interview mit prof. tim weitzel zur studie „recruiting 2010“
interview mit prof. tim weitzel zur studie „recruiting 2010“
tim weitzel ist seit 2005 professor für wirtschaftsinformatik an der universität bamberg. seine forschungsschwerpunkte liegen im bereich e-hr (e-recruiting, hris), outsourcing, it-wertschöpfung und it business alignment. er gründete 2002 das centre for human resource information systems, das über die rolle von it in personalprozessen forscht und jährlich die studien „recruiting trends“ und „bewerbungspraxis“ durchführt. daneben ist tim weitzel beirat für den dapm/queb und somit ein höchst interessanter gesprächspartner für saatkorn. also – auf gehts!
saatkorn.: bitte erkläre den saatkorn. lesern doch die hintergründe für die recruiting 2010 studie.
wir untersuchen im chris – dem centre for human resource information systems – an den universitäten bamberg und frankfurt seit etwa 10 jahren chancen durch it in personalprozessen. seit 2002 führen wir jährliche empirische studien zu trends, herausforderungen und innovationen in der rekrutierung durch. die arbeitgeberstudie „recruiting trends“ befragt jedes jahr die hr-verantwortlichen der größten 1.000 unternehmen in deutschland und seit einigen jahren zusätzlich 1000 unternehmen aus dem deutschen mittelstand, die top-500-unternhmen in der schweiz und in österreich sowie ausgewählte branchen in deutschland. parallel befragen wir auch jobsuchende mit einer web-umfrage, an der jedes jahr über 10.000 kandidaten teilnehmen. wir führen die studie vollständig an der uni durch, und monster sponsorte uns dankenswerterweise von anfang an. damit können wir ideologiefrei einen kristallklaren blick werfen auf fragen wie: was erwartet ein kandidat von einem optimalen arbeitgeber, wie wichtig sind unternehmen und kandidaten welche social-media-kanäle oder lässt sich durch recruiting-prozess-standardisierung die time-to-hire verringern. wir bekommen jedes jahr viele anfragen zu den daten und haben uns daher einmal die zeit genommen, auch ein buch mit den ergebnissen herauszugeben. das gerade erschienene buch „recruiting 2010“ umfasst daher die aktuellen recruiting-trends-studien aus der deutschsprachigen dach-region.
saatkorn.: was sind aus deiner sicht die relevantesten langfristigen trends der recruiting 2010 studie?
ein großer dauerbrenner ist der fachkräftemangel, den auch die krise nicht heilen konnte. so halten in diesem jahr die deutschen hr-verantwortlichen ähnlich wie in vorjahren 36,6 prozent aller vakanzen für schwer und 4,1 prozent für gar nicht besetzbar. wir konnten als weiteren trend auch sehr schön die zunehmende bedeutung des internets über die jahre beobachten. derzeit veröffentlichen die unternehmen mehr als neun von zehn vakanzen auf der eigenen webseite und 62,9 prozent in internet-stellenbörsen. noch interessanter finde ich immer die frage, woher denn dann die eigentlichen einstellungen kommen. inzwischen werden tatsächlich 72,0 prozent aller stellenbesetzungen in großen unternehmen über diese beiden internet-kanäle generiert. der bewerbungseingang hinkt noch etwas hinterher, aber immerhin fast zwei drittel der bei den top-1.000 eingehenden bewerbungen sind inzwischen elektronisch, hiervon allerdings die meisten als mail und nicht strukturiert.
etwas bedrückend war die sicht auf den bologna-prozess. ein viertel der befragten top-1.000 unternehmen ist sich der unterschiede in struktur und ablauf zwischen bachelor-/ master- und diplomstudiengängen nicht bewusst und auch nur gut jeder vierte beurteilte die ganze umstellung von diplom- auf bachelor- und masterstudiengänge als positiv. interessant war auch zu sehen, dass doppelt so viele stellen, die früher für diplom-absolventen ausgeschrieben wurden, heute für master- als für bachelor-absolventen ausgeschrieben werden; das ist natürlich nicht so, wie geplant.
saatkorn.: gibt es besondere erkenntnisse gerade im hinblick auf den einsatz von social media?
uns hat natürlich sehr interessiert, wie bei der ganzen aktuellen diskussion web 2.0-anwendungen im tagesgeschäft angekommen sind. bereits 2005 haben wir in unserer bewerberstudie festgestellt, dass bewerber und jobsuchende sich die möglichkeit wünschen, online kontakte zu knüpfen und netzwerke aufzubauen. diese möglichkeit wird heute von vielen bewerbern bereits intensiv genutzt. auf unternehmensseite herrscht insgesamt noch eine bemerkenswerte unsicherheit über bedeutung und implikationen sozialer medien. das zeigt sich zum beispiel deutlich in fragen zu unternehmensbewertungsplattformen. wir haben gefragt, ob die personaler solche plattformen für gut oder schlecht für das unternehmen halten. knapp jeder fünfte sagt ‚förderlich‘, jeder sechste ‚gefährlich‘, aber zwei drittel sind unentschlossen. auch können knapp zwei drittel der befragten unternehmen aktuell nicht sagen, ob karrierenetzwerke wie xing die personalbeschaffung vereinfachen oder erschweren. darüber hinaus weiß fast die hälfte der unternehmen derzeit gar nicht, ob es im web diskussionsgruppen zum eigenen unternehmen gibt.
die firmen entwickeln auch gerade meinungen zum thema, ob kandidaten auch in privaten plattformen mit berufsbezogenen inhalten konfrontiert werden sollten oder dies als kultur- und netiquette-bruch sehen und genervt sind. die grundstimmung ist abwarten und lernen, teils auch schon probieren. die meisten haben schon gemerkt, dass die arbeit insgesamt anspruchsvoller wird und es nicht einfach ist, digital natives und silver surfer gleichermaßen zu verstehen und zu bedienen.
saatkorn.: welche empfehlungen lassen sich für unternehmen bezogen auf employer branding ableiten?
zunächst einmal: employer branding priorisieren! es ist noch nicht lange her, da war employer branding ein buzzword weniger experten, dann kam die zeit, als es eigentliche keine tagung ohne employer branding im titel gab. aber noch immer sind nicht viele unternehmen zufrieden mit ihrer arbeitgebermarke oder haben konsistente strategien. unsere bewerberstudie zeigt in diesem zusammenhang sehr schön, dass kandidaten vor allem google oder andere suchmaschinen einsetzen, um nach weiterführenden informationen über unternehmen, bei denen sie sich bewerben möchten, zu suchen. eine analyse unter dax30-konzerne hat ergeben, dass teilweise eine suche nach „arbeiten“ und „unternehmensname“ bei google nicht zu den karrierewebseiten der unternehmen führt, sondern zu diskussionsgruppen im internet, in denen negativ über das unternehmen gesprochen wird. unternehmen sollten sich daher bewusst sein, welche suchergebnisse eine suchmaschine bei einer suche nach dem unternehmensnamen und entsprechenden suchbegriffen zu den dortigen arbeitsbedingungen liefert. unter den ersten ergebnisseiten sollten idealerweise die karriereseites des unternehmens und für das unternehmen positive bzw. authentische verlinkungen gelistet sind. da googlen so verbreitet ist, sollte die karriereseite des unternehmens zu den ersten zehn ergebnissen einer entsprechenden suchanfrage zählen. durch das gezielte management von suchmaschinentreffern kann das unternehmen verstärkt zum aufbau eines entsprechend positiven, quasi virtuellen employer brands beitragen, der im rahmen der stellensuche immer wichtiger wird, da diese online stattfindet. aber auch der „offline“ employer brand ist natürlich genau so wenig zu vernachlässigen wie der „interne“.
saatkorn.: und was sind empfehlungen für das recruiting?
für das recruiting zeigen unsere ergebnisse der letzten jahre eins ganz deutlich. die arbeit im recruiting ist nicht einfacher geworden. der demographische wandel und der fachkräftemangel auf dem arbeitsmarkt sind herausforderungen, denen sich mittelständische unternehmen ebenso stellen müssen wie große unternehmen. aus diesem grund wird es für unternehmen noch wichtiger werden, zum einen die gesuchten kandidaten über die richtigen kanäle mit den richtigen botschaften anzusprechen, aber auf der anderen seite auch, die internen prozesse effizient zu gestalten, um gute kandidaten nicht auf grund zu langer bearbeitungszeit zu verlieren.
das bedeutet für die ansprache im personalmarketing zu verstehen, welcher kanalmix aus online- und offline-kanälen der richtige ist, um die gesuchte zielgruppe zu erreichen. unsere bewerberstudie zeigt dabei sehr schön, dass unterschiedliche zielgruppen auch unterschiedliche kanäle zur suche nach stellenanzeigen nutzen und auch unterschiedliche vorstellungen von ihrem „traumarbeitgeber“ haben. zu den verschiedenen kanälen zählen neben klassischen kanälen wie unternehmens-webseite und internet-stellenbörse auch social-media-anwendungen. ein verstehen der zielgruppen mit ihren verhaltensweisen, motivationen und werten wird für unternehmen immer wichtiger werden, um zum einen den gesuchten zielgruppen zu signalisieren, dass man deren individualität respektiert und wertschätzt, und zum anderen, um durch die richtige kanalwahl die gesuchte zielgruppe effektiv ansprechen zu können. in diesem zusammenhang wird ein strukturiertes talent management immer mehr an bedeutung gewinnen. kandidaten frühzeitig zu identifizieren und langfristig an das unternehmen zu binden wird dabei eine der erfolgsfaktoren der zukunft sein.
hat sich nach einer erfolgreichen ansprache im personalmarketing der richtige kandidat beworben, wird es für unternehmen immer wichtiger werden, die internen prozesse weiter zu optimieren, um einem qualifizierten kandidaten möglichst schnell ein angebot unterbreiten zu können. durch standardisierte prozesse und den einsatz von bewerbermanagementsystemen können unternehmen eine vielzahl von bewerbungen effizient bearbeiten und somit kosten und zeit in der personalbeschaffung einsparen.
saatkorn.: da ihr ja bereits über einige jahre den deutschen markt im hinblick auf employer branding und recruiting analysiert, wäre es sehr interessant zu erfahren, was in den letzten 5 jahren aus deiner sicht die 3 wichtigsten trends für die entwicklung sind. findet beispielsweise eine professionalisierung unserer themen statt?
hmm, wenn ich vier große trends in der rekrutierung identifizieren darf, wären dies professionalisierung, digitalisierung, service- oder kundenorientierung und employer branding.
wir sehen in der tat wie von dir angesprochen als einen haupttrend über die jahre eine starke professionalisierung der geschäftsprozesse bis hin zu einem geschäftsprozessmanagement, wie man es aus primärprozessen kennt. du hast ja – ungefähr in den recruitig trends 2005 – bereits vor jahren von integrierten hr-prozesslandschaft, internen und externen datenbanken und workflows gesprochen. dazu gehören dann ein managementfähiges rekrutierungscontrolling, aktive prozess-gestaltung und –standardisierung und auch ein besseres kommunizieren des wertbeitrages der eigenen arbeit im unternehmen. wir haben übrigens in einem artikel zeigen können, dass standardisierung signifikant die prozessleistung verbessern kann, indem kosten und durchlaufzeiten sinken und die qualität steigt.
ein zweiter makrotrend ist die voranschreitende digitalisierung: die bewerbungsmappe verschwindet, interne wie externe prozesse folgen sinnvollen workflows, kommunikation wird überall besser. hierhin gehört natürlich auch die technische seite der social media. eine folge sind neue anforderungen für alle beteiligten. diese müssen nicht nur mit technik routinierter umgehen, sondern auch im ganz klassischen sinn kommunikationsfähiger sein als früher. einsam im spitzweg-büro liniendienst versehen ist over. wir hatten dies anfang 2009 beim dapm als anforderungen an den „recruiter 2.0“ besprochen.
ein dritter trend aus unserer sicht ist eine folge des fachkräftemangels und sich zugunsten der kandidaten ändernder machtverhältnisse am arbeitsmarkt. unternehmen geben sich wesentlich mehr mühe, kandidaten und fachabteilungen als kunden zu sehen und zu behandeln. intern folgt das dem professionalisierungstrend, extern äußert sich das als explizites candidate relationship management.
und employer branding ist in den letzten jahren von einem vorreiter- zu einem breitenthema geworden. immer mehr unternehmen sind von „was ist denn das“ zu „das will ich auch“ gekommen. mir scheint im übrigen, dass zunehmend auch internes und externes employer branding unterschieden und gestaltet werden.
saatkorn.: was glaubst du, werden die zentralen trends rund um employer branding und recruiting in den nächsten 5 jahren werden?
mehr
1) professionalisierung des recruiting
2) zielgruppenorientierung
3) anforderungen an recruiter: management, controlling, kommunikation, arbeitsteilung
4) kanäle im kommunikationsmix
und weniger
5) print – nur noch für employer branding
saatkorn.: du bist bereits mitten in der auswertung für die studie 2011. wann wird diese voraussichtlich erscheinen?
teilweise rechnen wir schon, teilweise sammeln wir noch. die deutschen unternehmens- und bewerberdaten sollten etwa zum jahreswechsel ausgewertet sein, dann kommen die schweiz in q1 und österreich in q2. wenn genug fragebögen möglichst vollständig ausgefüllt worden sind, können wir sogar aussagen zu kanaleffektivität machen: welche kanäle sind für welche profile am besten. wir haben auch explizit nach trends sind herausforderungen für den arbeitsalltag des recruiters gefragt. ich bin gespannt, wie employer branding, fachkräftemangel und social media – auch in relation untereinander – abschneiden.
saatkorn.: wo kann man die studie bestellen?
wir planen, die ergebnisberichte im nächsten sommer wieder als buch herauszubringen, details stehen aber noch nicht fest.
saatkorn.: lieber tim, herzlichen dank für das interview und weiterhin viel spaß und erfolg bei deinen zahlreichen aktivitäten!