Active Sourcing – Interview mit Jan Hawliczek
Jan Hawliczek ist sicher – zusammen mit Tobias Ortner – eine der Active Sourcing Legenden Deutschlands. Schon letztes Jahr hat das Duo beim #RC18 begeistert. Ehrensache, dass es auch auf dem #RC19 Festival wieder Active Sourcing Hacks vom Feinsten gibt. Ich hatte Gelegenheit, intensiver mit Jan dazu zu sprechen. Ergo: Vorhang auf für die Grüne 3:
saatkorn.: Jan, bitte stell Dich den saatkorn. LeserInnen vor!
Sehr gerne Gero! Ja, mein Name ist Jan Hawliczek. Ich bin 32 Jahre jung und seit August 2018 als Gründer und Geschäftsführer der Die Grüne 3 GmbH im Bereich Recruiting selbständig.
Zuvor war ich in den letzten 9 Jahre in den verschiedensten Recruiting-Disziplinen unterwegs, von Employer Branding über HR-Marketing und Recruiting bis hin zum Sourcing. Dabei habe ich mich vor allem den Themen Social Recruiting, Active Sourcing und HR Tech verschrieben. Das ist meine große Leidenschaft und ja, auch Liebe geworden. Mit August letzten Jahres habe ich dann aus dem Blog die grüne 3 heraus, die Grüne 3 GmbH gegründet. Mit der Grünen 3 biete ich hauptsächlich sehr praxisorientierte Trainings und Beratung an – das ist meine große Passion! Nur kurz nebenbei erwähnt, meinen neuen Markenauftritt auf www.diegruene3.de wird es in den kommenden Wochen geben, also bitte nicht wundern, wenn ihr hier noch nicht die gewünschten Informationen findet! Aber dran bleiben, lohnt sich ;-).
saatkorn.: Spannend, danke für die Insights. Jetzt hast du gesagt, dass Active Sourcing eines deiner Kernthemen ist. Was bedeutet denn Active Sourcing für dich genau?
Ich glaube, da muss man mit vielen Mythen und Halbwahrheiten aufräumen. Active Sourcing ist für mich erstmal eine zusätzliche Maßnahme bzw. ein Kanal im Recruiting. Punkt. 😉 Diese Maßnahme ist jedoch nicht wie unsere „alten“ Kanäle aus Richtung des Inbound Recruitings zu verstehen, sondern aus der Outbound Richtung. Das bedeutet, das wir als Unternehmen, bzw. noch spezifischer der Recruiter oder Sourcer, als erstes auf die Zielgruppe zugeht – eben per Direktnachricht, Telefon oder Face2Face. Und dieses Vorgehen bringt auf einmal eine komplett neue Zielgruppe in den Recruitingprozess – den Kandidaten. Also jemanden, der sich NIE bei uns beworben hat. Das muss vorab auch im gesamten Prozess und an allen Touch-Points berücksichtigt, verstanden und gelebt werden.
Wichtig ist aber auch zu verstehen, was Active Sourcing NICHT ist. Es ist nicht der Notnagel oder letzte Wurf, den der Recruiter mal eben nebenbei macht, wenn es bei der Stelle eh schon brennt. Bei dieser Auslegung von Sourcing fehlt mir der langfristige Ansatz, sich innerhalb der Zielgruppe ein starkes Netzwerk aufzubauen. Kurzum, Active Sourcing kann für mich eine Maßnahme, in einer guten Recruiting-Gesamtstrategie sein. Jedoch eine, mit der wir näher an der Zielgruppe, deren Themen und Plattformen sind und eine, die neue, technische und empathische Anforderungen an uns im Recruiting stellt – Stichwort Booling for Talent ;-).
saatkorn.: Ah, dann lass uns mal ein wenig über Active Sourcing und Booling Talent sprechen. Für die ungeübten saatkorn. LeserInnen: das ist keine neue Kegelart, sondern bezieht sich auf das Thema „Boolesche Operatoren. Watt is datt?
Hm, erstmal sollten wir klären für was wir das benötigen;-).
Um Daten in Lebenslaufdatenbanken wie XING oder LinkedIn strukturiert, effizient und Schicht für Schicht durchsuchen zu können, benötigen wir Boolesche Operatoren – oder anders gesagt, einfache Mengenlehre aus der Mathematik. 😉 Diese Booleschen Operatoren (AND, OR, NOT) verknüpfen wir dabei mit Keywords und Synonymen um so – logisch und sehr zielgerichtet/präzise – die passende Zielgruppe in einer Datenbank zu identifizieren. Das bedeutet, ich gebe nicht nur ein paar Schlagworte in die XING oder LinkedIn Suche ein, sondern (mal mehr oder weniger) komplexe Suchketten. Wir können also mit Boolesche Logik, sehr technischen und zielgerichteten Ident betreiben.
saatkorn.: OK, dann tauchen wir mal etwas tiefer in die Materie ein. Bevor man loslegt und am Output, nämlich der Suchkette arbeitet, müssen ein paar Voraussetzungen geschaffen werden. Und zwar so einige. Welche sind das bezogen auf die Geschäftsführung?
Ähnlich wie bei der Digitalisierung von Unternehmen, kann Active Sourcing nur dann funktionieren, wenn von allen im Unternehmen auch das Verständnis und die Offenheit für dieses Thema gelebt wird – ich glaub neudeutsch nennt man das dann Mindset ;-). Deshalb benötigen wir von unserem Management die Unterstützung und das Commitment, das wir diesen neuen Kanal im Recruiting auch gehen können. Denn auf einmal wird Geschwindigkeit, Transparenz und Verständnis aus Sicht der Zielgruppe getrieben. Daran müssen wir uns in allen Prozessschritten messen lassen. Das fängt ganz vorne beim Ident an. Welche Ressourcen benötigen wir im Recruiting / Unternehmen hierfür? Wie müssen meine Recruiter aus- und weitergebildet werden? Wieviel Stellen können Sie dann noch zusätzlich betreuen bzw. mit Sourcing unterstützen? Welche (neuen) Schnittstellen benötigen wir? Wieviel Budget geben wir hierfür frei? Lässt sich daraus auch ein Business Case rechnen? All das sind Fragen, die wir aus dem Recruiting zusammen mit der Geschäftsführung beantworten müssen und auch können.
saatkorn.: Inwiefern muss der Fachbereich beim Active Sourcing durch die Recruiter eingefangen werden?
Wie oben kurz angerissen, sollten alle im Prozess Beteiligten auch verstehen, das wir uns eine neue Zielgruppe in’s Haus holen. Allen voran auch der Fachbereich, da er ja einen nicht ganz kleinen Beitrag im Prozess leistet. Unsere gesourcten Kandidaten haben sich eben noch nie bei uns „beworben“. Eher versuchen wir ihn im Laufe des Prozesses von uns zu überzeugen. Das bedeutet auch, die Frage vom Fachbereich „Warum haben Sie sich bei uns beworben“ ist ein absolutes No-Go! Zudem müssen wir ganz viel Aufklärungsarbeit (auch bei uns selbst) leisten, wenn es um die Informationen geht, die wir vom Fachbereich (oder vom zwischengeschalteten HR Business Partner) in der Auftragsklärung benötigen. Wir benötigen nämlich auf einmal andere Infos aus dem Fachbereichs-Briefing. Nun sind technische Details, nach denen wir auf den Plattformen suchen können, interessant und wichtig. Gehaltsvorstellungen und Soft-Skills sind erst einmal keine Faktoren, nach denen ich hart suchen kann. Schlussendlich müssen wir den Fachbereich auch dazu abholen, warum wir gewissen Informationen benötigen und was er dann auch von uns im Prozess zurückbekommt. Erstmal vermutlich nur ein Profil (XING / LinkedIn / etc.) und eben keinen 4seitigen Lebenslauf und 8 Zeugnisse. Hier braucht es viel Transparenz und Verständnis auf beiden Seiten. Unterstützt werden kann dies auch, mit einer guten Zahlengrundlage.
saatkorn.: Und welche ToDos hat das Recruiting Team selbst?
Verstaubte „das haben wir schon immer so gemacht“ Mentalität auf die Seite räumen! Und dann Themen anpacken, getreu dem Motto: Machen ist wie wollen – nur krasser!
Dabei macht es Sinn, dass wir unsere Dienstleistung einmal komplett neu denken und dann mit Leben füllen. Das ist die wichtigste Aufgabe für mich. Das startet bestmöglich mit einem neuen Denkansatz, der beim Kandidaten beginnt. Wir müssen uns zum Start Gedanken zum Kandidaten und dessen Umfeld und Situation machen und daraufhin unsere Maßnahmen (intern sowie extern) anpassen. Das kann dazu führen, das wir neue Rollen, Schnittstellen oder Organisationsformen im Recruiting implementieren und etablieren müssen oder einfach nur eine andere Herangehensweise in der Kandidatenkommunikation wählen. Dieser Ansatz funktioniert für mich jedoch nur, wenn wir es schaffen unsere eigenen Mitarbeiter für diese neuen Aufgaben auch zu befähigen. Eine entscheidende Rolle für mich spielen dabei die Themen Weiterbildung, Vernetzung und Entscheidungskompetenzen.
saatkorn.: Will man erfolgreich Active Sourcing betreiben, gibt es abschließend ja noch Grundvoraussetzungen rund um die Systemlandschaft und die Projektplanung, oder?
Ja, gewisse Grundvoraussetzungen müssen einfach gegeben sein, um Active Sourcing überhaupt betreiben zu können. Erstmal brauchen meine Mitarbeiter die Freiheit (Zeit) und das notwendige Handwerkszeug, um Active Sourcing überhaupt professionell betreiben zu können. Das Handwerkszeug beinhaltet für mich dann, das technische Know-how, Tools, Programme und auch (zum Teil auch kostenpflichtige) Zugänge zu Lebenslaufdatenbanken oder Businessplattformen.
Häufig scheitert es hier in den Unternehmen schon an der Verwendung des richtigen Browsers. Um wirklich effektiv und effizient arbeiten zu können, benötigt ein Sourcer heutzutage den Google Chrome Browser – Punkt. So wie der Arzt sein Skalpell und der Bäcker seinen Ofen benötigt, benötigen wir im Recruiting eben einen Browser, der uns unsere Arbeit machen lässt und zwar in einer angemessenen Qualität.
Dann benötigen wir auch die Zugänge um überhaupt nach Kandidaten suchen zu können. Das Bedeutet den XING Talent Manager und/oder den LinkedIn Recruiter (lite) Account. Ohne geht es leider nur noch sehr bedingt. Vollen Zugriff auf die Datenbank haben wir nur durch den Einsatz dieser Tools.
Dann müssen wir noch die Grundvoraussetzungen unserer internen Kommunikation und Toollandschaft anschauen. Haben wir ein gemeinsames, schnelles Kommunikationsmedium innerhalb von Recruiting mit HR und unseren Fachbereich? Die Email gehört für mich hier übrigens nicht dazu.
Ein Blick auf das eigene ATS bzw. Bewerbermanagementsystem lohnt sich hierbei auch. Kann dieses auch Kandidatenpools verwalten? Sind die Daten darin auch durchsuchbar? Ist mein ATS auch DSGVO konform? Sind die Prozesse auch für Sourcing abbildbar? Das sind die Grundvoraussetzungen die ich an die Systemlandschaft stellen würde.
saatkorn.: Gut, kommen wir zur Output-Seite von Active Sourcing. Was sollte man über die Befehle (Boolesche Operatoren, Modifikatoren, Keywords und Synonyme) für die Identifikation passender Kandidaten auf XING oder LinkedIn im Active Sourcing so wissen? – Vielleicht zeigst Du uns mal eine typische Suchkette für den XING Talent Manager oder die Recruiter-Suche über LinkedIn…
Gern:
(Recruiting OR Recruiter OR Recruiterin OR Recruitment OR „Talent Acquisition“ OR „Talent Attraction“ OR „HR Manager“) AND (Sourcing OR Sourcer OR Sourcerin OR „Direct Search“ OR „direkte Ansprache“ OR „Direktansprache“ OR „Boolean Search“ OR „Boolesche Operatoren“) AND (Entwickler OR Programmierer OR Developer OR Softwareentwickler OR „Software Developer“ OR „C++“ OR „C#“)
(Das ist jedoch nur mal der Start, nicht die endgültige Lösung) 😉
saatkorn.: OK, lass uns mal die Booleschen Operatoren herausarbeiten. Ohne die macht Active Sourcing ja wenig Sinn. Los geht’s mit AND…
Ja, der AND Operator schränkt meine Suche erstmal ein. Das heißt wenn ich zwei oder mehrere Schlagwörter mit dem AND verknüpfe, müssen diese beiden Wörter in den Zielseiten vorkommen. Dabei kann ich den AND Operator ausschreiben und so zwei oder mehrere Wörter miteinander verknüpfen oder nur ein Leerzeichen zwischen den Wörtern lassen. Auch das wäre ein AND – eben nur nicht ausgeschrieben. Damit macht die AND-Verknüpfung unsere Suche aber auch genauer, da wir logische Suchräume miteinander verknüpfen und so dem Suchsyntax sagen: ich will jetzt nur noch Seiten (oder Profile in unserem Fall) sehen, in denen … und … stehen muss.
saatkorn.: Dann kommt OR…
Mit der Verwendung des OR Operators erweitern wir unsere Suche bzw. unsere logischen Suchräume. Durch das Verknüpfen von zwei oder mehreren Wörtern mit Hilfe von OR sagen wir dem Suchsytnax nichts anderes wie: Zeige mir jetzt Ergebnisse in denen ENTWEDER … ODER … ODER beide Wörter stehen.
Das heißt hiermit können wir in unserer Suche berücksichtigen, das sich die Zielgruppe zum Beispiel unterschiedliche Jobtitel gibt oder Fähigkeiten unterschiedlich beschreibt. Die Wörter die wir mit OR verknüpfen, müssen also in einer logischen Beziehung zueinander stehen. Nur dann bilden wir logische Suchräume, welche uns die passenden Kandidaten identifzieren können.
saatkorn.: Schließlich NOT…
Mit dem NOT Operator oder dem Minus (-) können wir Suchbegriffe aus unserer Suche ausschließen. Hier ist jedoch vorischt geboten. Je nach dem in welchem Suchfeld ihr etwas ausschließt, kann das mehr oder weniger sinnvoll sein. NOT Geschäftsführer könnte euch nämlich falsch eingesetzt, auch Profile ausschließen die während ihres Studiums Geschäftsführer eines studentischen Vereins waren.
saatkorn.: Dann brauchen wir ja noch die Modifikatoren wie ich dich verstehen, angefangen mit den Phrasen “ “
Genau, wenn wir zum Beispiel nach einem feststehenden Begriff wie Talent Acquisition suchen wollen, müssen wir diesen Begriff in Phrasen nehmen. Aus Talent Acquistion (was Talent AND Acquisition bedeuten würde) wird „Talent Acquisition“. Das funktioniert auch mit ganzen Sätzen oder Absätzen.
saatkorn.: Nun die Klammern ( )
Hier wird es nochmal etwas technisch. Da eine AND-Verknüpfung grds. stärker ist als eine OR-Verknüpfung ist müssen wir dem Syntax ähnlich wie in der Mathematik wieder eine Reihenfolge mitgeben. Deshalb setzen wir unsere logischen Suchräume, welche durch OR verknüpft sind, wieder in Klammern. Nur dann macht die Suchkette auch sinn und ist technisch richtig. Zumindest auf XING und LinkedIn ;-).
saatkorn.: Und nun die Asterisks *
Recruiters-Liebling =). Den kennen Sie nämlich alle ;-).
Das Sternchen oder auch Wortstamm-Modifikator kann, richtig eingesetzt, durchaus Sinn machen da es eine Art Auto-Wortvervollständigung ist. Das heißt wenn ich nach recruit* suche, berücksichtigt der Syntax alle möglichen Endungen von recruit für meine Trefferliste. Bspw. recruitING, recruitER, recruitERIN, recruitMENT,…
So funktioniert dieses Sternchen jedoch NUR im XING Talentmanager. LinkedIn und Google können das Sternchen NICHT als Wortstamm-Modifikator verarbeiten. Und im XING Talent Manager auch nur dann – meine Erfahrung – wenn ihr es nicht ausufernd oft verwendet.
saatkorn.: Wow, ziemlich viel Active Sourcing Input. Zum Schluss Jan, was ist Dein Tipp, wie lernt man den Einsatz Boolescher Operatoren am besten? – Einfach mal ausprobieren?
Jaaaaa, das könnte helfen ;-).
Wichtig ist aber auch, überlegt euch immer, ob das auch sein kann was dann an Ergebnissen geliefert wird. Schaut euch die Profile zu den Suchketten an. Kann das richtig sein? Dokumentiert eure Arbeit (am besten in einem Texteditoren Programm) und lernt aus Fehlern.
Ihr könnt nichts kaputt machen.
Zudem macht euch mal Gedanken darüber, was überhaupt durchsuchbar ist auf den Plattformen. Mit diesem Gedanken lasse ich euch mal alleine – ein (mehr oder weniger kurzer Blick) auf mein XING Profil kann hier evtl. helfen.
In diesem Sinne – viva la sourcealution 😉 Viel Spaß beim finden!
saatkorn.: Vielen Dank für Deine Insights Jan! Ich freue mich schon auf Deine und Tobias‘ Session zu Active Sourcing Hacks auf dem #RC19 Festival!
Danke Dir Gero! Und an alle die es bis hierhergeschafft haben, schickt mir doch gerne eine XING oder LinkedIn Kontaktanfrage (gerne auch mit einem kurzen Text 😉