei Bereiche, in denen das Thema spezifisch im Active Sourcing sehr relevant ist: Active Sourcing eignet sich hervorragend, um diskriminierend zu rekrutieren, ohne dass es von außen erkannt werden kann. Der erste Auswahlschritt im Active Sourcing findet ja ohne Wissen des Kandidaten statt – und kann somit auch keinen Verdacht der Diskriminierung auslösen.
SAATKORN: Wie geht ihr damit um?
Wir entwickeln unsere Matching-Algorithmen diskriminierungsfrei in Konformität zum AGG. Eine Selektion nach Geschlecht ist in unseren Systemen zum Beispiel einfach nicht möglich, auch wenn es sich technisch leicht umsetzen ließe. In unserem Recruiting-Team herrscht ein hohes Maß an Bewusstsein für Diskriminierung – auch unbeabsichtigte. Mit diesen Leitplanken ist ein automatisiertes Matching wiederum sehr gut für eine wirklich vorurteilsfrei Kandidatenauswahl geeignet.
Wir glauben, dass Diskriminierung im manuellen Active Sourcing an der Tagesordnung liegt. Gerade in der „Screening-Phase“, also beim Sichten einer großen Anzahl an Profilen. Der Mensch muss mit Heuristiken arbeiten, um der Profilanzahl Herr zu werden und greift dann – meistens unbewusst – schnell auf Vorurteile zurück. Das Screening machen bei uns komplett die Algorithmen – ohne Berücksichtigung von Aussehen, Herkunft, Geschlecht oder Alter. In der Nachauswahl prüfen unsere Recruiter jedes Profil dann mit dem Wissen, dass es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit passend ist.
SAATKORN: Und der zweite Aspekt, bei dem Ethik eine Rolle spielt?
Technologische Willkür: Wir glauben, dass wir als Tech-Anbieter im Recruiting nicht nur die Verantwortung haben, frei von systematischer Diskriminierung, sondern auch vor grundloser, zufälliger („stochastischer“) Selektion zu matchen. Ein Beispiel: Die Sprachanalysesoftware der Firma Precire zur psychologischen Analyse von Menschen auf Basis eines automatisierten Telefonats wurde als Instrument zur Personalauswahl beworben und auch verwendet. Es wurde inzwischen überzeugend dargelegt, dass die Methode wissenschaftlich nicht haltbar ist [1]. Es kann unserer Meinung nach nicht sein, dass solche Technologien vermarktet und eingesetzt werden, ohne Beweis der Validität. Das ist – übrigens nicht nur von den Anbietern, sondern auch von den Anwendern – unserer Meinung nach nicht in Ordnung.
SAATKORN: Warum nicht?
Es geht im Recruiting immer auch um Lebenschancen, oder eben deren Verwehrung, für Menschen: Damit geht die Verantwortung einher, so gerechtfertigt wie möglich zu entscheiden – und nicht den Zufallsgenerator anzuschmeißen. Diese Haltung ist sicherlich angreifbar, wir stehen aber dazu und setzen sie auch um: Unsere Matching-Algorithmen sind auf eine extrem niedrige „Falsch-Negativ“-Quote getrimmt (< 1%), sortieren also nicht fälschlicherweise geeignete Kandidaten aus. Dementsprechend nehmen wir eine höhere Falsch-Positiv-Rate in Kauf, also dass Kandidaten fälschlicherweise als passend klassifiziert werden (ca. 4-5%) und selektieren diese manuell nach – auch wenn es andersherum bequemer und der kurzfristigen Rendite zuträglicher wäre.
saatkorn.: Wohin geht die Reise im Active Sourcing?
Wir sehen einen Trend, der weitreichende Folgen fürs Active Sourcing hat: Je stärker sich der Kanal etabliert, desto mehr Nachrichten werden die gefragten Fach- und Führungskräfte bekommen. Dementsprechend steigen die Anforderungen an die Candidate Experience immer weiter, um Kandidaten noch zu erreichen. Auch die sozialen Netzwerke werden ihre Mitglieder zunehmend vor unpassenden oder schlechten Anfragen schützen müssen, wenn sie sie nicht verlieren wollen.
Die Antwort liegt aus unserer Sicht darin, als Arbeitgeber nicht mehr nur für einzelne Stellen zu sourcen, sondern Kandidaten-Pools zu etablieren und strategisch eine Beziehung zu den Kandidaten aufzubauen – was übrigens nicht heißen kann, die Kandidaten in Sender-Mentalität vollzuspamen. Es wird eher ums Zuhören gehen. Wir freuen uns auf diese Entwicklungen, sammeln gerade Erfahrungen mit unseren Prototypen und werden ganz vorne mit dabei sein 🙂
SAATKORN: Das war der letzte Teil unserer Active Sourcing Serie. Was möchtet ihr unseren Lesern noch mit auf den Weg geben?
Zunächst vielen Dank an dich für die Gelegenheit, hier so ausführlich über Active Sourcing zu sprechen! Wir hoffen sehr, dass wir deinen Lesern ein paar wertvolle Impulse zum Thema geben und die verschiedenen Aspekte differenziert und jenseits von Marketing-Phrasen beleuchten konnten. Wenn ihr eigene Gedanken zum thema habt oder euch direkt mit uns austauschen wollt: Meldet euch, wir freuen uns! (jonas@skillconomy.com).
SAATKORN: Vielen Dank für das Interview!
Die bisherigen Teile der ACTIVE SOURCING Serie findest Du hier:
[1] *Prof. Lothar Schmidt-Atzert, Philipps-Universität Marburg: TBS-DTK Rezension: PRECIRE JobFit, https://www.psyndex.de/pub/tests/TBS-TK_PRECIRE.pdf