Priotas Benchmarkstudie „Die Stärken der Silberrücken“
Die letzte Priotas Studie ist zwar schon etwas älter, aber dennoch sehr interessant, denn die Kompetenzen der „Mitarbeiter von Morgen“ sind auf Basis der Priotas Untersuchungen gerade bei älteren Mitarbeitern besonders ausgeprägt. Prof. Dr. Frank Gehring von Priotas steht dazu Rede und Antwort:
SAATKORN: Bitte stellen Sie sich den SAATKORN LeserInnen doch kurz vor.
Ich arbeite als Consultant bei PRIOTAS in Köln. Wir helfen Organisationen, mit Hilfe von Feedback Veränderungen voranzutreiben, um sich optimal für die Zukunft zu rüsten. Unser Team verfügt über langjährige Erfahrungen mit komplexen Feedbackprojekten. Viele bringen neben einer Ausbildung in den Sozialwissenschaften, Psychologie oder BWL auch eine systemische Perspektive mit. Ich selbst bin Wirtschaftspsychologe.
SAATKORN: Aktuell hat PRIOTAS eine Studie zum Thema New Work unter dem Titel Fit für die Zukunft – Mitarbeiterkompetenzen in der neuen Arbeitswelt durchgeführt. Was war das Setting der Studie?
Unsere bundesweite Studie liefert eine belastbare Einschätzung, wie fit deutsche Arbeitnehmer/-innen für die Neue Arbeitswelt sind und wie die Kompetenzentwicklung unterstützt werden kann. Die Studie wurde im Oktober 2019 durchgeführt. An der Online-Befragung haben 1.398 Arbeitnehmer/-innen aus ganz Deutschland teilgenommen. Die repräsentative Stichprobe umfasst Voll- und Teilzeit-Beschäftigte aus Industrie- und Dienstleistungsunternehmen.
SAATKORN: Was sind die zentralen Ergebnisse der Priotas Studie?
Es wird immer wieder betont, in der neuen Arbeitswelt werden Digitalisierung, Agilität und Innovationsdruck zunehmen. Der „Mitarbeiter von morgen[1]“ muss deshalb mit Veränderungen umgehen können, sich gut auf wechselnde Kollegen einstellen, selbstorganisiert arbeiten, kreativ sein und lebenslang lernen. Das klingt nach nahezu unerfüllbaren Ansprüchen. Unsere Studie zeigt, dass Mitarbeiter diese Kompetenzen durchaus schon haben. Sie sind bereit, Veränderungen mitzugehen und über den Tellerrand zu schauen, um Verbesserungen zu entwickeln.
Diese Bereitschaft kann sich aber nur entfalten, wenn sie auf fruchtbaren Boden trifft. Und das hat nicht nur, wie häufig angenommen wird, mit attraktiven Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten zu tun, sondern beginnt im täglichen Arbeitsumfeld Je größer die Freiräume und anspruchsvoller die Aufgaben, desto klarer müssen Ziele, Aufgaben und Verantwortlichkeiten geregelt sein. Das klingt auf den ersten Blick paradox. Aber damit ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Selbstorganisation und Kreativität entfalten können.
Auch eine offene Dialogkultur, ein regelmäßiger Wissens- und Erfahrungsaustausch und die gemeinsame, systematische Bearbeitung von Problemstellungen sind förderlich, wie unsere Studie belegt. Dadurch werden soziale und kommunikative Kompetenzen gestärkt und Kreativität gefördert. Vor allem aber wird Vertrauen aufgebaut. Denn die Kompetenzen, die im Zusammenhang mit der neuen Arbeitswelt als wichtig erachtet werden, erfordern ein hohes Maß an Offenheit und Flexibilität. Dafür ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit eine wichtige Grundlage.
SAATKORN: Welche Ergebnisse haben Sie persönlich besonders überrascht?
Zurzeit stehen alternde Belegschaften einer sich rasant verändernden Arbeitswelt gegenüber. Kompetenzen wie Veränderungsbereitschaft, Kreativität und lebenslanges Lernen würde man dagegen spontan eher mit jugendlicher Aufbruchstimmung als mit Reife verbinden. Besonders interessant fanden wir deshalb, wie die „Kompetenzen des Mitarbeiters von morgen“ bei älteren Beschäftigten ausgeprägt sind, die noch 10 bis 15 Jahre Berufsleben vor sich haben. Unsere Studie zeigt, dass die Älteren bei manchen Kompetenzen sogar besser abschneiden als die Jüngeren. Wir wissen zwar aus früheren Studien, dass ältere Mitarbeitende ein höheres Maß an Verantwortungsbewusstsein aufweisen und Emotionen besser regulieren können. Mit Bezug auf Kompetenzen für die neue Arbeitswelt wurden die „Stärken der Silberrücken“ unserer Erfahrung nach aber nur selten empirisch belegt.
SAATKORN: Was sind denn die „Stärken der Silberrücken“?
Ältere Mitarbeiter können auf umfassende berufliche Erfahrungen zurückgreifen. Es fällt ihnen deshalb leichter, mit Unsicherheit und Komplexität umzugehen. Im Laufe ihres bereits 25-30 Jahre andauernden Berufslebens haben sie nicht nur sich selbst gut kennengelernt, sondern auch gelernt, komplexe Probleme zu durchschauen, Zusammenhänge zu erkennen, unübersichtliche Situationen einzuschätzen und adäquate Lösungen zu entwickeln.
Sie weisen eine größere Offenheit gegenüber anderen fachlichen Hintergründen, Denk- und Herangehensweisen auf. In der Kommunikation und Zusammenarbeit gelingt es ihnen im Vergleich zu Jüngeren gut, Komplexität zu reduzieren, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen, sich gut verständlich zu machen und Kritik sachlich und wertschätzend zu äußern.
Ältere Mitarbeitende fungieren als Modell und Rollenvorbild, von dem Jüngere lernen können. Dabei greifen sie auch verstärkt auf Altbewährtes zurück, statt neue Wege zu beschreiten. Die Kehrseite ist allerdings: Ältere beobachten weniger das Verhalten anderer, um daraus zu lernen, und sich auch in geringerem Maße Feedback von anderen einholen, um sich weiterzuentwickeln. Das ist einerseits plausibel, da dies aufgrund der langjährigen Berufserfahrung und einer kurzen verbleibenden Erwerbsspanne vielleicht auch nicht mehr so notwendig ist, sollte aber natürlich nicht dazu führen, dass ältere Mitarbeitende sich bereits 10 Jahre vor der Rente zurücklehnen und Entwicklungen und Veränderungen nur noch an sich „vorbeiziehen“ lassen statt sie selbst mitzugestalten.
SAATKORN: Welche Handlungsempfehlungen lassen sich aus der Priotas Studie für Mitarbeiter, Führungskräfte und HR-Abteilungen ableiten?
Die kurze Antwort lautet: „Sich der Stärken älterer Mitarbeitender bewusst sein“. In der Personalerszene kursieren immer noch negative Altersstereotype, z.B. dass Ältere weniger leistungsfähig und häufiger krank seien, langsamer lernten und sich nicht mehr so flexibel auf Veränderungen einstellen könnten. Diese Vorurteile sind mittlerweile größtenteils widerlegt. Auch wenn es „den“ älteren Mitarbeiter natürlich nicht gibt und Motivation und Leistungsfähigkeit sich individuell entwickeln, weitaus angebrachter sind eine positive Sicht auf das Altern und den Einsatz älterer Beschäftigter.
Was bedeutet das konkret? – Ältere Mitarbeitende sollten sich bewusst machen, dass „Neue Arbeitswelt“ nicht nur Digitalisierung bedeutet, sondern auch agiles Arbeiten, um Innovationen zu erzielen. In diesem Zusammenhang sind Kommunikations-, Kooperationskompetenz und Selbstorganisation gefragt. Das können Ältere, wie unsere Studie zeigt, ganz gut, vielleicht besser, als ihnen bewusst ist.
Falsch wäre auch anzunehmen, die neue Arbeitswelt sei ohnehin nicht mehr relevant: „Es verbleiben ja nur noch ein paar Jahre bis zur Rente. Der eigene Job bietet hier eh kein Potenzial.“ Hier kann dann auch die Eigeninitiative älterer Mitarbeitender gefragt sein, ihre Stärken einzubringen und dafür gegebenenfalls Freiräume oder entsprechende Aufgaben einzufordern. Auch das muss nicht gleich perfekt laufen oder bahnbrechende Entwicklungen mit sich bringen. Der Weg in die neue Arbeitswelt ist – für ältere wie jüngere Mitarbeitende – kein Sprung von einer Klippe, sondern ein längerer Fußmarsch, bei dem man auch einmal eine Pause einlegen oder eine Extrarunde drehen darf.
Eine wichtige Rolle spielt eine alters- und alternsgerechte Führung. Wie sich Motivation und Leistungsfähigkeit im letzten Drittel der Lebensarbeitsspanne entwickeln, ist nicht nur durch individuelle Faktoren bedingt. Führungskräfte und Fachabteilungen können einen wesentlichen Einfluss nehmen. Dazu gehört ein Führungsstil, der sensibel für die Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen ist und individuell unterstützt, etwa durch ergonomische (z.B. höhenverstellbare Schreibtische) oder arbeitsorganisatorische Maßnahmen (z.B. flexible Arbeitszeiten und -orte, etwa, wenn ältere Mitarbeitende Familienangehörige pflegen).
Mit Blick auf die Neue Arbeitswelt und diesbezüglicher Stärken älterer Mitarbeitender muss darauf geachtet werden, allen Altersgruppen vorurteilsfrei und wertschätzend zu begegnen und die Zusammenarbeit zwischen Jung und Alt nicht nur zu fördern, sondern gezielt zu nutzen. Im Rahmen von Tutorenmodellen, in denen Ältere „Tandems“ mit Jüngeren bilden oder auch temporär in altersgemischten Projektgruppen zusammengesetzt sind, können beide Seiten sich ergänzen und voneinander lernen. Ältere können dabei mit ihrer Erfahrung punkten, die sie komplexe Sachverhalte schnell durchschauen, Zusammenhänge erkennen und verschiedene Perspektiven integrieren lässt. Jüngere haben dagegen das aktuellere Fachwissen und häufig auch eine höhere digitale Kompetenz.
Ältere Mitarbeitende, die eine lange Betriebszugehörigkeit im Unternehmen haben, können bei organisationalen Veränderungsprozessen frühzeitig eingebunden und mit Schlüsselfunktionen ausgestattet werden. Sie können dann als Botschafter fungieren und die Belegschaft auf anstehende Veränderungen vorbereiten bzw. bei deren Einführung begleiten.
Die Stärken älterer Mitarbeitender mit Bezug auf die neue Arbeitswelt passen im Übrigen gut zu ihren beruflichen Motiven und Bedürfnissen. Älteren Mitarbeitenden, das wissen wir aus der Forschung, ist es wichtig, selbstbestimmt zu arbeiten und ihre langjährigen beruflichen Erfahrungen einbringen zu können. Werden ihre Stärken – Kommunikation, Zusammenarbeit und Selbstorganisation – gezielt genutzt, werden zugleich Anreize geschaffen, die für diese Mitarbeitergruppe von besonderer Bedeutung sind. So lassen sich „zwei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen.
SAATKORN: Wie kann ich weitere Informationen zur Priotas Studie erhalten?
Die Studie wurde von der PRIOTAS GmbH in Köln durchgeführt. Als Ansprechpartner steht Ihnen Prof. Dr. Frank Gehring für nähere Informationen zur Verfügung (E-Mail: frank.gehring@priotas.de).
SAATKORN: Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Dr. Gehring! Und weiterhin viel Spaß und Erfolg mit Priotas!
[1] Hinweis: Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit wird an einigen Stellen nur ein Geschlecht genannt. Die Aussagen beziehen sich stets auf alle Geschlechter.